von: Valerie Besl, Wien
14. September 2017

ÜBER DIE ABGRÜNDE DES ZWISCHENMENSCHLICHEN

Mit begeistertem Besucherzuspruch gehen die 15. Internationalen Literaturtage Sprachsalz Sonntagnachmittag ins Finale. Das Festival war einmal mehr ein Reigen der intensiven Momente: Im Rahmen der Lesungen und Gesprächen zwischen Autoren und Besuchern wurden sehr persönliche Geschichten ausgetauscht und von den Abgründen des Zwischenmenschlichem erzählt. Davon überzeugten unter anderem A. L. Kennedy, Josh Weil, Vigdis Hjorth oder Rolf Lyssy. „Ein Jahrgang von großer Intensität, der zeigt, wie packend die Wasserglaslesung sein kann, was freies Erzählen und Vorlesen auch im digitalen Zeitalter leisten kann – und das bei freiem Eintritt!“ resümieren die Organisatoren Magdalena Kauz, Ulrike Wörner, Urs Heinz Aerni, Elias Schneitter und Heinz D. Heisl begeistert.

© C) by Denis Moergenthaler | PHOTOGRAPHY - L. A. Kennedy bei Sprachsalz

Bei strahlendem Berg- und Terrassenwetter wurde das Festival mit der traditionellen Lesung eines Tiroler Autors eröffnet: In diesem Jahr stellte Martin Kolozs u.a. seinen Gedichtband „Mein unruhiges Herz“ vor, und Titel des Bandes war Programm.

Alle Autoren lesen bei Sprachsalz zwei Mal aus Werken ihrer Wahl, ebenfalls am Freitagnachmittag war Martin von Arndt erstmals zu erleben. Dem von ihm geschaffenen Genre der Doku-Fiction entsprach auch sein Vortrag: Er begeisterte das Publikum vor allem mit störrischen Charakteren, deren Individualismus von Arndt auch bei der Lesung eine eigene Stimme verlieh.

Prosa hat beim Festival traditionell seinen Platz, aber auch Sprachexperimentelles und Lyrisches steht wieder im Zentrum: Zu Gast war mit der Schweizerin Svenja Herrmann eine Schriftstellerin, die den Stellenwert der Landschaft als Inspiration für ihre Arbeit betont. Im Gespräch erzählte sie von den überraschenden inhaltlichen wie sprachlichen Wendungen, die sich im Schreiben ergeben. Auch der Schweizer Peter K. Wehrli beobachtet in den Miniaturen seines Lebenswerks «Katalog von Allem» fasziniert, wie man von Reisen in unbekannten Gegenden neu und verändert hervortreten kann.

Bei Sprachsalz-Mini gab Christian Yeti Beirer auch heuer mit einer Werkstatt für Kinder Einblicke hinter die Kulissen des Büchermachens und lud zum Selbermachen ein. Währenddessen gab es kurze Leseeinheiten von Sprachsalz-Autorinnen und -Autoren mit Texten für Kinder.

Die Late Night-Schiene von Sprachsalz bietet den großen Geschichtenerzählern eine Bühne: Freitagabend unterhielt der Journalist und Autor Hanspeter „Düsi“ Kuünzler mit Anekdotischem über Michael Jackson und gab Einblicke in die Untiefen von Fan- und Starkult.

 

 

Zu Gast im Medienturm

Sprachsalz war auch in diesem Jahr wieder zu Gast im Medienturm Ablinger.Garber, die ihre Räumlichkeiten für Lesungen und Gespräche zur Verfügung stellten. Konzentrierte Stille herrschte Samstagnachmittag, als Rolf Lyssy, einer der erfolgreichsten Schweizer Filmemacher, über seine Depression erzählte und ehrliche wie beklemmende Szenen aus seinem autobiografischen Bericht „Swiss Paradise“ las.

Der Schweizer Autor Burkhard Jahn faszinierte mit Auszügen aus seinem Roman „Der Weg an der Sarca“: Wie mit einem Suchscheinwerfer leuchtet er darin Momente der menschlichen Unzulänglichkeiten aus und erschafft eine den Leser einschließende Präsenz.

