von: Ulrich Stock, Riefensberg (Österreich)
9. Januar 2021

Profisport – droht die nächste Pleite?

Ein Gastbeitrag von Ulrich Stock.

© DVA

Ich kann es nicht verhehlen: Als ich Bilder vom Eröffnungsspringen der Vier-Schanzen-Tournee in Oberstdorf sah, blutete mir das Herz! Dort, wo ansonsten um diese Zeit des Jahres Zehntausende die Springer auf einer Welle der Begeisterung zu neuen Höchstleistungen fliegen lassen, bestimmten leere Ränge oder Pappkameraden das Geschehen. Seit Jahren schon ohne Fernsehen, schaute ich auch bislang keine sportlichen Grossveranstaltungen an. Ich konnte mir also nicht vorstellen, wie Fußball ohne Westtribüne gespielt, ein Slalomhang ohne Zielpublikum oder auch der Centercourt ohne Zwischenrufe der Zuschauer bewältigt werden konnte. Seit Oberstdorf weiss ich es! Mich als Leistungssportler würde die Dauer-Depression quälen, wenn ich eine ganze Saison nur mit „Trainingssprüngen oder -spielen“ verbringen müsste. Ähnlich dem Schauspieler, der es bis in die grossen Häuser dieser Welt geschafft hat, um schliesslich vor leeren Rängen stehen zu müssen!

Eines jedoch zeigt diese derzeitige Situation auf: Der Sport wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr zur Gelddruckmaschine. Veranstalter und Verbände machten in so mancher Sportart Millionenumsätze, viele Sportler verdienten sich eine goldene Nase, manche degenerierten mit goldenen Steaks! Genau an dieser Nase allerdings mussten und müssen sich nun alle Beteiligten nehmen: In den Corona-Jahren 2020 und 2021 ist kein güldener Daumen zu verdienen! Oftmals artete das Ganze gar soweit aus, dass der Sport als solcher nurmehr Mittel zum Zweck wurde und tatsächlich ein Dasein vermehrt im Hintergrund fristete.
Einige Beispiel gefällig?

Die Streif, die Herrenabfahrt in Kitzbühel, ist die härteste Abfahrt im alpinen Schizirkus. Stürzt sich ein Rennläufer über diese Strecke hinunter, riskiert er dabei Kopf und Kragen. Viele jagen deshalb nicht mehr der Bestzeit hinterher, sondern wollen den Berg bezwingen, dabei sein und heil runterkommen. Als den Veranstaltern und dem Publikum dies mög-licherweise zu langweilig wurde, sind Zwischensprünge und Kom-pressionen eingebaut worden. Und sie zeigten Wirkung: 2016 kam es zu einer Unfallserie, die ihresgleichen sucht: Hannes Reichelt, Georg Streit-berger, Max Franz und Florian Scheiber bei den Österreichern, Aksel Lund Svindal bei den Norwegern und andere mehr wurden in die Fangzäune katapultiert – viele davon verletzt, für einige war die Saison gar beendet. In Kitz jedoch steht in den letzten Jahren immer mehr die High Society im Fokus des Geschehens. Wer zeigt sich beim Weisswurstessen im Stangl-wirt (Karten ab 155,- €), bei Rosis Schnitzelessen auf der Sonnbergstuben (Karten ab 250,- €), im Club Take Five (Karten ab 140,- €), bei der Kitz Legends Night im Hotel Tenne etwa (Karten ab 149,- €) oder bei der Party in der Fanzone des Ziels (für das Fussvolk). Für die Rennen selbst lagen die Eintrittspreise 2020 bei 20,- € für den Super G am Freitag, 25,- € für den Slalom am Sonntag und 30,- € für das Highlight, die Herrenabfahrt am Samstag. Stehplatzkarten für die Normalos – Promis oder Sitzende müssen wesentlich tiefer in das Geldbörserl greifen. Nur zur Abfahrt kamen beispielsweise an die 40.000, am gesamten Wochenende 90.000 Menschen (1999 waren es gar 100.000). Grobe Schätzungen sprechen von einem Gesamtumsatz von 47 Mio € (nur rund um die Gamsstadt) bei einem Organisationsbudget von 8,5 Mio!

Oder zurück nach Oberstdorf – zum Auftaktspringen der Vier-Schanzen-Tournee. 2019 kostete der schlechteste Platz (Oberrang) 25,- €, die normale Sitzplatzkarte auf der Tribüne 29,- €, bessere etwas mehr. Für die beiden Tage (Qualifikation und Wettkampf) gingen rund 40.000 Tickets über die Kassenscanner. Leider konnten trotz intensiver Suche keine wirtschaftlichen Zahlen zu Umsatz und Budget im Internet gefunden werden. In der Saison 2019/2020 besuchten mehr als 100.000 Menschen die vier Spring-Events in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen! Oberstdorf erwartete sich übrigens für die Nordische Schi-WM 2021 mehrere hunderttausend Zuschauer. Das Ticket war im Vorverkauf ab 59,- € erhältlich!

Die Allianz-Arena des FC Bayern München ist bei nationalen Spielen für 75.024 Zuschauer zugelassen. Im Jahresabschluss der FC Bayern AG für die Saison 2019/20 wird ein Gesamtumsatz von 698 Mio € und ein Gewinn nach Steuern von 9,8 Mio ausgewiesen. Weniger als erwartet, da nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge seit dem 08. März 2020 keine Zuschauer mehr bei den Spielen zugelassen waren. Selbiger betont, dass – sollte sich daran auch für die Saison 20/21 nichts ändern – von Umsatzrückgängen in dreistelliger Millionenhöhe ausgegangen werden muss. Ein Vergleich zum Jahresabschlussbericht 2018/19: Gesamtumsatz 750,4 Mio – Gewinn nach Steuern 52,5 Mio €.

Angesichts solcher Zahlen stellt sich meiner Einem die Frage: Sport? Oder beinhartes Geschäft! Da gibt es Sportler in anderen Sportarten, die das eigene Geldbörserl für Training, An- und Abreise sowie Unterbringung bei Wettkämpfen zücken müssen. Sie tun sich selbstverständlich auch schwer bei der Sponsorensuche, da diese nur dort investieren, wo hohe Kontaktzahlen zu erwarten sind. Und dies sind nun mal jene Sportarten, die Millionen vor die TV-Bildschirme holen und jene Gladiatoren, die tausendfach abgelichtet aus den Zeitungen und Magazinen entgegen lächeln. Bei den Randsportarten zeigt sich auch die Sportförderung wesentlich geiziger als bei den Grossen! Erleichterung hätten da die Übertragungen in den Sportkanälen der Sendeanstalten bringen können, doch werden auch hier oftmals der Wiederholung von Hauptabend-Programmen von etwa Fussballspielen der Vorzug gewährt.

Es ist gut so, dass sportliche Veranstaltungen auch in der Coronazeit abgehalten werden, obgleich hier schon mal einige hundert Menschen auf einem Fleck zusammenkommen (zählt man die Betreuer und Funktionäre hinzu). Dadurch kann auch Herr Müller seiner heiss geliebte Bundesliga am Samstag nachmittag und Frau Warliczek der Ski-Abfahrt in den Mittagsstunden folgen. Schliesslich gab es richtiggehende Unruhen, als dies zu Zeiten des ersten Lockdowns nicht möglich war. Ganz nach dem Motto „Brot und Spiele“ wird das Volk damit durch die Regierungen ruhig gestellt (geht übrigens auf den römischen Kaiser Tiberius zurück, als sich das Volk gegen ihn und seine Feldzüge auflehnte). Allerdings dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, wann sich auch Sportvereine und -verbände bzw. Organisationskomitees an die Landes- und Bundesregierungen wenden und lautstark nach Unterstützung schreien. Dabei dürften wohl ausgerechnet die grossen Umsatzmacher die ersten sein. Klar – es fallen grosse Kostenfaktoren weg, wenn kein Publikum da ist. Allerdings fallen dadurch auch grosse Umsatzbringer durch Eintrittspreise, Essen und Getränke, Merchandising etc. weg. Solch riesige Unternehmen wie etwa der FC Bayern München sind es nicht gewohnt, mit niedrigen Zahlen wirtschaften zu können. Schliesslich müssen Sie ja Millionengehälter für die Creme de la Creme der Sportgladiatoren bezahlen, die ihr Scherflein dazu beitragen, dass das Stadion gut gefüllt oder das Spiel durch TV-Anstalten übertragen wird. Von den Sponsoren mal ganz abgesehen. All das aber sind betriebswirtschaftliche Überlegungen – haben die noch etwas mit dem Sport zu tun?

Ja – es wird eine Zeit nach Corona geben, für all jene, die dieses Sch…-Virus aus eigener Kraft oder mit Hilfe der Impfung lebend überstanden haben. Wie jedoch die Zeit nach dem 1. Lockdown aufgezeigt hat, wird sich auch nach dem zweiten, dritten, vierten oder möglicherweise gar fünften Lockdown nichts ändern, obgleich es immer wieder hiess: Die Welt nach Corona wird nicht mehr dieselbe sein! Die Gelddruckmaschine wird auch danach weitergehen wie bisher gewohnt! Ohne Grenzen, ohne Rücksicht auf andere Sportarten und auch ohne Bedachtnahme auf die Gesundheit der Sportler, die sich wiederum in einem Teufelskreis befinden: Wenige Aktiv-Jahre, Höchstleistung und -risiko, übergrosses Konkurrenzdenken! Ansonsten ist Schicht im Karriere-Schacht!

Lesetipps:

.) Das Geschäft mit dem Sport; Helmut Ordner; Moewig 1987
.) Football Leas; Rafael Buschmann/Michael Wulzinger; Broschur 2018
.) Sport und Geschäft. Professionalisierung im Sport; Harald Fischer; B & W Bartels & Wernitz 1986

Links:

hahnenkamm.com
www.vierschanzentournee.com
fcbayern.com

Ulrich Stock

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