von: Urs Wigger, ENTLEBUCHER ANZEIGER
8. September 2021
© Bilger Verlag
Er war ein wunderbarer Vater, der Albi. Er liebte die Natur und seine Kin- der. Er war feinsinnig und großzügig. Er stritt nicht, «weil es die Zeit nicht wert war.» Wortkarg war er: Oft ge- nügten ihm Einwortsätze. «Gömmer.» «Schau.» «Schön.» Er war ein «Innerlicher». Ein milder, nüchterner, tapferer Vater – «mein geliebter Vater».
Die letzte Wegstrecke Leben
Susanna Schwager hatte in ähnlicher Form über ihren Großvater (2004) und über «Die Frau des Metzgers» (2007) geschrieben. Authentisch, fast dokumentarisch und gleichzeitig poetisch. Hier erzählt sie von der letzten Wegstrecke Leben ihres alten Vaters. Dieser hat zuerst den Tod seiner Frau Sophie zu verarbeiten. Sie war ihm 70 Jahre «einzige Frau ein ganzes Leben lang». Und dann kam Parkinson, der «seinen Körper mitnahm». So blieb nur noch der Gang in die Altersfürsorge; das war für die Tochter mit schlechtem Gewissen verbunden. Seine Frage klang ihr immer wieder im Ohr: «Warum kann ich nicht zu dir?»
«Absichtslos freundlich»
Einerseits erfährt man, wie es im Al- tersheim sein könnte. Vorbildlich im «Haus der großen Frau», wo man sich mit «absichtsloser Freundlichkeit be- gegnet». Wo man sich gegenseitig ernst nimmt, wo man einander zuhört, wo man sich zusammen freut. Denn in diesem Haus gilt: Wenn sie sich freuen, sind sie weniger krank und brauchen weniger Hilfe – «das rechnet sich».
«Ein Heim – kein Daheim»
Und andererseits wie es leider auch vorkommt. Wo das Altersheim geman- agt wird, wo gespart wird. Wo großzügige Medikamentierung regiert, wo man ruhigstellt. Keine Zeit für persönliche Zuwendung, für Zuhören, schon gar nicht für Gespräche. «Wir sind ein Heim, kein Daheim.» Dementsprechend das Bild, das viele von Altershei- men haben: Wenn sie an einem Tisch sitzen, «so viel Resignation versammelt, so viel Langeweile, so viel durch chemische Zusätze erlangte Geduld».
Schön für Väter
Dieses «Lamento» (Klagelied) ist vielschichtig. Es stellt auch unangenehme Fragen an unser Gesundheitswesen; es fragt sich auch, ob wir sorgfältig genug umgehen mit Menschen in ihrer letz- ten Lebensphase.
Vor allem aber – und das ganz zuerst – ist es eine wunderbare Tochter- Vater-Geschichte, zärtlich und berührend. Dem Vater nahekommen wie vielleicht selten so im ganzen Leben, ihm beistehen, ihn begleiten und sich von ihm verabschieden. Schön für Väter, solche Töchter zu haben.
Urs Wigger