Der Sprachsalz-Tradition der Beat-Literatur entsprach die Einladung der österreichischen Schriftstellerin Judith Pouget, die als Übersetzerin zahlreiche Beatniks der ersten Stunde ins Deutsche übertrug. Auch ihre eigenen Texte zeugen von ihrem Misstrauen gegenüber der Sprache und was sie zu leisten vermag.

 

Die große Sprachsalz-Gala

Der Galaabend am Samstag galt Tragischem wie zutiefst Komischen: Die österreichische Schriftstellerin Petra Piuk entwarf in den Auszügen aus ihrem Roman „Lucy fliegt“ in knappen, präzis gesetzten Sätzen das bitterböse Psychogramm eines Möchtegern-Starlets, das vom Leben einer Oscar-Preisträgerin träumt. Der US-amerikanische Autor Josh Weil und seine deutsche Stimme Ernst Gossner bannten die Zuhörer mit einem Auszug aus dem Band „Herdentiere“ über die Unmöglichkeit, Abgründe des Zwischenmenschlichen zu überwinden.

Fasziniert lauschte das Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Saal auch dem intensiven wie emotionalen Vortrag der Norwegerin Vigdis Hjorth, die in ihrem beklemmenden Familienpanorama „Bergljots Familie“ über eine Tochter erzählt, die sich rüstet, aus ihrer Opferrolle auszubrechen. Hjorth freute sich, dass in Hall so viele Männer bei den Lesungen anwesend sind – in ihrer Heimat sei das ganz anders.

Auch die Schottin A. L. Kennedy bedankte sich zu Beginn ihrer Lesung beim „intelligenten“ wie „aufmerksamen“ Publikum: Nie würden sich umgekehrt so viele Menschen bei der Lesung eines deutschsprachigen Autors in Großbritannien einfinden, schon deshalb, weil sie dann wohl zu denken anfangen müssten – eine Fähigkeit, die in Brexit-Zeiten abhandengekommen sei. Kennedy stellte ihr komödiantisches Talent unter Beweis, als sie über die leichten und schweren Spielarten der Liebe las und sprach. Eindrucksvoll begleitet wurden die beiden Autorinnen von der Schauspielerin Brigitte Zeh.

 

Abgründige Familiengeschichten

Abgründig ging es am Sonntag mit dem US-amerikanischen Schriftsteller David Vann weiter. Bei der Lesung am Nachmittag beleuchtete Vann, der sich als Schriftsteller in der Tradition der griechischen Tragödie versteht, einmal mehr meisterhaft die dunkle Natur des Menschen in abgründiger Familienkonstellation, die gänzlich aus den Fugen geraten zu sein scheint.

Der eigenen Familiengeschichte stellt sich auch Sacha Batthyany in seinem Buch „Und was hat das mit mir zu tun? Ein Verbrechen im März 1945“, aus dem er am Sonntag las und von der über sieben Jahre andauernde Beschäftigung und den emotionalen Schwierigkeiten der Recherche berichtete, die ihn tief ins Beziehungsgeflecht seiner Familie führte.

 

Sprachsalz-Club

Den Leipziger-Buchpreisträger Guntram Vesper beschäftigt beim Schreiben die zentrale Frage nach der eigenen Identität, der er sich von mehreren Seiten anzunähern versucht: Seine monumentalen Prosawerke gleichen unendlichen kaleidoskopischen Bildfolgen von Geschichten und Erinnerungen.

In einem der insgesamt drei Sprachsalz-Clubs fragte Moderator Alexander Kluy Guntram Vesper und Sacha Batthyany „Welche Geschichten braucht die Geschichte?“ Beide Autoren eint der historische Anlass als Auslöser ihrer schriftstellerischen Arbeit: Während Batthyany in seinem Buch einer Sehnsucht nach Geschichte und der Auseinandersetzung damit folgt, sieht sich Vesper in die Zeitgeschichte hineingestellt, somit könne man ihr gar nicht entkommen: Als Chronist bewahrt er die Geschichten, die er in seinem Kopf versammelt findet.

