von: Urs Heinz Aerni
4. Oktober 2016
© uha - Benedikt Meyer im Gespräch
Urs Heinz Aerni: Welche Rolle spielte die Swissair im Selbstverständnis der Schweiz?
Benedikt Meyer: Eine extrem wichtige: die Schweiz und die Swissair waren kaum zu trennen. Das fängt schon beim Namen an, das Land verschmolz mit der Fluggesellschaft. Und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Landeswappen zum Firmenlogo. Und zwar, weil der Bund das per Gesetz verlangte. Von einer privaten Firma!
Aber es funktionierte anscheinend…
Ja. Die Swissair war aber auch das perfekte Symbol für die Erfolgsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. Die Wirtschaft florierte, das Land kam voran und parallel dazu erschloss die Swissair Destination um Destination. Die Leute waren stolz auf die Swissair und die Swissair trat patriotisch auf. Sie legte Wert auf Schweizer Tugenden, wie Pünktlichkeit, Präzision oder Mehrsprachigkeit. Der Historiker Jakob Tanner nannte sie treffend „die fliegende Nationalhymne“.
Gibt es andere Fluggesellschaften, die eine ähnliche symbolische Bedeutung für ihr Land haben oder hatten?
So ziemlich jede. Die Fluggesellschaften wurden von Anfang an – also seit dem Ersten Weltkrieg – stark patriotisch aufgeladen. Das hatte einen Grund: man musste dem „kleinen Mann von der Straße“ ja irgendwie erklären, warum er mit seinen Steuern ein Transportmittel für die oberen Zehntausend zu subventionieren hatte.
Man konnte sich via Airlines quasi ein Label geben, eine Marketing-Stratgegie?
Die Fluggesellschaften haben gewaltige Prestige-Erfolge erreicht. Prestige ist nicht nichts! Air India landet 1948 in London. Die kolonisierten Inder landen selbständig im Herzen des Empire, das ist für Indien ein wichtiges Zeichen. Oder Japan Airlines: die startet 1951 mit einer Maschine und wird 1982 zur weltgrößten Fluggesellschaft. Oder schauen Sie sich mal die Karten mit den Streckennetzen an, wo Pan Am, Swissair, British oder Aeroflot zeigen, wo sie hinfliegen. Das ist eine symbolische Eroberung der Welt. Max Hymans (Air France) sprach auch von der „zivilisierenden Wirkung“ seiner Fluggesellschaft.
Und jetzt?
Heute setzt beispielsweise die Türkei noch auf die Symbolik einer sehr großen Fluggesellschaft. Hinzu kommen natürlich die Golfstaaten. Diese Länder investieren massiv in die Airlines als weitherum sichtbare Symbole ihres Aufstiegs. Weitere große Airlines aus kleinen Ländern waren Singapore oder Cathay Pacific in Hong Kong. Vom Typ her waren der Swissair aber sicher die am ähnlichsten, mit denen sie am engsten kooperiert hat: SAS und KLM.
Was hat die Swissair denn ausgezeichnet? Was hat sie besser gemacht, als die anderen?
Das Wichtigste war das Allerlangweiligste: die Swissair war zuverlässig. Wenn Sie irgendwo hin wollen, wollen Sie sicher sein, dass der Flug klappt. Bei der Swissair gab es in 71 Jahren einen einzigen Streiktag – und der war vom Bundesrat bewilligt. Als im August 1966 in mehreren Nachbarländern gestreikt wurde, waren die Swissair-Flüge in die USA zu 99.6 Prozent ausgebucht!
Viel war ja damals auch vom Service die Rede, oder?
Die Swissair-Leute waren motiviert und haben gute Arbeit geleistet. Besonders überrascht hat mich die Werbung. Die hatte einen eigenen Stil, war oft wirklich witzig und teilweise sogar frech. In einer Anzeige hat die Swissair dazu geraten, auch mal mit anderen Airlines zu fliegen, die seien nämlich auch ganz nett. Das nenne ich Chuzpe!
Welche Rolle spielte die internationale politische Funktion der Schweiz dabei?
