von: Burkard Jahn
4. Juli 2018
© Bucher Verlag
„Jenesland“, so merken wir schnell, ist – wo immer es im Einzelfall liegt – das Land der Sehnsucht, der glücklichen Erinnerung, der Sinnlichkeit. Und Dichtung ist hier, was sie nicht nur, aber eben auch sein kann: Ver-Dichtung, Komprimierung des Empfindungskerns auf den kleinsten Nenner der höchsten Sprengkraft und Wirkungsmacht. Und wer die so selbstbewussten Bilder des Malers Giorgio Avanti kennt, diese so virtuosen Bekenntnissse zu Opulenz und Vitalität, zu Weltbejahung bei aller Brillanz im Er-Schauen wie im Durch-Schauen, der findet in der literarischen Arbeit Avantis, eben auch in seiner Lyrik, vertraute Melodien, nur eben gespielt auf einem ganz anderen Instrument: Panflöte statt Donner-Orgel.
Schönheit des Lebens, der Welt, des Eros, hier werden sie so selbstbewusst gefeiert, dass sie die so weit verbreitete Kehrseite solcher Empfindungen, die lang schon zum Klischee gewordene „kritische Haltung“ zur conditio humana, fast verspotten. Verspotten nicht durch angriffige Gegenrede, sondern durch die Noblesse der Stilsicherheit und des Reichtums an unverstellter Wahrnehmungskraft.
Gibt es denn keinen Rausch der beglückten Empfindung mehr: vor der Schönheit einer Frau oder einer Landschaft, einer Sommernacht, einer Vedute unter südlichem Himmel?
Gibt es niemanden mehr, der dergleichen bemerkt? Sicher nicht! Wie fragwürdig daher der selbsterklärte Alleinvertretungsanspruch der allumfassenden Verallgemeiner, die das Niedrige, das „Gemeine“, das rundherum zu Beklagende als Leitmelodie und unveränderlichen Basso Continuo der Weltsicht reklamieren. Und wenn sie auch restlos im Recht wären: wäre dann nicht noch tausendfach notwendiger die Evokation der Ergriffenheiten, zu denen der Mensch doch fähig, wenn nicht gar geschaffen ist?
Die rund einhundert Gedichte des nobel gestaltenen kleines Bandes siedeln fraglos zu einem grossen Teil im Mediterranen, in dessen idealen Ambiencen – so bedroht sie wie alles Schöne in der gegenwärtigen Welt auch sein mögen. Hier gilt es dem Aeternen, nicht der Verwüstung, nicht der Besudelung durch die Myriaden der Freizeitsnack- und Schnäppchenjäger.
„deine länder
zu begehen –
flügelschlag
und abendtau
fliege fliege
flüstertraum“
Einmal geht das Gedenken – wohl angesichts der betörenden Villa in Gargnano, heute ein Luxushotel – zum früheren Besitzer, dem unseligen Giangiacomo Feltrinelli und seiner so mit Wirrnis aufgeladenen Seele vor dem zu sprengenden Strommasten. Erschütternder Wundbrand einer anderen Zeit aus der Warte einer späteren mit ihren neuen, nun gleichfalls verwirrenden Wundbränden im kollektiven Bewusstsein.
Dann wieder mag in äusserster Verdichtung hinter den „rauten deiner fenster“ eine zutiefst erotische Obsession stehen, und hinter dem „glitzern niemandlandes segel“ vielleicht gar das Atom einer Sorge um den Verlust der sexuellen Oberhoheit über die geliebte, begehrte Frau.
Tyche, die griechische Schicksalgöttin, die der römischen Fortuna entspricht, webt und schwebt immer wieder in den Versen wie andererseits die „blaue blume“, dieser geheime Code der Romantik, auf die in der Sinnlichkeit und Mystik hier ein spielerischer Bezug im Minimen genommen ist, wo an anderer Stelle einmal „Chanel No. 5“ eine kleinere Unvergänglichkeit des Sinnlichen reklamiert.
Genau achtzehn zu Worten gewordene Wörter stellen Venedig ins Bild tiefen Empfindungshorizontes, „mit schwarzem lack“ sind die Gondeln wie die Särge des vielbeschworenen Moribunden umrissen, wir fühlen beim „blumenflor“ das auf dem Pflaster so schnell verdampfende Wasser um die Blumenstände.
Ob es nun heute Venedig ist, Gargnano, eine Kykladeninsel oder der Souk Marrakeschs: die Flutung mit seelenlosen Kollektiven eint alle Traumorte der Welt. Und erfahrenes Leid der vergangenen Jahre setzt das Wort des Dichters zu Marrakesch eigendynamisch in beklemmende Bedeutung: „….und über dunkle gassen/ weht der ruf des muezzins.“
Hier sind Gassen dunkler geworden, als sie einst waren, die letzte Zeile wird zur Gewitterwolke über der vergötterten Harmonie des Humanen. Das „ES“, das hier spricht, schert sich nicht um Normierung. Und wer das Schöne, das vergeht, besingt, der kann auch ein Retter sein. Das „flüsterland“ der „sommervögel“ wirkt nach in unseren Seelen. So wie die Angst den Dichter bei aller Feier der Welt begleitet und sich ihr Wortbett bereitet –
„……
totgeboren
liegt mein haupt
auf mohn und
lichten zeichen.“
Und in neun Worten schwingt das esoterische „oben ist unten“ mit, wenn dieser so knappe Funkspruch den Gegensatz auflöst zwischen dem Tiefsten und dem Höchsten in der Erfüllung des Liebesaktes – tiefster Brunnengrund und Sternenhimmel. Mit Knize ten, dem Herrenduft-Klassiker, seidenem Morgenmantel und dem Hotelzimmer in Monte Carlo gelangen wir spielerisch in die Zeit geschmückterer Begierde, als sie der Atem der Gegenwart gestattet, und diese Un-Verschämtheit darf sich erlauben, wer so messerscharf analysiert, dass
….die köpfe wilder pferde
gellend schreiend
unentwegt verwesen.“
Wir müssen‘s wohl leiden!
– JENESLAND von Giorgio Avanti: begnadete Schönschrift, Denkschrift und – hier das Mysterium: – opulente Kurzschrift. Verdichtete Worte als geheime Türen zum Universum.
Burkhard Jahn
Die Angaben zum besprochenen Buch:
Titel: | Jenesland |
Untertitel: | gedichte von unterwegs |
Autor: | Avanti Giorgio |
EAN: | 9783990184653 |
ISBN: | 978-3-99018-465-3 |
Format: | Fester Einband |
Verlag: | Bucher GmbH & Co.KG |
Genre: | Lyrik & Dramatik |
Anzahl Seiten: | 115 |
Burkhard Jahn lebt als Autor, Regisseur und Schauspieler bei Zürich. Von ihm sind u. a. diese Werke erschienen: