von: Martina Remonda
15. August 2018
© Bergen Tourist Board / Girish Chouhan - visitBergen.com
Am frühen Morgen des ersten Tages starteten wir zum Flughafen. Unser Flug nach Amsterdam sollte um 7 Uhr starten. Aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht und so bekamen wir einen Geschmack von der Betriebsamkeit des Flughafens, während der Hauptreisezeit. Mit 30 Minuten Verspätung waren wir in der Luft, kamen aber fast pünktlich in Amsterdam-Schiphol an.
Auch unseren Busfahrer trafen wir bald an. Im Bus fragte uns dieser, wo er uns hinbringen solle, da er keine Angaben zu unserem Bestimmungsort habe. Wir einigten uns auf den Seefahrts-Terminal, der in Gehdistanz zum Bahnhof liegt. Dort konnten wir unsere Koffer abgeben und sogleich in die Stadt aufbrechen. Wir hatten ja noch 8 Stunden Zeit bis zu unserer Abfahrt.
Also wanderten wir den Grachten entlang, assen etwas zu Mittag und waren dann pünktlich zum Check-In wieder zurück beim Terminal. Der Zimmerbezug war schnell geschehen, sodass wir nun an Deck den Ladevorgang, die Betankung des Schiffes und vieles mehr beobachten konnten.
Das interessierte vor allem mich. Denn wenn ich noch einen Berufswunsch offen hätte, wäre ich wohl am liebsten Logistikmanager auf solch einem Schiff. Mich fasziniert es zu beobachten wie ganze LKW-Ladungen in unseren Schiffsbauch wandern, und dort verschwinden. Oder wie ein Tankschiff stundenlang Öl in den Schiffstank pumpt. Man muss schon vorausschauend planen können, um ein solch komplexes, schwimmendes Hotel auf dem Wasser zu halten.
Stephan hingegen interessierte sich natürlich: für das Fitnessstudio, welches er sich ausführlich zeigen liess. Unsere erste Schiffsreise liegt ja bereits mehr als 8 Jahre zurück. Und da vergisst man so einiges. Mit der Costa Concordia waren wir damals im Mittelmeer während einer Woche unterwegs. Zwei Jahre später havarierte dieses Schiff vor der Insel Giglio. Zum guten Glück heisst unser Kapitän dieses Mal Giacomo Longo und nicht Francesco Schettino, dem es gelungen war 105 Mio USD Verschrottungsgebühr zu produzieren.
Für Stephan sollte diese Reise eine ganz besondere Herausforderung darstellen, da für ihn ja bekanntlich die Welt in Basel aufhört. Für mich war es eher eine Testfahrt zu unserer bevorstehenden Weltumrundung. So konnte ich mich nun davon überzeugen, dass das Platzangebot einer Kabine mit Balkon absolut ausreichend ist, da man bei schönem Wetter ohnehin die meiste Zeit auf Deck verbringt. Die Suiten liegen im Schiffsheck und sagen mir eher weniger zu. Aber on verra. Vielleicht ergibt sich noch etwas, wenn wir am 4. Januar 2019 unser Schiff in Venedig besteigen.
Natürlich interessierte mich Island als solches auch. Nur muss ich heute sagen, damals hatte ich eine andere Vorstellung von diesem Land, als es sich in der Realität präsentierte. Natürlich kann man jetzt sagen, dass ich das ja alles im Vorfeld besser hätte recherchieren können. Aber wo liest man die vielen Kleinigkeiten, die die Menschen hier kennzeichnet?
Nun hiess es also Schiff ahoi und wir legten in Amsterdam ab. Nachdem wir nicht darauf geachtet hatten, dass wir zur ersten Tischzeit ab 18:15 Uhr eingeteilt waren, verpassten wir unser Essen und gingen nur dieses eine Mal ala carte Essen.
Danach fuhren wir etwa 3 Stunden an unzähligen Betonwerken, wie Jansen, Maarten oder Sebastiao vorbei, und durch eine Schleuse, bis ins offene Meer. Stephan schlief schon, als wir ins Meer kamen, ich jedoch wollte mir diesen Einstieg nicht entgehen lassen. Dass so grosse Schiffe Begeisterung hervorrufen, sah man an einem LKW-Fahrer, der mitten auf der Strasse anhielt, ausstieg und uns zuhupte und winkte.
Den ganzen kommenden Tag verbrachten wir auf See. Bei strahlendem Sonnenschein und natürlich etlichen Trainingseinheiten (Stephan), der sich ja schlussendlich für den Kilimandscharo fit machen muss. Das ihm das hier besser gelingt, als zu Hause versteht sich von selbst. Von nun an werde ich also jeden Tag spätestens um 6 Uhr geweckt, da es ja jeweils 1 Stunde dauert, sich auf das Training, welches um Punkt 7 Uhr startet, vorzubereiten, und nicht ganz ohne entsprechenden Geräuschpegel.
Pünktlich um 7 Uhr stehe ich dann auch auf, dusche und gehe dann auf Deck, um meinen ersten, wunderbaren, echt italienischen Espresso zu trinken. Ein italienisches Schiff hat schon seine Vorteile.
Nach einer Stunde ist dann unser Frühstück angesagt. Selbstverständlich, wie die Affen, mit Früchten! Und was entdecke ich am ersten Tag? Bombolone, diese göttlichen, mit Vanillecreme gefüllten Berliner, die ich schon als Kind so liebte. Damals am Strand in Alassio kam jeden Morgen ein Bombolone Mann vorbei, und ich eilte aus dem Wasser, um einen zu ergattern.
Heute: Diät hin oder her, dieser Versuchung kann ich nicht widerstehen, wie auch nicht der feinen Schokoladendesserts, welches ich mir jeden Tag genehmige. Dagegen hilft nur eines: Bewegung. Und die habe ich hier viel. Ob auf See, wenn ich eisern meine Runden laufe, bis ich auf über 10.000 Schritten bin, oder an Land. Bis zum letzten Tag auf Island bin ich schon mehr als 85 Kilometer gelaufen. Und das in 10 Tagen. Für einen Bewegungsmuffel wie mich ist das schon eine stolze Leistung.
Die Seetage sind mitnichten langweilig. Man kann sich durchaus beschäftigen. Sei es mit Lesen, Kochen oder Tanzkursen, Yoga und vielem mehr. Oder beim Bingo Bongo Spiel, welches jedes Mal laut angekündigt wurde.
Unseren ersten Tag in Ingvergordon, einem verschlafenen, kleinen Städtchen in den schottischen Counsel Area Highlands, der Grafschaft Ross-shire, unweit vom Lochness und Inverness entfernt, verbrachten wir vor allem wandernd. Zum einzigen Pub und zum einzigen Supermarket. Dort erstanden wir einen Schirm, der uns noch treue Dienste leisten sollte, und eine Flasche Weisswein, die uns zum Verhängnis werden sollte. In Amsterdam hatte ich auf einer Tafel gelesen, dass eine Flasche Weisswein auf’s Schiff mitzunehmen erlaubt sei. Das mag vielleicht für Holland zutreffen, hier in Schottland ticken die Uhren jedoch anders. Bei der Durchleuchtung unseres Rucksacks wurde genau diese eine Flasche entdeckt, und als Corpus delicti sichergestellt. Wir können sie allerdings bei unserer Ankunft in Amsterdam wieder auslösen. Nur was sollen wir dann noch damit? Tatsächlich bekamen wir sie am Vortag unserer Ankunft wieder ausgehändigt. Nach dem ersten Schluck mussten wir jedoch feststellen, dass er ungeniessbar war.
Wir hätten mit dem öffentlichen Bus nach Inverness fahren können, was uns allerdings nicht interessierte, da wir beide schon dort gewesen waren. Ganz generell hatten wir keine Ausflüge auf dem Schiff oder über die Reederei gebucht, weil wir der Ansicht waren, unser Geld lieber dem Land zur Verfügung zu stellen, als es in ausländische Kanäle fliessen zu lassen. Am nächsten Morgen kamen wir auf den Orkneyinseln an, genaugenommen in Kirkwall, wo wir zum ersten Mal nicht anlegen konnten, und mit Tenderbooten an Land gebracht wurden. Dieses Prozedere gefiel mir so ausnehmend gut, dass ich gleich zweimal an Land ging. Beim zweiten Mal – alleine – kaufte ich für die unzähligen Münzen, deren Wert ich nicht so leicht identifizieren konnte, für Stephan einen Fudge Riegel. Der Verkäufer erliess mir 2 Pence, die mein Barvermögen nicht aufwies.
Kirkwall ist ein netter, kleiner Ort, wenn er nicht gerade von 2.000 Menschen überlaufen wird, wie das bei uns der Fall war. Unser Aufenthalt fand dieses Mal nur bis zum frühen Nachmittag statt, da uns ja noch eine weite Reise nach Island bevorstand.
Am übernächsten Morgen erreichten wir Reykjavik, die kleine Metropole des Nordens, die ständig wächst. Momentan leben etwa 122.000 Menschen dort, also rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung. In einem Land von 103.000 km2, dem zweitgrössten Inselstaat Europas. Die Hauptinsel ist die grösste Vulkaninsel der Erde und befindet sich nur knapp südlich des nördlichen Polarkreises. Es ist das am dünnst besiedelste Land Europas und nimmt auf der Liste des Human Development Reports Platz 9 ein. Zudem haben Isländerinnen und Isländer eines der höchsten Pro – Kopf Einkommen der Welt. Zum Vergleich dazu liegt die Schweiz auf Platz 2. Gemäss dem Gründer des «Index der menschlichen Entwicklung“ (HDI) sind Menschen der wahre Reichtum eines Landes. Das grundlegende Ziel von Entwicklung ist es, eine Umgebung zu schaffen, in dem Menschen ein langes, gesundes und kreatives Leben geniessen können. Das mag wie eine einfache Wahrheit erscheinen, gerät jedoch häufig in Vergessenheit hinter dem Anliegen der Anhäufung materieller Güter und finanziellen Reichtums.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist Island heute noch mit 98,8% verschuldet (Schweiz mit 35,8%). Islands Finanzkrise 2008-2011 war ein grosser wirtschaftlicher und politischer Umbruch in dem nordeuropäischen Land, die mit dem Zusammenbruch aller drei grossen Geschäftsbanken verbunden war. Im Verhältnis zur Grösse seiner Wirtschaft ist Islands Bankenzusammenbruch der grösste von allen Ländern in der Wirtschaftsgeschichte. Übrigens sind die Banker immer noch inhaftiert, in einem Gefängnis in der Nähe von Gundarfjördur, welches nur wegen der Schafe eingezäunt ist, nicht wegen der Häftlinge! Ferner verfügt Island über keine Armee, sondern nur über einen guten Polizeiapparat. Ja wer sollte dieses, einst von den Wikingern gegründete Land auch angreifen, wo im Winter nur 3-4 Stunden die Sonne am Himmel auftaucht? Ausser den Chinesen vielleicht, die zur Aluminiumproduktion die geothermischen Ressourcen benötigen und deshalb tonnenweise Bauxit hierher transportieren.
Aber kommen wir zurück zum heutigen Island und im speziellen zu Reykjavik. Es ist nicht nur das wirtschaftliche und politische Zentrum des Landes, sondern auch das kulturelle. Die «Rauchbucht», wie Reykjavik übersetzt heisst, erhielt erst 1786 das Stadtrecht, zusammen mit vier weiteren Städten auf Island. Auffallend ist die hügelige Lage der Stadt. Vom Perlan, der Perle, die eine Mischung aus Pragmatismus und Futurismus darstellt, ist Reykjaviks zweites Wahrzeichen. Die versiegelte Glaskuppel auf sechs Heizwassertanks, auf dem Gipfel des bewaldeten Hügels Oskjuhio. Dieser Wald hat einen absoluten Seltenheitswert auf Island, nachdem die Wikinger zu Ihrer Zeit alles radikal abgeholzt haben, für Schiffe, Heizung etc. Folglich wuchsen die Bäume aufgrund der seltenen Besonnung und der zögerlichen Photosynthese schlecht nach.