Die Swissair hatte gute Verbindungen, in Afrika beispielsweise war sie unheimlich stark. Weiter könnte man auch ein paar Dinge erwähnen, welche die Schweiz international interessant gemacht haben, wie das Bankgeheimnis oder der UNO- und NGO-Standort Genf. Besonders angetan haben es mir aber auch die Leute an der Spitze. Die meisten konnten richtig gut rechnen und waren sehr vernünftige Leute. Sie haben beispielsweise das für viele schönste Flugzeug der Geschichte – die ‚Super Constellation‘ – nicht gekauft, weil das hässliche Konkurrenzprodukt im Betrieb ein bisschen billiger war.
Clever, waren sie schon, die Chefs, oder?
Das Glück darf man nicht vergessen. Die Swissair hatte auch ganz einfach viel, viel Glück.
Bei den Banken hat man gesagt, die sind “Too big to fail” und hat sie deswegen mit Steuergeldern gerettet als sie in Schieflage gerieten. Wäre das nicht auch beim Swissair-Grounding eine Option gewesen?
Nein. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens war das Grounding 2001. Davor hat man jahrzehntelang überall liberalisiert, privatisiert und war überzeugt, dass der Staat so wenig wie möglich in den Markt eingreifen soll. Große Interventionen wurden erst mit der Finanzkrise 2008 wieder möglich. Zweitens: wenn Sie in eine Gesellschaft investieren, die vor dem Kollaps steht, dann müssen Sie einen Plan haben, was Sie mir ihr machen. Und den gab es für die Swissair nicht. Die Swissair war zu groß, zu teuer und seit Jahren schon nicht mehr profitabel.
Die Krise war absehbar?
Sie befand sich schon lange auf dem falschen Kurs und Mario Corti hat zwar gut gesprochen, aber das Steuer auch nicht herumgerissen. Die Reformen hatten nicht die gewünschte Wirkung, also brauchte es einen Neuanfang.
Der Swissair-Untergang war ja für viele eine Katastrophe, man denke auch an den Spielfilm.
Das Grounding wird aber ohnehin masslos überbewertet. Warum die Swissair am 2. Oktober 2001 kein Geld in der Kasse hatte, ist letztlich ein Detail. Viel wichtiger wäre die Frage, wie sie es von der „fliegenden Bank“ zum bankrotten Scherbenhaufen gebracht hat.
Sie haben Ihre Dissertation 2014 beendet. Verfolgen Sie die heutige Aviatik-Szene noch?
Ja, aber aus sicherer Distanz. Die Schweizer Fliegerwelt ist stellenweise ziemlich absurd. Die Swiss beispielsweise hat große Komplexe wegen der Swissair. Einerseits hat sie die Marke gekauft und tut alles dafür, in den USA oder in Asien für die etwas umbenannte Swissair gehalten zu werden. Wenn man die Swiss aber auf die Swissair anspricht, heißt es „wir haben nichts damit zu tun“. Das geht so weit, dass ich kürzlich einem verzweifelten kleinen Berufsschüler ein Interview geben musste, weil sich von der Swiss niemand zur Swissair äußern wollte. Sie hatten ihm auch kein Info-Dossier, nichts. Aus juristischer Sicht ist das okay. Aus menschlicher Sicht, ist es Quatsch. Sie können ein Erbe nicht für sich beanspruchen und es gleichzeitig ausschlagen.
Aber es gibt ja noch immer die Fans und Freunde der Swissair von damals, oder?
Ja, es gibt die Swissair-Ehemaligen und das ist eine ganz spezielle Geschichte. Da gibt es durchaus kritische Geister. Andere hingegen schwelgen in einer Zeit, die es nie gegeben hat und lässt eine „Swissair“-Familie hochleben, die stellenweise ans Sektenhafte erinnert. Mir fehlt da der kritische Diskurs. Ein Jumbo-Pilot im letzten Dienstjahr verdiente 1990 230.000 Franken. Es folgte ein Jahrzehnt voller Probleme und Verluste und wieviel verdiente ein Pilot derselben Kategorie im Jahr 2000 300.000 Franken! Trotzdem habe ich noch keinen Piloten getroffen, der das mit der Misere der Swissair in Verbindung gebracht hätte. Viel lieber schießt man auf einfache Ziele. Auf diesen oder jenen Manager, der am Debakel Schuld sein soll. Das ist doch Unsinn, eine Firma wie die Swissair versenkt keiner im Alleingang. Das braucht Teamwork.
Benedikt Meyer stammt aus Basel, lebt in Bern und arbeitet an einem Roman.