von: Tabea Steiner
4. November 2019
© Lit Mollet - Ritter Verlag Klagenfurt
Das Schreiben war stets Teil ihres Wirkens, an die Öffentlichkeit ist sie aber relativ spät getreten – dafür umso fulminanter. Ihr Werk ist geprägt von einer Aufmerksamkeit für das Detail, für das, was hinter den Dingen liegt – ohne, dass die Autorin je den Blick auf das Ganze verlieren würde. Sie verschiebt höchstens ein wenig den Fokus.
Aber wie sie das macht, diesen Fokus verschieben, mit kleinen Gesten, beinah unmerklich – man merkt es erst daran, dass man plötzlich eine ganz andere Aussicht hat.
Wenn man Li Mollets Werk beschreiben will, dann schaut man am besten ganz genau in die Texte. Wie schon in früheren Büchern ist auch hier ein Phänomen zu beobachten, das beinahe schon als Alleinstellungsmerkmal bezeichnet werden könnte: Selten findet man eine Autorin, die ihre eigene Poetik in derart präzise Worte fasst, die ihre eigene Poetik in derart schönen Bildern gleich selber mitliefert.
Und auch das neue Buch „und jemand winkt“ ist so reich, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen könnte, geschweige denn, wie man zu einem vernünftigen Ende einer Würdigung kommen könnte. Ich versuche es trotzdem.
Betrachtet man die Seiten dieses Buches, so fällt eine neue formale Gestaltung auf. auf der rechten Seite sind Texte, die in Absätzen voneinander getrennt sind, zu lesen, Miniaturen, Mikroerzählungen, und links steht jeweils eine einzelne Zeile, die stets mit: und beginnt
– und tauche ins Wörtermeer
– und prüfe den verschwiegenen Anspruch
– und wundere mich über den Eigensinn der Frau
Diese kurzen, präzisen Aussagen nehmen das zuvor Erzählte nicht auf, lassen es aber auch nicht auflaufen – vielmehr weisen sie in eine neue Richtung, eine überraschende Richtung, weisen auf eine Tür, die immer da war, die man aber immer übersehen hat.
Die Texte auf den rechten Seiten wiederum sind Erzählungen, Reminiszenzen, Beobachtungen – der schiere Reichtum überwältigt einen, auch, weil zugleich von den grenzenlosen Möglichkeiten und den absurden Beschränkungen der Existenz erzählt wird. und man kann nur nickend, aber sprachlos, zustimmen, was die Autorin selber dazu sagt: Meine Texte sind Bekenntnisse zum prallen Leben.
Es liegt, nebst diesem Reichtum, auf den zurückzukommen sein wird, aber auch an der, wenn man Li Mollets Werk ein wenig kennt, nur konsequenten formalen Weiterentwicklung, die dieses neue Buch auszeichnet. Die Autorin unterwirft ihr Schaffen erneut einem strengen formalen Rahmen, der aber den inhaltlichen Reichtum überhaupt erst ermöglicht.
Es wird in der Tat ein neuer, noch entschlossenerer Ton angeschlagen, und auch dazu lässt sich die Autorin wunderbar zitieren:
– und habe die Unentschiedenheit weg.
„man kann immer etwas entdecken“ , sagt die Erzählstimme an einer Stelle, und genau dies scheint das poetologische Prinzip dieses Textes zu sein, der trotz der Vielfalt nie ausufert, nie beliebig wird, im Gegenteil, all das Erzählte, all das Beobachtete, die Schilderungen gehen aufeinander ein, setzen sich in Bezug und rücken sich gegenseitig zurecht.
Dass dies gelingt, liegt auch daran, so glaube ich, dass nicht nur mit allen Sinnen wahrgenommen wird, sondern insbesondere, dass mit einer grossen Bewusstheit mit der Wahrnehmung umgegangen wird: schon ganz zu Beginn werden die Augen zu Schlitzen verengt. Beim Lesen wird einem immer wieder vor Augen, Ohren und Nase geführt, dass wir uns bewusst sind, dass wirwahrnehmen, erinnern und denken.
Auf diese Weise wird auf allen möglichen Ebenen das Erzählen selber, zu dem zuvorderst das Wahrnehmen gehört, Bestandteil dessen, was erzählt wird.
Und überhaupt, die Sinne, sie sind alle gleichzeitig im Einsatz, und die Texte von Li Mollet zu lesen fühlt sich deswegen an wie das richtige Leben: die Bildschichten, die Gleichzeitigkeit werden geschildert mit dem Einbezug aller Sinne, auf die immer wieder fokussiert wird, als würde man sich das Leben ein bisschen näher heranzoomen. Und hierin, scheint mir, liegt ein weiteres Geheimnis dieser Texte: dieser ganzheitliche Einbezug geschieht doch auch immer wieder unter Inkaufnahme des Zurücktretens anderer Aspekte.
So geht ein lächelnder Mann hinter einem Kind und dessen hörbarer Gegenwärtigkeit, die verunschärft, was die Strasse sonst noch zu bieten hat.
Ich möchte aber auch noch auf diesen Aspekt zurückkommen: auf den Eigensinn der Frau, auf den Eigensinn dieser Autorin. Li Mollets Texte, beinahe möchte ich sagen: Bildtexte, zu folgen, ist nichts anderes als ein genaues Nachdenken, aber ein Nachdenken, das keinen – oder nur den eigenen, stets verhandelbaren – Regeln folgt, wenn beispielsweise zu lesen ist: man könnte andere Paarregeln erfinden. Nicht: man sollte, auch nicht: man müsste. Man könnte. Wenn man will.