„Warum ist Sprache eigentlich Bild? Oder ab wann brauchen wir den Text?“ war Thema des zweiten Sprachsalz-Clubs Sonntagvormittag mit Svenja Herrmann, Rolf Lyssy und Peter K. Wehrli über Grenzen oder Schnittmengen von Bild und Wort. Lyssy: „Ich bin Filmer, aber ich brauche die Wörter“ und ergänzt, dass die Ironie in der „Sprache gefangen ist und nicht im Bild“.

Das Finale beschloss mit einem weiteren Sprachsalz-Club Sonntagabend A. L. Kennedy zum Thema „Warum Berufsschriftstellerinnen nicht in die Politik gehen sollten“.

 

Die 16. Ausgabe von Sprachsalz findet von 14. bis 16. September 2018 statt.

Sprachsalz-Weblog

Sprachsalz bietet Interessierten auch in diesem Jahr wieder ein Weblog, auf dem Texte und Ausschnitte aus Lesungen als Audiofiles zu finden sind: www.sprachsalz.com/weblog/

 

AUTORINNEN und AUTOREN 2017

Sacha Batthyany (Schweiz)

Svenja Herrmann (Schweiz)

Vigdis Hjorth (Norwegen)

Burkhard Jahn (Schweiz)

L. Kennedy (Großbritannien)

Martin Kolozs (Österreich

P. „Düsi“ Künzler (Schweiz)

Rolf Lyssy (Schweiz)

Judith Pouget (Österreich)

Petra Piuk (Österreich)

David Vann (USA)

Guntram Vesper (Deutschland)

Martin von Arndt (Deutschland)

Peter K. Wehrli (Schweiz)

Josh Weil (USA)

 

www.sprachsalz.com  WEBLOG: www.sprachsalz.com/weblog/

FÖRDERER, SPONSOREN, PARTNER:

Kooperationspartner: Medienturm Ablinger.Garber

Hauptsponsoren: Stadt Hall, Land Tirol, Bundeskanzleramt KUNST, Parkhotel Hall

Weitere Sponsoren und Partner: Kulturregion Hall-Wattens, Kultur.Tirol, Pro Helvetia, Retterwerk Mercedes, Restaurant Welzenbacher, Tirol Kliniken Hall, Tiroler Versicherung, Tiroler Tageszeitung, Austrian Airlines, Der Standard, Innsbrucker Zeitungsarchiv IZA, Literar mechana, ULB Universitäts- und Landesbibliothek, Lampe Reisen, Buchhandlung liber wiederin, Swarovski, parkSpa.

SPRACHSALZ AUTORINNEN und AUTOREN (2003-2016):

