von: Urs Heinz Aerni
19. Mai 2016
© Scheidegger & Spiess
Der neue Gotthardtunnel wird als Jahrhundertprojekt bezeichnet. Schon fast wird mit dem gleichen Atemzug das Loch aller Löcher zusammen mit dem Eiffelturm und Miss Liberty erwähnt. Ob uns dann die Tessiner näherkommen oder umgekehrt, wird sich weisen, denn trotz Lötschbergtunnel, sind wir immer noch die „Üsserschwyzer“ für die da im Wallis. Aber in Vorfreude auf die 20 Minuten langen Tunnelfahrt ohne Aussicht aber mit der Aussicht während dieser Zeit in schönen Büchern blättern zu können, seien aus der Flut der Gotthard-Novitäten diese drei Titel hervorgehoben:
Dieses unglaublich dicke querformatige Werk mit fast 1000 Seiten Papier, liegt schwer auf den Knien aber elegant auf dem Wohnzimmertisch. Es ist ein Kompendium voller historischen Karten, Grafiken und Bauplänen von Postaustos und Lokomotiven. Portraitskizzen von Künstlern, geologische Querschnitte, Konstruktionszeichnungen von Brücken und Weichen. Kurz: Ein Leseschinken mit ungeahnter Tiefe um sich blätternd verheddern zu lassen. Allfälligen Gegnern dieses Bahntunnels könnte man sagen, dass es ohne den Tunnel dieses Prachtsbuch nicht gäbe, was doch schade wäre.
2. „Gotthard – Der Pass und sein Mythos“ von Helmut Stalder, Orell Füssli
Stalder ist ein lesenswertes Buch gelungen, dass einen Einstieg ermöglicht in die sagenhafte Welt rund um das Massiv namens Gotthard. Was gefällt, sind nicht nur seine Ausführungen zu Hintergründen von Schlachten und Gerüchten, sondern auch die zahlreichen Zitate aus historischen Schriften. Das Buch zeigt zudem auf, dass der Gotthard eine Art Nerv der nationalen Befindlichkeit ist, der sich mal heilend, mal trennend spüren lässt. Mein Lieblingssatz steht auf Seite 265: „Im Mythos werden historische oder als historisch angesehene Ereignisse in ein Sinnbad getaucht, mit Bedeutung getränkt und zu zeitloser Gültigkeit erhoben.“ Solche Sätze machen ein gutes Sachbuch aus, finde ich.
3. „Gotthard“ von Zora del Buono, Novelle, C. H. Beck
Sie ist für so ein Thema die richtige Autorin, die studierte Architektin und Gründungsmitglied der Zeitschrift „mare“, da sie genau zwischen Technologie und Natur pendelt. Ihr Reisebuch zu alten Bäumen gehört in jedes Regal, deshalb pellte ich mit Neugier ihr neuestes Werk aus der Folie um in der Zeit zu landen, als sich damals die Täler vor den Tunnelbaustellen in kochende, dampfende Kleinstädte verwandelten, voll von sehnsüchtigen Arbeitern und dienenden Dirnen mit all den dazugehörenden Geschichten. Während der Lektüre erinnerte ich mich auf ein Leseerlebnis im Jahre 2006 zurück: Wolfgang Mock veröffentlichte damals den Roman „Simplon“ im heute nicht mehr existierenden Verlag Tisch 7 und es gelang ihm, hautnah von den damaligen Arbeitern und Dorfbewohnern zu erzählen, deren Leben sich durch den Tunnelbau völlig veränderte. Ob Simplon oder Gotthard, der Bau einer Verbindung von zwei Bergseiten, verbindet nicht nur Welten, sondern zerstört Leben und weckt neue Liebe.
Weitere Informationen über den neuen Bahntunnel durch den Gotthard finden Sie hier…