von: Redaktion Berglink Berlin
21. November 2017

Steckt der Schweizer Buchpreis in der Krise?

An der diesjährigen Preisverleihung des Schweizer Buchpreises in Basel gab es im Vorfeld Pannen, die im Web heftig diskutiert werden. Diese Panne ist menschlicher Natur und wurde von den anwesenden Persönlichkeiten unterschiedlich kommentiert oder erklärt. Aber wir sehen eher ein strukturelles Hindernis, das unabhängigen Verlagen eine Teilnahme verunmöglicht. Lesen Sie hier einen Beitrag unseres Redakteurs, der auch in der Zeitung BÜNDNER TAGBLATT erschienen ist.

© Schweizer Buchpreis

Was ist CH-Literatur und eine Kritik am Schweizer Buchpreis

Nein, ich bin kein Schweizer Schriftsteller, sondern ein deutschsprachiger», sagte Catalin Dorian Florescu am 22. September 2012 an einer Literaturveranstaltung am Bodensee, in einem ­bestimmten und deutlichen Ton, der zu verstehen gab, dass der Begriff «Schweizer Literatur» passé sein soll.

Angesichts dessen, dass die Schweiz weniger Einwohner als die Bundesländer Baden-Württemberg oder Bayern aufweist, müsste die Frage erlaubt sein, ob nicht eher von einer Regionalliteratur gesprochen werden soll. Also im Vergleich mit der schwäbischen, tirolerischen, hessischen oder niedersächsischen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zeichnet jährlich den «besten Roman in deutscher Sprache aus», also haben durchaus Schreibende aus Österreich und der Schweiz eine Chance. Beim Schweizer Buchpreis hingegen vergibt die Jury eine «Auszeichnung für das beste erzählerische oder essayistische Werk einer Schweizer Autorin beziehungsweise eines Schweizer Autors».

Literarischer Heimatschutz?

2010 erhielt die als fünfjähriges Mädchen eingewanderte Melinda Nadj Abonji den Deutschen sowie den Schweizer Buchpreis. Der diesjährige Preisträger in Deutschland, Robert Menasse, hätte für den Schweizer Preis keine Chance, da er weder Schweizer ist noch in der Schweiz lebt. Wieso dieser Unterschied, wieso keine Schweizer Variante analog zum Deutschen Preis? Warum die geografische, ja, politische Einengung?

Doris Wirth, Matthias Zschokke und Thomas Hürlimann stammen aus der Schweiz, leben und schreiben aber in Berlin, Monique Schwitter in Hamburg. Michail Schischkin und Zsuzsanna Gahse sind in Russland und Ungarn geboren, aber mittlerweile in der Schweiz eingebürgert. Wer von den Genannten gehört nun zur Schweizer Literatur? Heinz D. Heisl aus Innsbruck und Ulrike Ulrich aus Düsseldorf haben ihren Wohnsitz in der Schweiz und beide schreiben größtenteils hierzulande an ihren Büchern. Die in Schaffhausen geborene Ursula Fricker lebt schon eine Ewigkeit bei Berlin und Silvio Huonder lebt und schreibt ebenso seit vielen Jahren am Schwielowsee in Brandenburg. Mittlerweile ist er Doppelbürger. Sibylle Berg, geboren in Weimar und heute in der Schweiz zu Hause, ist ein Teil des eidgenössischen Literaturschaffens.

Hemmend für eine Artenvielfalt der Literatur können auch die Teilnahmebedingungen für den Schweizer Buchpreis sein, die besagen, dass teilnehmende Verlage Mitglied des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbandes (SBVV), des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels oder des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels sein «müssen». Was, wenn der Verlag sich eine Verbandsmitgliedschaft nicht leisten kann, aber schöne Literatur macht? Genau genommen müsste von einem verbandsinternen Wettbewerb die Rede sein und nicht von der Auszeichnung einer Kunst. Zusätzlich muss der Verlag «rechtlich selbstständig» sein. Wieso eigentlich? Der Christoph Merian ist zwar Mitglied beim SBVV, aber rechtlich in einer Stiftung eingebettet, also nicht als Unternehmen selbstständig. Unnötige Bedingungen können für so manchen Text die Starterlaubnis verhindern.

In Anbetracht dessen, dass Schweizer Textil­unternehmen in Indien produzieren, Schweizer ­Lebensmittelketten nach Deutschland expandieren und der Schweizer Buchhandel bis zu 85 Prozent vom deutschen Marktangebot lebt, müsste sich der Schweizer Buchpreis für die allgemein deutsch­sprachige Literatur öffnen, so dass eine Autorin oder ein Autor aus Österreich oder Deutschland das Preisgeld in Basel abholen darf, wie Melinda Nadj Abonji es 2010 in Frankfurt durfte.

Ein Blick in die ins Haus flatternden Verlags­prospekte kann den professionellen Kulturpes­simisten wieder beruhigen. Kleine und neue Verlage wagen dem Bestsellerstrom mit neuen Büchern ­Paroli zu bieten. Verlage wie Bucher, Azur, Elif, Klever, Hochroth, Futurum, Limbus, Arco, Ink Press, Pudelundpinscher, Knapp, Edition Meerauge, Edition Laurin, Babel oder Dahlemer Verlags­anstalt tun dies hartnäckig und mit Erfolg. Noch nie gehört? Na dann, fröhliches Entdecken!

Urs Heinz Aerni

Eine verkürzte Version dieses Beitrages ist hier erschienen.

Weitere Artikel zum Schweizer Buchpreis sind hier zu lesen:

Roman Bucheli in der NZZ

Pauls Stänner auf Deutschlandfunk

Stellungnahme der Organisatoren des Schweizer Buchpreises, LiteraturBasel und Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband