von: Urs Heinz Aerni
15. November 2014

Big Data ein Big Thema

Umgeben von Garten, Bäumen und Weihern versammelten sich im Resort Widenmoos in Reitnau auf Einladung von Jürg Baumgartner, CEO der Firma Data Connect AG in Aesch (Schweiz), Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, um sich über die Chancen und Risiken des Begriffs Big Data auszutauschen.

© data connect - von links nach rechts: Daniel Röthlin, Jürg Baumgartner, Hanspeter Thür, Martin Haas, Patrick Schünemann, Urs Heinz Aerni

Laut Gastgeber Jürg Baumgartner von der Data Connect sei Big Data zu einem Modewort geworden und oft weiß man nicht immer, was dahinter stecke. Dass große Mengen Daten gesammelt, ausgewertet und eingesetzt werden aus unterschiedlichen Gründen sei bekannt. Der Staat macht es für die Sicherheit, die Wirtschaft für eine Optimierung der Kundenbindung, die Wissenschaft für ein besseres Verstehen unserer Welt und wieder andere Kreise für…?

Die einen sehen die Gefahr in der Regulierung durch die Behörden, andere sehen sich in ihrem Privatleben bedroht. So unterschiedlich die Herausforderungen sind, so verschieden sind die Meinungen und Erfahrungen, wie der Anlass unter dem Titel „Dine & Talk im Widenmoos“ zeigte.

Korrelation

Anschaulich gab Patrick Schünemann eine grundsätzliche Einführung in die Thematik. Er ist Leiter General Public Markets der Firma Bedag AG. Das Prinzip sei in der Absicht einfach, er nennt es „Potenzial von faktenbasiertem Entscheiden“ mit dem Werdegang von Daten zu Informationen, zum Wissen, dann hin zum Denken, um schließlich handeln zu können. Das Wort Korrelation – die Wechselbeziehung – ist viel gefallen, dafür bestünde, so Schünemann, ebenso ein Potenzial in den drei Schritten Plausibilität, Kausalität und Korrelation. Er sprach von einer „Massenindividualisierung“, sprich richtiges Angebot in der richtigen Darstellung, für den richtigen Kunden, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und über den richtigen Kanal. Die Datenanalyse optimiere die Effizienz und die Effektivität. Patrick Schünemann erzählte von einem Projekt bei den Versicherungen, wie Analysen ergeben haben, dass Versicherungskunden je nach Alter, Umstand und Region oft im Monat August sterben würden und zwar jeweils am Ende des Monats. Das habe eben schon Einfluss in die Kundengespräche. Das Publikum reagierte zwischen Lachen, Nachdenklichkeit und Staunen.

Cross-Channel

Daniel Röthlin, CEO der Ex Libris, brachte ein gedrucktes Telefonbuch mit. Dieses ließ er für sein Referat auf seinem Tisch liegen, wohl um zu zeigen, dass schon immer so viele Daten und Informationen wie nur möglich gesammelt wurden. Röthlin hat viele Visionen für den Handel von Medien wie Musik, Text und Film. Cross-Channel statt Multi-Channel sei angesagt und so könne durch registriertes Kundenverhalten optimal auf die Bedürfnisse eingegangen werden. Der Kunde bestellt via Smartphone oder Rechner, holt es in einer Filiale nach dem Feierabend ab – übrigens ein starker Trend – und wenn er den Laden betritt, könnten Screens und Werbefelder ihn registrieren und sekundenschnell Filme, Bücher oder Musik präsentieren, die in sein Konsumprofil passen könnten. Daniel Röthlin glaubt nach wie vor an die Existenzberechtigung von physisch existierenden Filialen der Ex Libris, aber im perfekten Zusammenspiel mit anderen Verkaufs- und Infokanälen.

