von: Tilman Hoffer von ART-TV.ch
17. November 2016

Mephisto über das Thema „Weltreisen“

„Weltreisen“ ist das Thema der Bücher in der aktuellen Ausgabe von MEPHISTO. Kann das Reisen heute noch ein Abenteuer sein? Oder ist die Reiseliteratur eigentlich obsolet geworden? Den lebenden Gegenbeweis hat Tilman Hoffer zum Interview getroffen: den Starjournialisten und großen Reiseerzähler Helge Timmerberg. Ein Beitrag von Tilmann Hoffer, Moderator und Journalist bei ARTTV.ch für die Sendung "Mephisto".

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Das Buch des Reisens, herausgegeben von Rainer Wieland, versammelt Auszüge aus Reiseberichten aus 2500 Jahren, von Hanno dem Seefahrer und Herodot bis zu einer Kreuzfahrtreportage von David Foster Wallace. Sicher, der Form der festlich edierten und mit prächtigen Illustrationen geschmückten Anthologie haftet immer etwas Streberhaftes und Bildungsbürgerliches an, aber Wieland hat einen ausgesprochen unterhaltsamen Band zusammengestellt, dem tatsächlich gelingt, was andere immer nur behaupten: die Helden, Draufgänger, Flaneure und Grössenwahnsinnigen der Vergangenheit zu einer Art über-geschichtlichem Gespräch zu versammeln.
Wesentlich betulicher geht es in Letzter Bus nach Coffeeville zu, einem literarischen Roadmovie für eher empfindsame Naturen, verfasst vom amerikanischen Autor J. Paul Henderson. Die beiden  älteren Herrschaften Doc und Nancy fahren gemeinsam durch die Südstaaten der USA, denn vor langer Zeit, als die beiden noch jung und ein Paar waren, hatte Nancy Doc ein Versprechen abgenommen: Sollte sie jemals, was in ihrer Familie üblich ist, an Alzheimer erkranken, so möge Doc sie nach Coffeeville auf einen abgeschiedenen Landsatz ihrer Familie begleiten und ihr dort beim Selbstmord helfen. Das Ganze soll irgendwie heiter-melancholisch, leichtfüßig und doch tiefgründig wirken. Leider gerät die Fahrt, die außerdem noch durch allerlei Rückblenden eine Tour durch die Geschichte Amerikas sein soll, zu einer Aneinanderreihung von rührseligen Plattheiten und Klischees, die den Leser auf Dauer wahnsinnig macht. Das einzige Problem: Man kann Henderson, diesem herzensguten Märchenonkel, nicht wirklich böse sein. Trotzdem sollte man sein Buch nur aufschlagen, wenn man sich mal wieder wie ein kleines Mädchen fühlen will.
Peter Scholl-Latour war über ein halbes Jahrhundert lang Deutschlands führender Auslandskorrespondent. Er starb am 16. August 2014 im Alter von 90 Jahren. Der posthum erschienene erste Band seiner Autobiographie Mein Leben ist das letzte von insgesamt über 30 Büchern, in denen Scholl-Latour seinem Publikum von fast allen Krisen- und Kriegsschauplätzen rund um den Globus berichtete und die Welt der grossen Geopolitik erklärte. Im Werk Scholl-Latours gibt es keinerlei stilistische Entwicklung, sein Erzählton bleibt über alle Verwerfungen des 20. Jahrhunderts vollkommen konstant. Zum Glück! Seine Autobiographie ist nicht nur ein Panorama faszinierender Einblicke in die vordersten Fronten der europäischen Nachkriegsordnung, des französischen Algerienkrieges und des von Scholl-Latour als durchaus romantisch empfundenen Indochinafeldzugs. Sie ist auch das Zeugnis eines Lebenswegs, der als solcher beeindruckend und vielleicht sogar beispielhaft genannt werden kann.
Auch für Helge Timmerberg, den legendenumwobenen Abenteuerjournalisten und Pionier des deutschsprachigen New Journalism, war Peter Scholl-Latour ein grosses Vorbild, wie er im Gespräch mit Tilman Hoffer verrät. Sein neues Buch Die rote Olivetti handelt von seinen Anfängen in Bielefeld, seinen wilden Nächten in Havanna und einem Moment der Erleuchtung im Himalaya. Timmerberg, der Indiana Jones des deutschen Journalismus, erzählt im Interview ausserdem von Goldsuchern am Amazonas, auf welche verschiedenen Arten man von einem Krokodil gefressen werden kann, und worauf es im Leben wirklich ankommt.
Tilmann Hoffer
Die Sendung ist jetzt hier zu sehen:
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