von: Heiko Schwarzburger
11. Januar 2013
© Lukas Verlag
Interessierte Besucher unserer gut sortierten Buchhandlungen werden diesen Band schon gesehen und darin geschmökert haben. Denn nirgendwo sollte sich dieses Buch so heimisch fühlen wie hier. Dabei ist „Durchgangszimmer Prenzlauer Berg“ kein Werk, das man in einem Rutsch durchliest. Nicht nur, weil es mehr als 450 Seiten umfängt, sondern weil die (Lebens-)Geschichten, die einem daraus entgegenprallen, nachwirken. Man muss sie setzen lassen. Unabhängig, ob der Leser mit Prenzlauer Berg, dem damaligen, vertraut ist oder nicht. Das Buch erfordert Muße. Doch der Leser wird belohnt, mit einem aufschlussreichen Zeugnis einer vielbesprochenen, einer geradezu mythologisierten Zeitzone.
Worum geht es? Das Buch versammelt mehr als 20 Gesprächsprotokolle von aktiven und passiven Protagonisten der „Prenzlauer Berg Szene“ der 70er und 80er Jahre. Aufgenommen in den Jahren 1997 bis 1999 von den Herausgeberinnen Barbara Felsmann und Annett Gröschner stellen sie für die Gesprächspartner eine Rückschau, ein Art Resümee dar, für den interessierten Leser eine Informationsquelle der besonderen Art.
Je mehr man sich in die einzelnen Lebensgeschichten vertieft, desto offensichtlicher wird, dass es sich bei der „Prenzlauer Berg Szene“ keinesfalls um eine homogene Bewegung handelte. Wie in jeder Menschengruppe gab es unterschiedliche individuelle Befindlichkeiten, aus denen Lebensentwürfe und Aktionen erwuchsen. Und doch greift alles ineinander. Die politischen Beschränkungen und Repressalien waren überall gleich, der Umgang mit ihnen und die Suche nach Lösungen vereinte am Ende die unterschiedlichsten Individuen auf mehr als einer Ebene.
So geht es in den Gesprächen auch um politische Untergrundarbeit oder den ausgeprägten Unwillen, den vorgezeichneten sozialistischen Pfaden zu folgen. Doch steht dies nicht im Vordergrund. Nach und nach setzt sich ein Puzzle zusammen, das viel mehr über das tägliche Leben und Miteinander in der DDR erzählt, als es wohlmeinende Geschichten, Museumsschauen oder lehrreiche Aufsätze je tun könnten. Arbeiten, Wohnen, Lieben, Streiten – normale Dinge in einer damals normalen Welt.
Bekannte und unbekannte Namen befinden sich unter den Gesprächspartnern, darunter die Fotografin Tina Bara, der mittlerweile verstorbene Künstler Peter Brasch, der spätere Bezirksbürgermeister Burkhard Kleinert, die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe und der Schriftsteller Peter Wawerzinek.
Rund 13 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage hat sich der Lukas Verlag aus der Kollwitzstraße nun zur Herausgabe der zweiten Auflage entschlossen. Mit Recht, mag man ergänzen, denn die Gesprächsprotokolle haben nichts von ihrer Bedeutung und ihrer Wucht verloren. Sie liefern jene Authentizität, Atmosphäre und Informationsdichte, die es zur Erfassung des Phänomens Prenzlauer Berg so dringend braucht.
B. Felsmann/A. Gröschner (Hrsg.)
Durchgangszimmer Prenzlauer Berg
Eine Berliner Künstlersozialgeschichte der 1970er und 1980er Jahre in Selbstauskünften
Lukas Verlag
462 Seiten, 46 Abb., Klappenbroschur
ISBN 978-3-86732-121-1
Preis: 26,90 Euro