von: Monika Brunsting
23. Dezember 2015
© pd
Als die letzte Auflage des Buches langsam zu Ende ging, machte ich mich an die Überarbeitung. Neue Forschungsergebnisse und Erfahrungen sollten einbezogen werden. Die praktischen Tipps, Links und Litera- turhinweise wurden aktualisiert. Neue Wege, wie man mit seiner ADS besser umgehen kann, kamen dazu.
Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Das Leben wurde in den letzten Jahren noch hektischer, elektronischer und virtueller. Aufmerksamkeit und Konzentration werden dadurch noch stärker herausgefordert. Elektronische Medien und Bildschirme haben nichts an Anziehungskraft verloren und nach wie vor weiß man nicht, warum ausgerechnet ADHS- und ADS-Betroffene so sehr von ihnen in Bann gezogen werden.
Moderne Arbeitsprozesse und damit verbundene ständige Erreich- barkeiten führen dazu, dass Eltern nur noch selten präsent sind. Mütter mit Kinderwagen telefonieren oder schreiben SMS während sie mit ihren Kindern spazieren gehen – Väter übrigens auch. Ob sie in diesem Augenblick beim Kind, beim abwesenden Gesprächspartner oder bei der SMS sind, ist oft gar nicht einfach zu beantworten. Sicher ist nur: Viele rennen im Hamsterrad.
Die Familien selbst haben es nicht einfacher in den letzten Jahren. Stress am Arbeitsplatz gibt es längst für viele Väter und Mütter gleicher- maßen. Freizeitstress hat sich vielerorts dem Arbeitsstress an die Fersen geheftet. Es sieht manchmal aus, als ob ein Leben ohne Stress gar nicht mehr denkbar wäre. Den einen hat man von der Gesellschaft aufgebürdet bekommen und den andern lädt man sich gleich selber auf. Ohne dass man es merkt – und das macht ihn noch gefährlicher, denn so ist man ihm schutzlos ausgeliefert. Bemerkt man ihn, kann man meist etwas ver- ändern, kann man das Hamsterrad wenigstens zeitweise anhalten, kurz aussteigen und eine Pause machen.
Schulen sind integrativer (inklusiver) geworden. Die Heterogenität in den Schulzimmern hat erheblich zugenommen. Es sind Kinder und Jugendliche mit den verschiedenartigsten Schwierigkeiten zu betreuen – und mittendrin sitzen in vielen Klassen Kinder oder Jugendliche mit ADS oder ADHS.
Durch die Inklusion und die damit verbundenen hohen Ansprü- che an die Schule wird es in den Klassenzimmern unruhiger. Die Auf- merksamkeit der Lehrpersonen ist ständig herausgefordert. Vielen unter ihnen droht eine AD(H)S, eine inklusionsbedingte sozusagen… Auch Lehrpersonen selbst müssen auf ihre eigene Ruhe achten, damit sie den Unterricht gut führen können.
Die inklusive Schule kann ohne sehr differenzierte Lern- und För- derpläne ebenso wenig auskommen wie ohne moderne Lehr-/Lern- settings. Diese stellen hohe Ansprüche an die exekutiven Funktionen (z.B. Selbststeuerung, Flexibilität des Verhaltens und Motivation). Die Anforderungen möglichst gut zu dosieren, scheint ein Gebot der Stunde zu sein – und zwar in der Schule, wie auch im Lehrbetrieb und am Arbeitsplatz.
Gewisse Lernschwierigkeiten, von denen viele ADS-Kinder betroffen sind (wie z.B. Lese-Rechtschreibschwierigkeiten oder Dyskalkulie), können in der Schule nicht mehr gezielt angegangen werden, weil die Ressourcen fehlen. Hier muss man nun schulisch wenigstens nicht mehr mit einem Nachteil rechnen, gibt es doch inzwischen einen Nachteilsaus- gleich, der helfen kann, die passende Schule ohne Nachteil abzuschlie- ßen. Eltern und junge Erwachsene selbst können sich um einen solchen bemühen. Auf den oberen Schulstufen, in der Berufsausbildung oder in einer beruflichen Weiterbildung kann das sehr hilfreich sein (s. Etappe 30).
Was sind Konsequenzen aus all diesen Veränderungen?
Die ADHS- Betroffenen erhalten vielleicht noch einige Unterstützung, denn sie fallen ja meist auf. Die ADS-Betroffenen dagegen sind mehr oder weniger sich selbst überlassen. Sie wehren sich nicht und wenn die Leistung nicht stimmt, werden viele bald still und leise abgestuft, auf die nächste Stufe mit den einfacheren Ansprüchen. Dies geschieht in der Volksschule, in der Berufsschule ebenso wie am Arbeitsplatz.
Was ist nun hier dazugekommen?
Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen und deshalb gilt es, ADS-Betroffene so gut wie möglich zu wappnen, damit sie sich in diesen herausfordernden Lern- und Arbeitsumgebungen möglichst gut zurecht- finden. Das ist nach wie vor das Ziel des Buches, auch in der vierten Auflage.
Auf der Suche nach guten Möglichkeiten, sich auf die verschiedenar- tigen Herausforderungen einzustellen und mit diesen so gut wie möglich umzugehen, bin ich auf das Konzept der Achtsamkeit gestoßen. Dieses ist wie kein anderes in der Lage, Aufmerksamkeit, Konzentration und Selbstregulation zu stärken, sie zu entwickeln und zu fördern. In Kapitel 3 wird das Konzept der Achtsamkeit kurz erläutert und mit Literatu- rangaben für Leser, die mehr wissen wollen, ergänzt. In vielen Kapiteln („Etappen“) sind konkrete Anleitungen zu Achtsamkeitsübungen zu finden. Einige sind auf der beiliegenden CD zum Hören. So wird es ziemlich einfach zu lernen, im Alltag achtsam zu sein.
Das Motto „Take it easy – but take it“ gilt auch für die vierte Auflage. Es ist wirklich besser, mit dem Buch zu experimentieren und zu arbeiten als es nur zu lesen.
Das Buch „Träumer oder ADS?“ von Monika Brunsting kann hier direkt bestellt werden.
Dr. Monika Brunsting verfügt über Erfahrung als Lehrerin, Schulpsychologin, Kinder- und Jugendpsychologin, sowie als Psychotherapeutin und Sonderpädagogin. Ferner wirkt sie als Dozentin für verschiedene Aus- und Weiterbildungsinstitutionen (z.B. Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Lehrerweiterbildung verschiedener Kantone). Sie ist Autorin von Fachartikeln und Büchern zum Thema Lernen, Lernschwierigkeiten, ADHS und Stress. Monika Brunsting ist Mutter zweier erwachsener Söhne. In Ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gern mit Lesen, Schreiben, Schnorcheln und Achtsamkeit.