Geothermie wird heute hauptsächlich zur Beheizung von Gebäuden, Fusswegen, Strassen genutzt. Etwa 85% nutzen diese Form der Energie. Deshalb legt man auf Island auch keinerlei Wert auf Isolation oder gute Fenster. Denn Energie und Wasser sind hier im Überfluss vorhanden. Wie der Name schon verkündet, das, «Land aus Eis und Land» mit einer Wasserfläche von 2.750km2.
Apropos Häuser und Preise. Die meisten Isländer verfügen über Wohneigentum. Dieses wird über Bankkredite finanziert, mit einer Laufzeit von 30 bis 40 Jahren. Die Schulen, Krankenhäuser etc. sind staatlich. Es gibt jedoch auch die privaten Institutionen.
Die Preise auf ganz Island sind exorbitant hoch. Einen Kaffee bekommt man nicht unter 6 CHF. Ein kleines Bier kostet 8 CHF. Ein Mittagessen kostet ab 50 CHF. So haben wir einmal eine kleine Gemüsesuppe und eine kleine Schale Skyr für über 30 CHF bezahlt. Die Benutzung eines öffentlichen WC beträgt ab 2.50 CHF. Bei den etwa 500.000 Besuchern jedes Jahr verdient Island ergo schon den grössten Batzen ihrer Einnahmen. Im letzten Jahr übertrafen die Einnahmen aus dem Tourismus erstmal alle anderen Sektoren. Ja und die Touristen kommen, meist sieht man sie in Mietwagen oder Wohnmobilen, die ihren Müll in Abfallcontainern vor den Supermärkten entsorgen. In Island bestellt man in einem Restaurant immer an der Kasse und wird dann auch gleich dazu aufgefordert zu bezahlen. Getränk serviert man sich selbst, Essen wird gebracht. Eigentlich keine schlechte Idee, die Gäste zur Selbstbedienung anzuregen.
Ganz generell kann man wohl sagen, dass Isländer keine Dienstleister sind. Sie erscheinen mir als ziemlich relaxtest Volk, dem «Hektik» ein Fremdwort ist. Auch mit der Sauberkeit nehmen Sie es nicht so genau. Ausser im Schwimmbad, welches kein Chlor enthält und deshalb jeder Besucher dazu angehalten wird, sich vor Eintritt ins Bad, nackt zu duschen. Das nehmen die Isländer dann sehr genau. Sie bürsten ihren Körper, schrubben ihn, waschen ihn. Die Überbleibsel bleiben dann am Boden liegen, wo man büschelweise Haare findet. So haben wir es mindestens in einem Schwimmbad in Seyoisfjördur erlebt.
In Reykjavik sind wir quer durch die Stadt spaziert und haben uns alle Sehenswürdigkeiten, wie die Museen, das Hafenhaus, den Hallgrimskirkj, ein 76 Meter hoher Turm, der als Wahrzeichen der Stadt gilt, Harpa, ein glänzendes Kongress- und Konzerthaus, angesehen. Dort wurde auch ein 15-minütiger 360 Grad Film über Island gezeigt, den wir uns ansahen. Auf die ausserhalb von Reykjavik befindlichen Sehenswürdigkeiten, wie der Blaa. Lonio (blaue Grotte) oder auf Pingvellier, wo damals Island zur Republik ausgerufen wurde, haben wir verzichtet.
Weiter ging es über Nacht nach Grundarfjödur, einem isländischen Dorf mit ca. 900 Einwohnern im Schatten des spektakulären Berges Kirkjufell. An diesem Morgen sah man jedoch noch nichts von der Umgebung, da dichter Nebel und Nieselregen uns die Sicht versperrten. Also buchten wir einen Ausflug, der uns rund um die Halbinsel Snaefellsness führte, um den Kirkjufell herum, bei dem man später am Nachmittag auch freie Sicht auf den Gletscher hatte.
