von: Urs Heinz Aerni
20. Juli 2017
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Urs Heinz Aerni: Regine Frei, der Krimi boomt und solche mit regionalen Bezügen erst recht. Wie hat es Sie erwischt? Von der Leserin zur Schreibern?
Regine Frei: Als ich 1987 in der Taschenbuchabteilung der Buchhandlung Stauffacher in Bern anfing, hatte ich keine Ahnung von Krimis. Dort wurden gerade die Gebiete zur Betreuung neu verteilt und ich – die jüngste Buchhändlerin im Team – musste eben nehmen war übrig blieb: Krimis.
Aerni: Klingt ja nicht gerade begeistert…
Frei: … durch einen Stammkunden ließ ich mich ins Gebiet einführen, las möglichst viele verschiedene Autoren und erkannte bald, was mir selber zusagte und was nicht. Mit einem Stammkunden, der beinahe täglich in der Mittagspause vorbei kam, fachsimpelte ich jahrelang über die verschiedenen Titel und Autoren.
Aerni: Dann kam mal die Idee es selber zu versuchen?
Frei: Irgendwann, Ende der Neunziger Jahre dachte ich bei einem solchen Gespräch plötzlich: ‚He, könntest du es denn selber besser? Es ist einfach, über andere zu urteilen. Probier’s doch mal.‘ Bis dahin hatte ich öfters Kurzgeschichten geschrieben und als Teenager zwei Romane, die unveröffentlicht blieben.
Aerni: Und, wie lange hat’s gedauert?
Frei: Ein Krimi, braucht viel Planung und es war eine echte Herausforderung. Es dauerte etwa vier Jahre, bis ich „Gerechtigkeit für Veronika“ geschrieben hatte.
Aerni: Wie waren die Reaktionen?
Frei: Eigentlich war es ja nur für mich und meine Freunde gedacht, doch viele Freunde fanden es so gut, dass ich es schließlich bei Book on Demand herausgab.
Aerni: Während der erste Roman zwischen Südengland und Bern pendelt, situieren sich die Geschichten der beiden folgenden in der Region Bern. Was macht Bern als gute Krimi-Kulisse aus?
Frei: Bern ist eine wunderschöne, friedliche und für mich „freundliche“ Stadt. Ich lebe hier seit 1987 und fühle mich wohl. Es gibt schöne Quartiere, eine atmosphärische Altstadt und die Leute sind nicht im Dauerstress.
Aerni: Nicht gerade die geeignete Ursuppe für einen Krimi, oder?
Frei: Richtig, all das ist ja für einen Krimi eher untypisch und genau das reizt mich. In einer Stadt, in der es von Gangstern nur so wimmelt fällt ein Verbrechen kaum noch auf. Aber wenn in der Idylle ein Verbrechen geschieht, bringt das die Menschen aus dem Gleichgewicht. Die Fassade kommt ins Wanken und plötzlich sieht man, dass in der hübschen, friedlichen Stadt doch nicht alles in Ordnung ist.
Aerni: Der pensionierte Lehrer Robert Hofer ist eine wichtige Figur im aktuellen Roman, Sie arbeiten mit üblichen Namen wie Blaser, Schaffer, Lüthi, Gygax und sogar Aerni (räuspert sich). Irgendwo im Roman wird auch gesagt, dass zum Beispiel Lüthi ein häufiger Name sei. Wie suchen Sie die Namen aus und wie wissen Sie, dass sie auch passen?
Frei: Die Namen sind alles eher alltägliche Namen, denn auch sie zeigen, dass hier das „normale“ Leben läuft. Der Leser soll das Gefühl haben, dass es sich bei den Personen um einen Nachbarn, Freund oder Verwandten handeln könnte. So fühlt er sich im Buch zu Hause.
Aerni: Gab es keine Zufallstreffer mit den Namen bei der Polizei?
Frei: Die Namen der Fahnder habe ich von einem Mitarbeiter des Kriminaltechnischen Dienstes überprüfen lassen, damit es keine Übereinstimmungen mit echten Fahndern gibt. Ich zeigte ihm die Familiennamen und er bestimmte dann die Vornamen. Manchmal ist ein Name einer Nebenfigur auch ein kleiner Gruß oder ein Dankeschön an einen Leser oder Helfer. Zum Beispiel gibt es einen sehr netten alten Landwirt, der meine Bücher gerne liest; Fritz Gerber. Daher heißt der Polizist, der die erste Befragung von Hofer und Erismann durchführt so.
Aerni: Der Roman beginnt mit einem Leichenfund und löst für Finder einen weiteren Polizeibesuch aus, so dass nun die Geschichte ihren Lauf findet. Wie beginnen Sie eine Geschichte?
Frei: Meist denke ich sehr lange über die Handlung nach, bevor ich anfange, mir Notizen zu machen. Ich gehe schon während Jahren ein bis zwei Mal die Woche die Nydeggtreppe hinunter und wieder hinauf auf dem Weg ins Rückentraining…
Aerni: Die im Roman eine wesentliche Rolle spielt…
Frei: Genau. Diese Treppe hat Atmosphäre und ich wollte sie sehr gerne in die Handlung einbeziehen. – Dann traf ich immer zur selben Zeit einen älteren Mann mit Hund.
Aerni: Was löste er bei Ihnen aus?
Frei: Der Mann wirkte einsam und ich hätte es gerne gesehen, wenn er auch mal mit einem guten Kollegen unterwegs gewesen wäre, nicht immer nur mit seinem Hund. Und so kam mir plötzlich die Idee, dass Herr Hofer sich eigentlich mit einem Mann mit Hund anfreunden könnte. Ich beschloss, dass er – so wie ich – jede Woche zwei Mal ins Training gehen sollte und so lag es nahe, dass die beiden sich dort treffen. Aus diesen Grundelementen hat sich die Geschichte dann langsam ergeben. Ich habe mehrere Monate geplant und Details notiert, bis ich mit dem Schreiben angefangen habe.
Aerni: Der Text gewinnt durch viele Dialoge. Wie halten Sie die Figuren auseinander, so dass sie beim vielen Reden nicht irgendwann vermengt werden?
Frei:Wenn ich schreibe, habe ich einen Film im Kopf. Ich versinke in der Handlung und schreibe eigentlich nur auf, was vor meinem inneren Auge geschieht. Ein oder zwei Mal ist es mir passiert, dass ich einen falschen Vornamen geschrieben habe, doch sonst kommen mir die Personen eigentlich nie durcheinander.
Aerni: Viele Autorinnen und Autoren reden immer wieder davon, dass ihr Personal eigenständig wird.
Frei: Wenn der Film vor mir abläuft kommt es auch bei mir vor, dass die Personen eigenmächtig handeln. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr entwickeln die Leute einen eigenen Charakter und die Handlung verändert sich, weg von meinem Plan.
Aerni: Und dann?
Frei: Wenn ich am Ende des Buches meine Notizen zum Gang der Handlung wieder durchlese, muss ich dann oft schmunzeln. Meine „schlechten“ Menschen sind am Ende des Buches immer viel sympathischer als geplant. Es fällt mir offenbar schwer, einen wirklich „bösen“ Charakter zu beschreiben. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich ganz fest an das Gute im Menschen glaube.
Aerni: Regionalkriminalromane sind beliebt und diejenigen aus dem skandinavischen Norden liefern einen Bestseller nach dem anderen. Warum haben Krimis momentan so viel Aufmerksamkeit seitens Publikum und Markt?
Frei: Als ich damals die Krimiabteilung übernahm war diese Art Bücher verpönt. Man las keine Krimis oder höchstens im Geheimen. Darüber sprechen konnte man mit Freunden und Bekannten eigentlich nicht. Ich weiß noch wie erstaunt viele Kunden waren, als ich anfing sie nach ihren Vorlieben zu fragen und mir Tipps von ihnen erbat. Plötzlich standen Leute im Laden, denen man gesagt hatte, in der Buchhandlung arbeite ein Frau die selber auch Krimis lese und viel darüber wisse. Das war damals ganz neu.
Aerni: Was war der Schlüssel, der dem Krimi die Türe zum großen Publikum öffnetet?
Frei: Ich denke, als Donna Leon bei Diogenes erschien, wurde für viele Leute Krimi salonfähig. Mit einem Buch von Diogenes konnte man problemlos zur Kasse gehen. Das Interesse vieler Leute, die sonst nie zur Spannungsliteratur gegriffen hätten, war geweckt. Man sprach über Krimis, man las sie … Heute sagt kaum mehr ein Kunde „Ich weiß nicht, was ich ihm schenken soll. Er liest „nur“ Krimis.“ Dieser Ausdruck hat mich früher furchtbar genervt.
Aerni: Was macht denn der Krimi?
Frei: Krimis sind spannend, sie spiegeln unsere Gesellschaft und faszinieren viele Leute. Es gibt ja nicht nur eine Art von Spannungsliteratur. Es gibt ja auch noch den Thriller und da wieder Psychothriller, Politthriller, Ökothriller etc. Bei den Krimis gibt es nicht nur die Nordischen, auch die Englischen sind sehr beliebt, dann die Regionalkrimis, die so genannten Wohlfühlkrimis oder Schmunzelkrimis… Es gibt für jeden das richtige Buch. Man muss sich nur Zeit nehmen, dann findet man für beinahe jeden Kunden den richtigen Krimi oder für jeden Krimi den richtigen Leser.
Aerni: Was machen Sie gewöhnlich jeweils am Sonntag Abend ab 20 Uhr?
Frei: Der „Tatort“ ist einer der wenigen festen Fernsehtermine bei uns daheim.
Hier finden Sie die Bücher von Regine Frei…
Angaben zum neuen Roman „Gute Nachbarn“: