von: H. S. Eglund
17. Juli 2021

Hemingway: Alter Mann ohne Meer

Vor sechzig Jahren gab sich einer der erfolgreichsten Schriftsteller die Kugel, wählte den Freitod. Was hat das mit den jüngsten Unruhen auf Kuba zu tun? Es war der Konflikt zwischen Fidels Revolutionären und den USA, der Hemingway den Rest gab. Der Verlust von Heimat und einem guten Ort zum Schreiben.

Kult oder Kitsch? Bronzefigur von Hemingway in der Floridita-Bar in Havanna. © H.S. Eglund

Anfang Juli 1961, ein Landhaus in Ketchum im US-Bundesstaat Idaho: Früh stand der Schriftsteller Ernest Hemingway auf, holte ein Gewehr und Munition, lud die Waffe durch, stellte sie auf den Boden, legte sein Kinn auf und drückte ab. Mary Welsh beschrieb die Szene, in ihren Memoiren mit dem Titel Wie es war:

Am nächsten Morgen weckte mich das Geräusch von zwei Schubladen, die zugestoßen wurden, und schlaftrunken ging ich hinunter und sah etwas, sah einen Bademantel und Blut, und die Schrotflinte im zerrissenen Fleisch, im Vorraum vor dem Wohnzimmer.

Obwohl er nur ein Dutzend Romane geschrieben hatte, war Hemingway der bekannteste Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts. Denn er hatte zudem fast sechzig Kurzgeschichten sowie eine kaum zählbare Flut von Zeitungsartikeln geschrieben. Innerhalb von zwei Jahrzehnten stieg er zum bestbezahlten Autor auf, verdiente Millionen.

Biografien füllen Regalmeter

Warum gab er sich die Kugel? Die biografische Literatur über Ernest Miller Hemingway, geboren 1899 in Oak Park bei Chicago im US-Bundesstaat Illinois, füllt einige Regalmeter. Seltsamerweise wurden die politischen Hintergründe seines Freitods kaum thematisiert. Nur der kubanische Autor Norberto Fuentes und Hemingways Witwe Mary Welsh geben Einblicke in das Gezerre um den weltberühmten Gringo.

Fakt ist: Ende der 1950er Jahre war Hemingway durch Alkoholismus schwer gezeichnet, seine Depressionen wurden mit Elektroschocks verschlimmbessert. Der Krieg hatte ihn – wie Millionen andere – abgestumpft. Obwohl Hemingway seine Kriegserlebnisse hinter einer männlich-harten Maske zu verbergen suchte, wurde er Zeuge der Gräuel – und konnte sie nicht bewältigen

Erstmals 1928 in Havanna

Der Schriftsteller war im April 1928 erstmals nach Kuba gekommen, nach Havanna und Cayo Hueso. Hinter ihm lagen zwei Wochen Überfahrt auf einem britischen Dampfer, der in La Rochelle abgelegt hatte. Seine Frau Pauline Pfeiffer war hochschwanger.

Weil sich die politischen Verhältnisse in Europe verdunkelten und sich die große Wirtschaftskrise mit dem Börsenkrach von 1929 bereits ankündigten, suchte Hemingway erneut nach einem Ort, um in Ruhe arbeiten zu können.

Er war damals 28 Jahre alt, hatte mit dem Roman Fiesta einen ersten Achtungserfolg verzeichnet – aber nicht mehr. Das war längst kein Durchbruch. Auf Cayo Hueso wollte er das Manuskript von In einem andern Land abschließen. Dieser Antikriegsroman, der 1929 erschien, machte ihn ähnlich berühmt wie Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, der 1928 in den Buchhandel gekommen war.

Zwischenstation auf Key West

Pauline Pfeiffer stammte aus reicher Familie, und ihr Onkel vermachte dem frisch vermählten Brautpaar Hemingway ein mondänes Anwesen in der Whitehead Street in Key West, der letzten Insel einer Kette, die vom Festland Floridas weit in die Karibik ausgreift.

Auf Key West sah sich Hemingway mit der amerikanischen Wirklichkeit konfrontiert: Money makes the world go round. In seinem 1937 erschienen Roman Haben und Nichthaben rechnet der Autor hart mit seinen Landsleuten ab. Die Verfilmung mit Humphrey Bogart gilt heute noch als Klassiker, als literarische und cineastische Absage an den American Dream.

Ein Jahr später, 1938, siedelte Hemingway endgültig nach Kuba über. Welche Bedeutung die Insel für ihn hatte, schilderte er 1952 in einem Brief an Edward Wilson:

Ich habe immer Glück gehabt, wenn ich in Kuba arbeitete. Ich bin 1938 von Key West hier herübergezogen und habe diese Farm gemietet und schließlich gekauft, als Wem die Stunde schlägt herauskam. Es ist ein Fleck, wo man gut arbeiten kann, außerhalb der Stadt und auf einem Hügel, so dass es nachts kühl ist. Ich wache auf, wenn die Sonne aufgeht, und mache mich an die Arbeit, und wenn ich aufhöre, schwimme ich und trinke etwas und lese die Zeitungen aus New York und Miami.

Für Hemingway war Kuba ein Paradies, ein Refugium, ein Rückzugsort. Er war weit genug entfernt von den USA, von den Steuerfahndern, den mediengeilen Touristen, vom Trubel um seine Person als erfolgreicher Schriftsteller, von den Begehrlichkeiten der Verlage und der großen Filmstudios, die sich um seine Skripte rissen.

Zudem bekam die Ehe mit Pauline Pfeiffer die ersten Risse. Der Abschied von Key West lässt sich durchaus mit der Scheidung von Pauline erklären, denn als er nach Kuba kam, war eine neue Frau an seiner Seite: Martha Gellhorn. Mit ihr kaufte er außerhalb von Havanna ein Grundstück, die Finca Vigia, wo er insgesamt 21 Jahre verbrachte. Er blieb Kuba treu, nicht Gellhorn: Ende des Krieges ließ sich von ihr scheiden und heiratete 1946 seine vierte Frau – Mary Welsh. Auf Kuba. (gekürzt)

Den vollständigen Artikel mit zahlreichen Fotos lesen Sie im Blog von H.S. Eglund.

Lesen Sie auch:

Das Trauerspiel von Afghanistan

Mit Hemingway nach Galtür

Tacitus: Der erste Journalist der Zeitenwende

60 Jahre Raumfahrt: Dicker Daumen und blauer Planet