Auf der Fahrt erfuhren wir etwas mehr von Land und Leuten. So zum Beispiel, dass momentan alle Schafe auf den Höhen verweilen, bis sie im September wieder ins Tal getrieben werden, um jedem Eigentümer, dank ihres Chips zugewiesen zu werden. Schafe sieht man überall herumliegen. Verwundert schauen sie den vielen Autos hinterher und fragten sich vielleicht, was die wohl alle dort zu suchen haben. Vom Fischfang erfuhren wir, der innerhalb der 200 Meilen Zone mit grossem Erfolg betrieben wird.
Von Feen und Trollen erfuhren wir ebenfalls. Man muss nicht unbedingt viel Phantasie besitzen, um sich die versteinerten Lavagebilde als Fabelwesen vorzustellen. Isländer sind stolze Menschen, die noch heute voller Stolz auf ihre Sagen zu sprechen kommen. Als wir das vorher beschriebene Gefängnis passierten, wurde uns erzählt, dass man eine weitere Umzäunung in Erwägung ziehen würde, da zu viele Touristen einfach dorthin abbiegen würden um die Insassen zu sehen. Obschon Grundarfjödur ein bedeutender Handelshafen ist, würden wir mit unseren Tenderbooten bis 19 Uhr zum Schiff zurückgebracht, da das Anlegen hier nicht möglich war.
Über Nacht ging es weiter nach Isafjördur, wo wir auf der Fahrt den Polarkreis erreichten. Er ist einer von fünf Breitenkreisen und befindet sich auf 66 Grad, 33,39 nördlicher Breite. Es ist der südlichste Punk der Breite, wo es möglich ist, die Mitternachtssonne nördlich des Äquators zu sehen. Isafjördur liegt am äussersten nordwestlichen Ausläufer Islands. Seit 1569 ist die Stadt ein wichtiges, sich beständig weiterentwickelndes Handelszentrum. Der 724 Meter hohe Eyrarfjall Berg erhebt sich fast vertikal aus der Gruppe von farbigen Häusern, die um Eyri, eine sandige Landzunge an der Mündung des Fjords, herum gebaut sind.
Wir starteten zu Fuss zuerst durch den Ort, dann der Strasse entlang, immer den Blick nach oben gerichtet, wo man vereinzelte Menschen ausmachen konnte. Zuerst war es undenkbar für mich, auch dort oben zu anzukommen. Als ich Stephan endlich davon überzeugen konnte, ohne mich den Weg nach oben unter die Füsse zu nehmen, wurde ich kurzfristig zum Sherpa umfunktioniert, der den Rucksack schleppte. Er war davon ausgegangen, dass ich unten auf ihn warten würde. Aber mitnichten. In meinem eigenen Tempo nahm ich den Aufstieg in Angriff, bis wir uns oben wieder trafen. Er war bass erstaunt, mich zu sehen. Dieser Tag stellt meinen bisherigen Rekord in Sachen Distanzüberwindung dar.
Wieder über Nacht verliessen wir die Westfjords um am nächsten Morgen durch den Eysafjordur in Richtung Akureyri zu fahren. Dieser Fjord ist einer der tiefsten in ganz Island. Das erklärt ebenfalls die Grabenbildung der europäischen und amerikanischen Erdplatten, die durch Island verläuft und von mutigen Tauchern erkundet werden kann. Übrigens gibt es alle sieben Jahre auf Island einen grösseren Vulkanausbruch, oder eine Wirtschaftskrise. Beides ist bis heute noch nicht eingetreten.
Akureyri ist eine schöne Stadt, die Stadt der Mitternachtssonne, die nach Reykjavik am meisten Eindruck auf uns machte. Gepflegt kommt sie daher, die Leute sind freundlicher als in den anderen Orten. Man fährt als Inländer schon mal 150 Kilometer, aus dem Landesinneren hierher, um ein Kreuzfahrtschiff dieser Grösse zu sehen. Stephan kam mit einem Landwirt ins Gespräch und erfuhr, dass er ein 50-jähriger Farmer, der aber nicht mehr arbeitsfähig sei. Alles an ihm sei kaputt, er könne die lange Dunkelheit, die Feuchtigkeit einfach nicht mehr ertragen. Er träume davon nach Kanada auszuwandern. Diesen Traum kann ich sehr gut nachvollziehen. Wie leben Menschen hier in einem Land, in dem es nur gerade drei Monate hell und relativ schön ist? Wie ertragen es die Menschen, von Dunkelheit, Nässe und Wind umgeben zu sein? Vor allem ausserhalb der grösseren Agglomerationen! Treibt sie es immer wieder hinaus in diese unbändige Wildnis, in die Natur? Nur wie bewegen sie sich dann dort? Mit Höhlenlampen? Dass die Menschen auf Island sehr viel Kraft benötigen, um zu überleben, erklärt vielleicht auch, warum sie sich um alles andere nicht gross kümmern. Offenbar fehlt Ihnen der Instinkt der Inuit, der Urbevölkerung von Grönland oder Greenland welches nur gerade 300 km von Island entfernt ist. Empfohlen werden Reisen ausserhalb der Hauptsaison von Juni bis August. Dann könne man wirklich Natur pur geniessen.
In der darauffolgenden Nacht wurde es erstmals rau auf See. Das zehnstöckige Schiff wurde ein wenig durchgeschüttelt. Am kommenden Morgen liefen wir in Seydisfjordur ein, unserer letzten Station im Osten. Man sah fast nichts von der Umgebung. Am vorherigen Tag hatte ich mich geweigert in den Pool zu gehen. Es war ein Sonntag, und halb Akureyri war mit Kind und Kegel im Bad. Heute nun steuerten wir im strömenden Regen auf das Schwimmbad zu. Das Schwimmen ist für jeden Isländer der Nationalsport, deshalb gibt es in jedem Ort auch ein Schwimmbad.
Wir waren, nebst einer Frau die einzigen Gäste und konnten somit wunderbar schwimmen, bevor wir zum Abschluss in den Hot Tube gingen, der auf 40 Grad aufgeheizt war. Die Dame an der Kasse strickte und konnte uns keine Auskunft darüber geben, ob die Beheizung geothermisch funktioniert. Sie wurde nur von anderen Gästen aufgescheucht, als ein Mann mit Kind auf dem Arm, die Treppe hinunterstürzte und das Kind zu schreien begann. Ja auch die Einrichtungen in sogenannt öffentlichen Räumlichkeiten sind so eine Sache für sich. Auf Sicherheit wird kein grosser Wert gelegt. Wozu denn auch- alles Natur pur. Unter der Dusche kam ich mit der Dame aus dem Bad in Kontakt. Sie war 55 Jahre alt, wirkte auf mich allerdings wie über 70. Sie käme jeden Montag, Mittwoch und Freitag hierher. Das täte ihr gut. Im Ausland sei sie noch nie gewesen. Das interessiere sie nicht.
Unser Besuch im Bad hatte sich bezahlt gemacht. Nun kam die Sonne ein klitzekleines Bisschen hervor. Seydisfjordur zeigte sich von seiner hübschen Seite. Überhaupt kann man für Island nur schwer Wetterprognosen erstellen, es ändert sich sehr schnell. Manchmal ist es fast T-Shirt Wetter, dann wieder bitterkalt, feucht oder windig. Oder alles zusammen.
Als ich unseren Kaffee und Tee bestellte, war ein Gast vor mir an der Kasse, der eine Übernachtung inklusive Frühstück für zwei Personen bezahlte, 440 CHF. Ja, das ist Island. Und das in einem Hotel, welches wir gemessen an unseren Standards, eher als Ramshackle bezeichnen würden. Noch dazu irgendwo im tiefsten Hinterland, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen.
