von: Urs Heinz Aerni
25. Januar 2015
© pd
Urs Heinz Aerni: Ihr Buch beschäftigt sich eigentlich mit Fragen, die jeden denkenden Menschen umtreiben. Was hat Sie dazu veranlasst?
Fredi Andermatt: Mein jugendliches Patenkind. Ihr glaubte ich, Gedanken, die reifere Menschen umtreiben, näherbringen zu müssen, im Kontrast zu den Gedanken, die Jugendliche beschäftigen. Schön regelmäßig und ununterbrochen, Woche für Woche …
Aerni: Der Schritt zum Buch dann?
Andermatt: Sie war es dann aber, die mich nach vielen dieser «Wochenblätter» drängte, sie in einem Buch zu sammeln und sie anderen Menschen zugänglich zu machen. An meiner Arbeit änderte sich dadurch allerdings nicht viel – ich schrieb weiterhin nur für sie und ein paar wenige Freunde.
Aerni: 52 Texte, Essays, Gedanken für 52 Wochen im Jahr. Gab es Themen, die Sie gleich zu Beginn besonders zum Schreiben antrieben?
Andermatt: Ja, Themen des rationalen oder irrationalen Handelns, Betrachtens und Glaubens, der Religion und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Konsequenzen daraus faszinierten mich.
Aerni: Nennen Sie uns ein Beispiel?
Andermatt: Der Antisemitismus, der mich seit meiner Jugend wiederholt beschäftigte. Dieses Thema wollte ich einmal für mich ganz durchdenken: wie er entstand und warum es ihn – unbegreiflicherweise – heute noch gibt. Dies ergab dann sogar drei Wochenblätter «Die Juden I – III», denn so kurz fassen, wie ich mir das dachte, liess sich das Thema nicht.
Aerni: Der Zeitrahmen…
Andermatt: Die 52 Wochenblätter habe ich in 52 Wochen geschrieben, deswegen der Name des Buches. Der Leser oder die Leserin darf oder wird sich vielleicht aber auch länger mit den enthaltenen Themen beschäftigen…
Aerni: Sie reflektieren den Alltag und unsere Gesellschaft. Was hat sich daran geändert, seit Sie an MS erkrankt sind?
Andermatt: Ich habe seitdem mehr Zeit und mehr Grund, meine Einstellung zum Leben zu überdenken. Ich überlege, was ich in der veränderten Lage für andere Menschen und für die Gesellschaft noch tun kann, denn leben tue ich ja noch. Daraus ergibt sich dann, was ich an mir und um mich herum verändern muss: Es entwickeln sich Aufgaben, Ziele, Projekte. Mit ihnen hat mein Leben einen Sinn.
Aerni: Liegt es irgendwie am Menschen, dass er sich erst um die Welt Gedanken macht, wenn er Gefahren oder ein unangenehmes Lebenskapitel vor sich sieht?
Andermatt: Wenn der Mensch es spätestens dann und auf rationale Weise täte, wäre für ihn schon viel gewonnen … Wie Sie aber in Ihrer ersten Frage feststellten, werden viele denkende Menschen bereits vor einem einschneidenden Ereignis von diesen Themen umgetrieben. Wann auch immer man damit beginnt: Wichtiger scheint mir, dass man sie rational durchleuchtet, sich auf die eigenen Kräfte und das eigene Denkvermögen verlässt und mit guten und unangenehmen Zufällen leben lernt.
Aerni: Wenn Sie die Welt verbessern könnten, wo würden Sie als Erstes ansetzen?
Andermatt: Im Kleinen. Mit einem freundlichen, bescheidenen Lächeln gegenüber meinen Freunden und Nachbarn und gegenüber Fremden. Und mit einem ebenso freundlichen «Grüezi». Seit ich begriffen habe, dass das Leben jedes Menschen, der mir begegnet, auch für ihn das einzige Leben ist, das er hat, bin ich noch freundlicher geworden. Denn auch dieser Mensch ist Teil der Natur wie ich. Genügen würde vielleicht auch schon das aufmerksame Zuhören, um die Welt zu verbessern.
Aerni: Beschreiben Sie ein Gemälde mit einem Menschen mit Ihrem Buch in der Hand.
Andermatt: Dieser Mensch sitzt in einem Park mit alten, hohen, ausladenden, spätsommerlich kräftig-grünen Bäumen auf einer schattigen Bank, allein mit dem Buch.
Das Buch: Fredi Andermatt: „52-mal nachgedacht“, Edition punktuell, Euro 36.50
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