Es ist ein äusserst präzises Nachdenken, und trotzdem: alles bleibt offen, nichts wird festgelegt für die Ewigkeit. Und es ist ein Nachdenken, das gerade deswegen immer wieder von Neuem überrascht, dadurch, dass Gewohnheiten ignoriert werden, Erwartungen unterlaufen, und nicht zuletzt überraschen diese kleinen Erzählungen auch durch einen ganz eigenwilligen Sarkasmus, an dem zumindest ich einen Narren gefressen habe.
Es liegt eine Neugier, aber auch ein Staunen in diesen Sätzen, in diesen Schilderungen, über die Realitäten, die uns umgeben, seien es die Realitäten, die gegeben sind, oder jene, die nur scheinbar gegeben sind – und rasch stellt man fest, dass man diese beiden Realitäten gar nicht mehr unterscheiden kann; das Lesen dieser Texte lässt einen immer wieder den eigenen Realitätsbezug verlieren, oder anders gesagt: loslassen – aber stets bietet die Autorin Alternativen an, die einen erstaunen, den im Handumdrehen ist man angeleitet worden, seine Kopfbilder umzusortieren.
So folgen auf die Schweine, die ahnen, dass der Mann im Raum hinter verschlossener Tür ihr plötzliches Ende plant die Nachrichten auf Papier, und man ist überrascht von der Gegenständlichkeit dieses Papiers.
Es liegt durchaus eine Wildheit in diesen Mikroerzählungen, etwas Unbezähmbares, Lebenslustiges, man hüpft wie über die Steine eines Baches mit den Gedankensprüngen mit, aber nie wird es willkürlich, sondern vielmehr ist jede einzelne Seite genauso wie das ganze Buch äusserst präzise komponiert, und trotz dem lauten Rauschen dieser Welt wird hier mit einer grossen Ruhe erzählt.
Das laute Rauschen – es herrscht eine grosse Gleichzeitigkeit, die aber sekundiert wird von dem, was war, von allem, was war, scheint mir nicht nur dann, wenn Li Mollet schreibt: Es war einmal ist immer. und die Autorin schöpft aus dem Vollen, wenn sie in einer Geste, die so nebenbei daherkommt, mit leichter Hand die grossen Erzählungen der Weltliteratur nachzeichnet, wenn sie Philosophie in Szene setzt und Märchen von der Wurzel her neu denkt, wie sie Träume einfliessen lässt oder das Lied aufklingen lässt von den kleinen Bergen dort drüben mit der weissen Ziege. Äusserst liebevoll, aber ohne allzu grosses Aufheben um die Vorgängerinnen und Vorgänger zu machen, (und schon gar nicht um ihr eigenes Wissen) würdigt Li Mollet scheinbar im Vorübergehen andere Schreibende, Philosophinnen und Denker, die sie aber auf ihrem Weg begleiten.
Und so ist der Band „und jemand winkt“ ist eine einzige, zärtliche, aber zugleich ungeheuerlich wuchtige Komposition, mit wiederkehrenden Motiven, Elementen und Rhythmen, für viele Instrumente geschrieben, aber diese Musik ist nicht nur für die Ohren geeignet, sondern sie öffnet alle Sinne für die, die schaut, die hört, riecht und fühlt.
Freuen sie sich nun mit mir auf Li Mollet, deren Text begleitet wird von Stücken von Katharina Weber und György Kurtag, interpretiert von Eva Schwaar.
oder machen sie es gleich wie die Erzählerin:
– und verschränke die Arme hinter dem Kopf
– und ergebe mich dem prachtvollen Tag
– und fliege inneren Bildern entgegen
Li Mollet
Li Mollets Herkunft ist die moderne Kleinfamilie im schweizerischen Mittelland, die im Laufe der Zeit die Waschfrau durch die Waschmaschine ersetzte, die Suppe aus Beuteln anrührte, die Speisen in einem Kühlschrank aufbewahrte und sich zunehmend mit Herausforderungen ästhetischer Art konfrontiert sah. Wenn ihr als Kind die unvermeidliche Frage gestellt wurde, antwortete sie, sie wolle ein Buch schreiben und Lehrerin werden. Über allerlei Umwege und ohne jede Erinnerung an diese Antwort, lebte sie in der Romandie, in Grossbritannien und den USA, sie reiste als Begleiterin von ihrem Lebenspartner, Heinz Mollet (Kunstschaffender) durch mehrere europäische Staaten, um in Bern zu realisieren, was sie als Kind ahnungslos entwarf.
Als junge Erwachsene legte sie ein erstes Notizbuch an. Die Gewohnheit, jederzeit ein paar Eindrücke festzuhalten, ein paar Gedanken zu sichern, die Sprache zu suchen, ist konstitutiv für ihre Existenz, die für manches unersättliche Neugier entwickelte: Literatur, Kunst und Kinder oder Ästhetik in Pädagogik und Philosophie. Diese grossen Domänen rieten ihr zu vorsichtiger Zurückhaltung. Es ist darum nicht erstaunlich, dass sie so spät an die literarische Öffentlichkeit gelangte.
Vor ihren Publikationen im Wissenschaftsbereich debütierte sie mit elf literarischen Vierminutenstücken in DRS 3. Jahre später wurde sie im Holozän V, Zürich, von der Stadt Bern, vom Kanton Bern und von der Gemeinde Köniz literarisch ausgezeichnet. pd
Weitere Informationen: https://www.literaturport.de/Li.Mollet/
Das Buch „und jemand winkt“ ist im Ritter Verlag erschienen.
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