von: Manuela Hofstätter LESEFIEBER.ch
24. August 2022

Manuela Hofstätter las: „Die Dinge beim Namen“ von Rebekka Salm

© Knapp Verlag

Ein Dorf ist und bleibt ein Dorf und in einem solchen lebt auch Vollenweider, er spielt Trompete im Musikverein und heimlich schreibt er, seit er die Buchstaben kennt. Vollenweider ist ein alternder Junggeselle, lebt beim Wald, mehr im Wald, er gehört nur am Rand zum Dorf. Es gibt mehr als nur einen Grund für seine Einsamkeit, einen miesen Vater, den viel zu frühen Verlust der Mutter und den Selbstmord des Bruders, doch am Schwersten zu tragen hat er wegen seiner unglücklichen Liebe zu Sandra. Sandra hat Max geheiratet, Max den Schönling, sofort wurden sie Eltern, nicht alle im Dorf verbreiten dieselbe Geschichte darüber wie es zu dieser Ehe kam. Es gibt Paare im Dorf und ein paar ledige Menschen und eben die Einzelgänger, Freddy lebt auch am Rande, er weiss alles über Käfer, sammelt diese auch und niemand ahnt, dass er auch noch andere Dinge weiss und einfach nur ein bisschen dazu gehören möchte. Micha ist ledig, ganz bewusst ledig, wenn sie ihre Freundinnen beobachtet, graust es sie, Ehefrauen, gelangweilte Mütter sind sie geworden, manche bereits unglücklich dazu.

Nicht mit Micha, sie ist unabhängig, jung geblieben, reist samstags in die Stadt, trifft Freundinnen, die keine wirklichen Freundinnen sind, macht Party und wählt sich ihre Männer aus für eine Nacht. Ihr Leben ist nicht langweilig, nicht wahr? Ausserhalb des Dorfes lebt Chantal, sie ist auch unabhängig, was man von den Männern aus dem Dorf, welche sie ab und zu besuchen, nicht sagen kann. Doch Chantal kennt die Halbwahrheiten des Lebens auch. Melanie und René feiern ihren 30. Hochzeitstag, sie heirateten nach Sandra und Max damals, wie es noch so viele machten, wie eine Welle ging da das Heiraten durchs Dorf, erfasste viele. Beim Kinderkriegen, da waren Melanie und René nicht mehr mit dabei, während René an seiner Stange nippt, trinkt Melanie ein Cüpli, was ist aus ihrer Ehe geworden im Laufe der Jahre? Auch der alte Dorfpolizist blickt zurück auf sein Leben und die Dienstjahre im Dorf, stolze 43 Dienstjahre und nie einen Mord hatte er in seinem Dorf, er hat zum Rechten geschaut, so gut er konnte und wollte. Das Dorf und seine Menschen verbergen noch manche Geschichten, die Leute reden im Dorf, das ist normal, doch dass der Vollenweider darüber schreibt, das mögen die Menschen nicht.

Fazit: Auf dem Dorf weiss jeder alles über die anderen, doch keiner kennt die Wahrheiten.
Rebekka Salm legt ihre literarische Lupe über ein Dorf und lässt uns an diesem teilhaben mit ihrem präzisen und sorgfältigen Blick. Ihre Empathie für alle Figuren und ihr Können, den Mikrokosmos eines kleinen Dorfes mit all seinen Geheimnissen, Lebensbildern und seiner Dynamik in Worte zu fassen, ist wirklich mit diesem Roman „Die Dinge beim Namen“ voll und ganz geglückt. Ein Lesegenuss absolut, die perfekte Kunst, die Dinge beim Namen zu nennen und mindestens so viele Dinge nicht zu schreiben, um in den Leseherzen- und köpfen Funkenflug zu entfachen.

Meine Wertung: 9/10

Manuela Hofstätter – in Zusammenarbeit mit Lesefieber.ch

Rebekka Salm / Die Dinge beim Namen
Verlag: Knapp, Seiten: 182