Hier endet nun also unsere Reise rund um Island. Einem wilden Land, übersäht mit Wasserfällen, ohne Ende, Gletschern, Vulkanen, Lavafeldern. Eigentlich war’s das dann auch schon. Die Wale hielten sich versteckt, was wir von anderen Gästen erfuhren, die eine fünfstündige Whalewatchingtour gebucht hatten. Genau das hatte ich befürchtet. Denn jetzt sind die ja beim Krillfressen am Nordpol.
Von anderen Ausflügen, was wir auch von anderen Leuten erfuhren, sah man unspektakuläre Vulkankrater, Wasserfälle in jeder Variation und Berge. Genau deshalb sind wir ja nach Island gekommen, Natur pur, eben!
Heute wird gemäss der Internationalen Astronomischen Union, der Himmel in 88 offizielle Konstellationen mit genauen Grenzen eingeteilt, sodass jeder Punkt der Himmelsphäre, zu einer festgelegten Konstellation gehört. Welche von den nördlichen Breiten sichtbar sind, basieren hauptsächlich auf jenen der antiken griechischen Tradition und ihre Namen erinnern an mythologische Figuren wie Pegasus oder Herkules. Diejenigen, die von der südlichen Hemisphäre aus sichtbar waren, wurden stattdessen in der Zeit der Aufklärung getauft und ihre Namen sind oft mit Erfindungen der Zeit, wie der Uhr oder dem Mikroskop verbunden. Die 12 Konstellationen, welche die Ekliptik kreuzen, bilden den Tierkreis. Darüber hinaus listete Ptolemäus bereits in der Antike 36 weitere Konstellationen auf. Intern sind es 38 aufgrund der Unterteilung des Argo Schiffes, in drei neue Konstellationen.
Mag sein, dass sich die zu damaligen Zeit der rabaukigen Wikinger an diesen Konstellationen orientiert haben, als sie von Norwegen her, Island bevölkerten. Auch die Entdeckung des Kompasses wird den Chinesen und Wikingern zugeschrieben. Sie entdeckten das Magnetfeld der Erde. Sobald die Lage des Nordens bekannt war, konnte der Süden als entgegengesetzte Richtung identifiziert werden, während der Westen und Osten jeweils rechts und links vom Beobachter nach Norden festgelegt wurden. Der Kompass wurde im 12. Jahrhundert vermutlich von den Arabern in Europa eingeführt. Viel früher verfügten die Wikinger aber schon über diese fundamentale Erkenntnis, sich auf offener See zu bewegen.
874 lässt sich Ingölfur Arnason dauerhaft auf Island nieder. 930 wird in Pingvellier der unabhängige Staat ausgerufen. Im Jahr 1000 bekannten sich die Wikinger zum Christentum, nachdem sie früher heidnische Bräuche pflegten. Im Jahr 1262 wird der Norwegische König zum Monarchen Islands. 1380 fallen Island und Norwegen an Dänemark. Bis 1854 verelendet Island unter dem dänischen Handelsmonopol. 1904 löst Hannes Hafsteinn als erster isländischer Minister den dänischen Gouverneur ab. Erst 1944 wird die Republik Island ausgerufen. Bevor 874 Island besiedelt wurde, verbrachten einige, hartgesottene Wikinger gerade einmal einen Winter auf der rauen Insel, bevor sie auf 500 Kilometer südwestlich gelegenen Färöer-Inseln weiterzogen, die ein angenehmeres Klima aufweisen.
Nebst den Witschaftsembargos der Dänen, wüteten mehrere Naturkatastrophen auf Island. Hungersnöte, Epidemien und tiefste Armut, wie sie der isländische Literaturnobelpreisträger Halidor Laxness, in seinem Roman « Die Islandglocke» schildert, waren die Folgen.
