von: Urs Heinz Aerni
1. Juni 2017

Zwischen Visionsarmut und Abgründe

Christof Gasser über seinen aktuellen Kriminalroman und der Baustelle des Schweizer Films. Die Fragen stellte Redakteur Urs Heinz Aerni

© Christof Gasser im Gespräch - Bild von Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Christof Gasser, Sie waren in der Uhrenindustrie tätig, lebten über zehn Jahre in Südostasien und dozieren an der Hochschule für Wirtschaft Nordwestschweiz. Und schreiben Kriminalromane. War das schon immer ein Traum oder wissen Sie nicht wohin mit der eigenen kriminellen Energie?

Christof Gasser:  Um es vorweg zu nehmen:  Bücher zu schreiben ist tatsächlich immer ein Traum von mir gewesen.  Als kleiner Junge, während meine Altersgenossen Pilot oder Lokomotivführer werden wollten, habe ich stets den Wunsch geäußert, einmal Schriftsteller zu werden.  Geschichten, Bücher und Filme haben mich immer fasziniert und tun es noch heute.

Aerni: Und das mit dem Kriminellen…?

Gasser: Die Frage nach der kriminellen Energie ist interessant. Ich denke schon auch, dass ich, wie jeder Mensch, eine dunkle Seite habe. In meinen Geschichten verarbeite ich Themen, die mich beschäftigen, als Mensch und als Bürger. Ich schreibe sie mir gewissermaßen von der Seele.

Aerni: Kriminalromane, die bewusst regional platziert werden, erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Woher kommt das?

Gasser:  Ich bin nicht sicher, ob sich das einfach so allgemein beantworten lässt. Ich lese selber gerne Geschichten, gerade Krimis, die an vertrauten Orten spielen. Wenn sich eine Handlung in einer bekannten Umgebung abspielt, findet sich der Leser vermutlich eher zurecht und kann das Geschehen besser einordnen.  Wenn man als Autor dazu noch einen stimmigen Plot und Charaktere hinkriegt, mit denen man sich identifizieren kann, besteht gute Aussicht auf Erfolg.

Aerni: Ihr Roman „Solothurn streut Asche“ spielt an Orten, die Ihnen vertraut sind; Solothurn oder zum Beispiel der Kanton Wallis. Wie genau nehmen Sie es mit den regionalen Begebenheiten und Figuren?

Gasser:  Da ist eine gewisse Sorgfalt angezeigt, gerade wenn man die Menschen aus der besprochenen Region gewinnen will, das Buch zu lesen. Diese Leser sind ein sehr anspruchsvolles Publikum. So versuche ich stets, öffentliche Orte und Plätze möglichst realitätsgetreu zu beschreiben, und wenn immer möglich und passend in einem geschichtlich-kulturellen Zusammenhang aufzuzeigen.

Aerni: Und wo werden Sie ungenau?

Gasser: Ich werde dort vage, wo sich eine heikle Szene, z.B. ein Verbrechen einem Privathaus abspielt, das an einer existierenden Straße liegt. Ich will nicht, dass ein Leser kommt und sagt: „Um Gottes Willen, das ist ja mein Haus.“

Aerni: Im zweiten Roman nehmen Sie den Lesenden mit in die Machenschaften von rechtsextremen Kreisen, katholischer Fundamentalismus und gar ins kriminelle Geschäft des Kinderhandels. Wie würden Sie Ihr Anliegen beschreiben?

Gasser:  Ich befasse ich mich mit Themen, die mich berühren.  In „Solothurn streut Asche“ manifestiert sich meine Sorge über die Radikalisierung der Gesellschaft. Vermutlich angetrieben von der vermeintlichen islamistischen Bedrohung gibt es in der Schweiz politische Anzeichen eines christlich-religiösen Fundamentalismus in Verbindung mit Rechtsextremismus. Die diffuse Angst von einer äußeren Bedrohung macht meiner Meinung nach viele Menschen blind vor der größeren Gefahr, die im Innern der Gesellschaft und in jedem von uns lauert.  Angst erzeugt Hass und Intoleranz. Sie wird damit zum Nährboden von Gewalt, der von gewissen Politikern teilweise mit Bedacht bewirtschaftet und damit legitimiert wird. Viele Menschen werden aus dem Ohnmachtsgefühl des Opfers heraus zu Tätern.  Schuld und Sühne, Recht und Gerechtigkeit sind ein zentrales Thema in meinen Geschichten.  Als Fiktion sollen diese allerdings in erster Linie spannend und unterhaltend sein.  Ich will nicht in Moral machen. Die Leser dürfen sich zum Nachdenken angeregt fühlen, aber sie sollen sich selber ein Urteil bilden können.

Aerni: An der Buchtaufe des zweiten Romans luden Sie zwei Persönlichkeiten aus der Schauspielerei ein; der Schweizer Hanspeter Müller-Drossaart und Barbara Kaudelka aus Österreich. Sehen Sie Ihren Roman auch als Verfilmung?