Amina Abdulkadir. Friedrich Achleitner. Nouri Al-Jarrah. David Albahari. Urs Allemann. Juri Andruchowytsch. Hans Aschenwald. Hans Augustin. Christoph W. Bauer. Artur Becker. Julia Belomlinskaja. Marcel Beyer. Udo Breger. Dominik Bernet. Peter Bichsel. Josef Bierbichler. Wolfgang Bleier. Robert Bober. Barbara Bongartz. Bas Böttcher. Beat Brechbühl. Irena Brežná. Diane Broeckhoven. Andrej Blatnik. Markus Bundi. John Burnside. Michel Butor. Safiye Can. Arno Camenisch. Alex Capus. Sam & Ann Charters. Neeli Cherkovski. Zehra Çırak. John Cleese. Ira Cohen. Francis Combes. Bora Ćosić. Cónal Creedon. Martin Crimp. Becqë Cufaj. Anne Cunéo. Steven Dalachinsky. Lizzie Doron. Otto de Kat. Daniela Dill. Franz Dodel. Dietmar Eder. Stephan Eibel Erzberg. Gustav Ernst. Katharina Faber. Agneta Falk. Gerhard Falkner. Raymond Federman. Zoran Ferić. Antonio Fian. Saskia Fischer. Milena Michiko Flašar. Dante Andrea Franzetti. Franzobel. Martin Fritz. Britta Fugger. Zsuzsanna Gahse. William H.Gass. Wilhelm Genazino. Andrea Gerster. Peter Giacomuzzi. John Giorno. Brigitte Giraud. Thomas Glavinic. Janusz Glowacki. Jón Gnarr. Max Goldt. Nora Gomringer. Maketa Groves. Sabine Gruber. Arnon Grünberg. Norbert Gstrein. Catherine Guillebaud. Carla Haas. Waltraud Haas. Monika Helfer. Bodo Hell. Eckhard Henscheid. Michal Hvorecký. Alban Nikolai Herbst. Takashi Hiraide. Edgar Hilsenrath. Jack Hirschman. Franz Hodjak. Felicitas Hoppe. Alois Hotschnig. Iman Humaidan. Drago Jancar. Hettie Jones. Gert Jonke. Joyce Johnson. Ismail Kadare. Leslie Kaplan. Dzevad Karahasan. Ioanna Karystiani. Alan Kaufman. Claire Keegan. Anna Kim. Kei Kimura. Julia Kissina. Georg Klein. Uta Köbernick. Gerhard Kofler. Werner Kofler. Markus Köhle. Ron Kolm. Georg Kreisler & Barbara Peters. Thomas Kunst. Andrej Kurkow. Peter Kurzeck. Katharina Lanfranconi. Katja Lange-Müller. Rolf Lappert. Jacques Lederer. Pedro Lenz. Sibylle Lewitscharoff. Michael Lentz. Gabriele Loges. Andriy Lyubka. Andres Lutz & Frank Heierli. Claudio Magris. Anne Marie Macari. Gerard Malanga. Matthias Mander. Alberto Manguel. Urs Mannhart. Norbert Mayer. Colum McCann. Molly Mc Closkey. Frank McCourt. Mieze Medusa. Klaus Merz. Hanno Millesi. Felix Mitterer. Sudabeh Mohafez. Roger Monnerat. Werner Morlang. Herta Müller. Péter Nádas. Jürgen Nendza. Jens Nielsen. Paul Nizon. Kenzaburô Ôe. OHNE ROLF. José F.A. Oliver. Markus Orths. Sigitas Parulskis. PEH Paula Gelbke. Erica Pedretti. Walter Pilar. Charles Plymell. Steffen Popp. Taras Prochasko. Irene Prugger. Ilma Rakusa. Arne Rautenberg. Harry Redl. Jeremy Reed. Elisabeth Reichart. Angelika Reitzer. Paul Renner. Kathrin Röggla. Hernán Ronsino. Beate Rothmaier. Andre Rudolph. Gerhard Rühm & Monika Lichtenfeld. Gerhard Ruiss. Oksana Sabuschko. Edward Sanders. Annie Saumont. Lydie Salvayre. Walle Sayer. Isolde Schaad. Thomas Schafferer. Robert Schindel. Michail Schischkin. Ralf Schlatter. Ferdinand Schmatz. Pavel Schmidt. Klaus F. Schneider. Helmuth Schönauer. Matthias Schönweger. Erasmus Schöfer. Margit Schreiner. Raoul Schrott. Tom Schulz. Monique Schwitter. Christoph Simon. Alina Simone. Patricia Smith. Bettina Spoerri. Martin Stadler. Fabio Stassi. Michael Stavarič. Christian Steinbacher. Aleš Šteger. Gerald Stern. Irene Suchy. Tatjana Tolstaja. Ilija Trojanow. Georg Stefan Troller. Christian Uetz. Ulrike Ulrich. Marek Van der Jagt. Florian Vetsch. Katrin de Vries. Martin Walser. Elisabeth Wandeler-Deck. Peter Weber. Ruth Weiss. Markus Werner. Josef Winkler. Robert Woelfl. Janine Pommy Vega. Abdoulrahman Waberi. Anne Waldman. Rainer Weiss. Carl Weissner. Rainer Wieczorek. Anila Wilms. Erika Wimmer. John Wray. Kathy Zarnegin. Joachim Zelter. O.P. Zier. Péter Zilahy. Dieter Zwicky.