von: Urs Heinz Aerni
22. Mai 2020
© Leserbrief in der Zeitung SÜDOSTSCHWEIZ
Am 30. April verschüttete ich Kaffee, als ich in der «Südostschweiz» Seite 12 aufschlug. In einem Leserbrief verglich Assunta Collenberg-Deplazes aus Lumbrein den WWF mit den alten Römern und die heutigen Bauern mit den Sklaven in der Arena, umringt von Löwen – sprich heute Wölfen. Liebe Frau Collenberg-Deplazes, erlauben Sie mir den Versuch, hier aufzuzeigen, dass Ihr Vergleich doch recht deplatziert ist.
Die alten Römer überrannten Völker, zerstörten für Millionen von Menschen ein eigenständiges Leben, Freiheit, die Existenz. Bis jetzt – auch nach intensiven Recherchen – kann ein ähnliches Gebaren weder dem WWF noch ähnlichen Organisationen wie Greenpeace, Pro Natura oder BirdLife angelastet werden.
Zu den Löwen. Die bedauernswerten Geschöpfe verloren damals durch Jagd, Fang und einer nicht artgerechten Haltung ihre Würde. Das macht aggressiv und hungrig. Während die Löwen in die Städte transportiert wurden, lebten hier bei uns die Wölfe, bevor wir Menschen «Hä?» sagen konnten. Wenn wir bei diesem Bild bleiben möchten, kommen wir nicht umhin, zu konstatieren, dass es genau umgekehrt wäre. Die Menschen (also die Römer) überrannten Täler und Wälder, verbauten und holzten, verdrängten und jagten, erschossen und vergifteten einen Großteil der Lebewesen, die da waren. Mit dem Effekt des schnellsten Artensterbens, das der blaue Planet je erlebt hatte. Deplatziert ist auch der Vergleich mit den heutigen Bauern und Hirten mit den damaligen Sklaven. Mir ist nicht bekannt, dass die bemitleidenswerten Menschen in der Arena Mittel zur Verteidigung gehabt hätten wie: Rechtliche Massnahmen, Kompensationszahlungen, Schutzmaßnahmen (Herdenhunde, Zäune etc) und die Chance, vor der Menge, also der Öffentlichkeit, sich zu äußern, Hilfen zu beantragen und eine Debatte anzustoßen.
Die Frage, wie wir mit den Lebewesen, die vor uns in den Alpen ihre Daseinsberechtigung hatten, umgehen sollen, muss gemeinsam am runden Tisch diskutiert werden. Jedoch der besagte Leserbrief gleicht einem Zweihänder aus der Römerzeit.
Urs Heinz Aerni
Ist zuerst in der Zeitung BÜNDNER WOCHE erschienen.