Gasser: Ich bin ein sehr visueller Mensch.  Wenn ich lese, läuft bei mir immer das Kopfkino, auch wenn es „nur“ ein betriebswirtschaftliches Sachbuch ist.  Ich liebe Filme, und natürlich ist es mein größter Wunsch, meine Romane in bewegten Bildern auf Leinwänden und Bildschirmen zu sehen.  Mit diesem Wunsch bin ich keineswegs allein, wenn ich an die vielen diesbezüglichen Rückmeldungen meiner Leser denke.

Aerni: Wer müsste da mitspielen?

Gasser: Ich habe da schon konkrete Vorstellungen. Es gibt viele ausgezeichnete Schweizer Schauspieler, welche die Rollen von Dominik Dornach, Angela Casagrande, Pia Zenklusen und Co. übernehmen könnten.  Sicher sehe ich eine Rolle für das Charaktergenie Hanspeter Müller-Drossaart, wenn er dereinst einen Part übernehmen möchte. Und wer Barbara Kaudelka kennt und live erlebt hat, kann sich vermutlich denken, wer die Rolle der Jana Cranach spielen sollte.

Aerni:  Die nordischen Krimis sind bei uns Kult, wie steht es um die Chancen bei den Schweizer Krimis?

Gasser:  Die Chancen sind vorhanden. Ich finde aber, dass es in der Schweiz im Gegensatz zu unseren nördlichen Nachbarn und Skandinavien am Mut und – oder – Willen fehlt, sich für das Genre einzusetzen. Wenn ich sehe, wie viele gute Serien und Filme im Norden, aber auch bei unseren Nachbarn Deutschland und Österreich,  mit großem Erfolg produziert werden, ist es für mich fast beschämend, dass Serien wie „Der Bestatter“ und der gelegentliche ARD-Tatort aus Luzern hierzulande das höchste der Gefühle sein sollen, obwohl beide zweifellos ihre Qualitäten haben, und ich sie mir sehr gerne anschaue.

Aerni: Aber?

Gasser: Ich bin der Überzeugung, dass die Verfilmungen von Büchern zu einem großen Teil zum Exporterfolg des skandinavischen Krimis beigetragen haben. Fehlende finanzielle Mittel sind meines Erachtens in einem Land wie der Schweiz ein Vorwand. Ich denke eher, dass die Medien, allen voran die SRG diesbezüglich an einer gewissen Visionsarmut leiden. Weshalb sollte in der Schweiz weniger Geld vorhanden sein, als in Schweden? In der gegenwärtigen Diskussion um den Service Public könnte man die Aufgabe der SRG ja auch mal so definieren, dass sie mit solchen Literatur-Verfilmungen ein Image einer Schweiz in die Welt hinausträgt, die etwas mehr kann als lediglich Geld zu scheffeln und Reichtümer zu verwalten.

Aerni: Das Genre lässt in Abgründe der menschlichen Seele blicken. Lässt das Sie unberührt oder haben Sie ein Gegenmittel?

 

Gasser:  Wenn es mich unberührt liesse, würde ich keine Krimis schreiben (lacht).  Ohne die Abgründe, gäbe es keine Geschichten über das Verbrechen. Egal ob als Autor oder als Leser, irgendwie ist es unsere Faszination für und gleichzeitig die Abscheu vor dem Bösen, die uns bewegen. Gleichzeitig ist es eine Auseinandersetzung mit unserer eigenen Dualität, unserer Licht- und Schattenseite. Die Herausforderung besteht darin, Distanz zu wahren, denn am Ende ist es immer nur eine Geschichte. Es gibt kein Gegenmittel, das besser dabei helfen könnte als unser eigener gesunder Menschenverstand.

Aerni: Wenn ich ein Bild malen würde, mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie müsste es aussehen?

Gasser: Im Zug, am Strand, am Bistro- oder Cafétisch sitzend bzw. liegend, in die Geschichte vertieft und vielleicht zwischendurch mit einem Schmunzeln auf den Lippen, wenn es mal nicht gerade so todernst abgeht.

 

 

Christof Gasser, geboren 1960 in Zuchwil bei Solothurn, studierte Betreibswirtschaft und war jahrelang in leitender Position für die Uhrenindustrie tätig, unter anderem während mehr als zehn Jahren in Südostasien. Seit 2012 arbeitet er als Dozent an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochsschule Nordwestschweiz. 2016 erschien der erste Roman „Solothurn trägt schwarz“ und „Solothurn trägt schwarz“ gelang kurz nach Erscheinen in die Bestsellerlisten. Solothurn ist eine schmucke kleine Stadt in der Schweiz aber ist hier eine Kulisse, die zu jeder anderen passt.

 

Das Buch:

Titel: Solothurn streut Asche
Untertitel: Kriminalroman, Solothurner Kantonspolizei 2
Autor: Christof Gasser
EAN: 9783740800505
ISBN: 978-3-7408-0050-5
Format: Kartonierter Einband (Kt)
Herausgeber: Emons
Anzahl Seiten: 352