Als sie endlich dem Kolonialismus, 1944 entgangen waren, profitierte Island in mehreren Hinsichten vom Zweiten Weltkrieg. Die Amerikaner bauten in Keflavik, 40 Kilometer nördlich von Reykjavik einen Flughafen und errichteten die Ringstrasse. Als Keflavik schlussendlich zum Militärstützpunkt der Amerikaner wurde, begann die Verhältnises problematisch zu werden. Wollten sie ein zweites Mal ein Kolonialstaat werden? Jedoch ermöglichte die amerikanische Anwesenheit den Sprung vom Mittelalter in die Neuzeit. Ausserdem hatten die Isländer damals schon von der Landwirtschaft auf den wesentlich lukrativeren Fischfang umgestellt.
Island ist das Land der Stille, welches wir nun verlassen.
Am Abend vor unserer Abfahrt wurden wir darüber über eine Kursänderung informiert. Statt nach Lerwick, auf den Shetlandinseln zu fahren, nahmen wir Kurs auf Bergen. Wir sind gespannt, was uns in Norwegen erwartet. Offenbar war es die stürmische See und der starke Gegenwind, der zu dieser Kursänderung führte.
In dieser Nacht spürten wir hohe Wellen und es blies uns ein eiskalter Wind entgegen. Aber am anderen Morgen begrüsst uns eine liebliche Küste, mit aus dem Wasser ragenden «Schären», kleine felsige Inseln. Wir laufen in Bergen ein und sofort sieht man ganz deutlich die Unterschiede zu Island. Wir sind in einem reichen Land, was sich in den Bauwerken ausdrückt. Wir sind in einer lebendigen Stadt, was man auch hört. Schnell machen wir uns auf den Weg durch die Stadt. Bergen ist nach Oslo die zweitgrösste Stadt in Norwegen und wurde im 11. Jahrhundert von König Olav Kyrre gegründet. Die Stadt ist von Bergen umgeben, weshalb sie auch die Stadt der sieben Berge genannt wird.
Viele Geschäfte reihen sich um den Hafen, aber auch Sehenswürdigkeiten wie das Bryggenmuseum, die historische Marienkirche, und die Fantoft Stabkirche. Auf zwei Bergen hat man einen schönen Ausblick über die Stadt und die umliegenden Fjorde. Am Abend verlassen wir die Stadt (leider) wieder und steuern nun unserer letzten Destination zu, Bremerhaven, wo wir jedoch nur gerade 6 Stunden liegen werden, bevor es zurück nach Amsterdam geht.
Heute, nach dem Frühstück wurden wird über das Ausschiffungsprozedere informiert. Und auch darüber, dass es an Bord 857 Mitarbeitende aus insgesamt 14 Nationen gibt, die Arbeitsverträge von 4 – 9 Monate haben und 11 Stunden pro Tag arbeiten. Und das nota bene ohne Freitage. Die Wäscherei hat einen 24-Stunden-Betrieb, wie auch andere Arbeiten an Bord häufig in der Nacht erledigt werden. Für uns Passagiere geschieht das alles unmerklich, dass über Nacht Teppiche neu verlegt werden, Schreinerarbeiten wie von Zauberhand geschehen, und vieles mehr.
Alles hat seinen Preis, manchmal beschämend für uns als Konsumenten, wenn wir uns bewusst machen, was die Filipinos, Indonesier, Malaien, Inder oder Chinesen auf sich nehmen, um uns diese Reise zu ermöglichen. Was sie wohl denken, diese vielen, für uns, namenlosen Persönlichkeiten? Eins sah man bei den Landgängen immer wieder: wie sie begannen zu telefonieren, vor dem Schiff stehend, mit den Menschen in ihren Heimatländern. Was sie wohl zu erzählen hatten? Sicher nichts von den Ländern, in denen sie sich gerade aufhielten, den bekamen sie kaum zu sehen.
Wir hingegen haben zumindest einen guten Eindruck erhalten, von all unseren Destinationen. Ob es uns jemals dorthin zurückbringen wird, lassen wir offen. Auf jeden Fall war es eine Reise wert. Und genau in fünf Monaten heisst es wieder Schiff ahoi.
Martina Remonda, im Sommer 2018