Das Öl des 21. Jahrhunderts

Martin Haas, Leiter Migros-IT-Services, nennt Big Data ein „immenser Themenkomplex“, wir hätten solch große Datenmengen, die nur unzureichend verarbeitet werden können. Die Schweiz habe 4,5 Mio. Privathaushalte, 3,5 Mio. Menschen wären aktive Cumulus-Kunden, pro Tag gehen 1,4 Mio. Kunden in die Migros-Filialen, es würden 9,1 Mio. Artikel pro Tag verkauft. Bei solchen Dimensionen findet Big Data viele Verwendungsgebiete, angefangen von der kundenfokussierten Promotion über Logistikoptimierung bis hin zur richtigen Verpackungsgröße, Preis- und Promotionsgestaltung. Die digitale Revolution sei im vollem Gang, denn 80 % aller Haushalte verfügen über einen Breitband- Internetanschluss, 43 % besitzen Smartphones mit Internetzugang, 20 % verfügen über einen Tablet-PC und 20 % kaufen mehrere Male pro Monat online ein, gemäß Quelle ECC-Handel von 2013. Die Herausforderungen des Einzelhandels münden im Begriff Omni-Channel; der Kunde und seine Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt und immer mehr „hat der Kunde klare Vorstellungen, wie er was, wann und wo einkaufen will“. Das schlägt sich auch in die Erwartungshaltung der Kunden nieder, zum Beispiel in der Transparenz zu Lieferkonditionen, Preisen und Aktionen, oder er möchte mehr Zusatzinformationen zu Produkten wie Inhalte, Herstellungsangaben, Gütesiegel etc. Der Kunde bestimmt, wann und wie er kommunizieren möchte. „Der Schritt von der Analyse der Transaktionsdaten verbunden mit Kundendaten hin zum professionellen Umgang mit noch komplexeren Datenstrukturen wird uns fordern.“ Aber Big Data sei eine Chance für neue Business- Modelle.

Keine harmlosen Daten mehr

Aus Bern angereist ist der Eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür und zählt gleich mal die unproblematischen Bereiche von Big Data auf, vorausgesetzt, die Daten würden anonymisiert genutzt: Bekämpfung von Epidemien, Umweltverschmutzung in den Städten, Prüfung von Nebenwirkungen von Medikamenten oder in der Verkehrsregelung etc. Die Liste mit den problematischen Seiten der Datenwertung ist dagegen nicht kürzer. Auf dieser stehen u. a. Vorhersagen über künftige Ereignisse oder Handlungen (Krankheit, Delinquenz, Kreditwürdigkeit), rechtsungleiche Behandlung, Diskriminierung und „Profiling“. Kurz, es gäbe keine harmlosen Daten mehr. Deshalb brauche es einzuhaltende Grundsätze wie beispielsweise Transparenz, Zugang zu Personendaten, Informationen über die Quellen, Zugang zu Schlüsseln (Algorithmen) oder manuelle Überprüfung von Ergebnissen. Thür erklärt gleichzeitig, dass hier noch viel Handlungsbedarf bestehe und Lücken gefüllt werden müssten.

Undurchschaubarkeit bleibt immer

Auf die Frage in der Diskussionsrunde, ob die Behörden den technischen Entwicklungen in der Privatwirtschaft nicht hinterher rennen, gab Hanspeter Thür zu, dass das zunehmende Tempo eine riesige Herausforderung sei und gerade in der Kriminalität es fast nur ein Reagieren und nicht ein Agieren gäbe. Zudem könne die Schweiz weltweit nur einen kleinen Raum abdecken, aber international Einfluss nehmen, das tue die Schweiz auf allen möglichen Plattformen.

Der Moderator und Journalist Urs Heinz Aerni wies auf einen Artikel in der Zeitung DIE ZEIT  hin, in dem die Verwendung von Big Data bei der Polizei als Präventivmittel eingesetzt werden könne und bat die Anwesenden um Einschätzung. Ziemlich einstimmig kam man zum Schluss, dass der Faktor Mensch mit seiner Unabwägbarkeit nie ganz durschaubar sein wird. Die radikalen Islamisten im Mittleren Osten hätten alle westlichen Geheimdienste überrascht, trotz tonnenweisen Informationen. Also, nach wie vor: Big Data ist ein Big Thema, aber mit fast allen Fragen offen.

 

Mit Dank für die Zusammenarbeit mit Jürg Baumgartner von Data Connect AG in Aesch (Schweiz) und unserem Mitarbeiter Urs Heinz Aerni