von: Paul Ott
26. September 2021

Die Schweiz hat nun ein Archiv für Kriminalromane

Das Schweizer Krimiarchiv ist das historische Gedächtnis des Schweizer Kriminalromans. Es umfasst eine Sammlung von mehr als tausend Büchern, umfangreiches Sekundärmaterial und soll in Zukunft auch Autorennachlässe aufnehmen. Kriminalromane sind Teil der Unterhaltungsliteratur. Es gibt in diesem Bereich bisher keine eigenen Sammlungen. Das zusammengetragene Material droht jedoch verloren zu gehen. Es ist bereits heute schwierig, ältere Bücher zu finden. Fast unmöglich ist es für die Zeit vor 1945. Es geht also darum, Kulturgut zu erhalten und der interessierten Öffentlichkeit sowie der Forschung zur Verfügung zu stellen! Das Schweizer Krimiarchiv sammelt gesamtschweizerisch in allen Landessprachen. Das Schweizer Krimiarchiv ist Teil von Krimi Schweiz - Verein für schweizerische Kriminalliteratur, der das Schweizer Krimifestival organisiert und den Schweizer Krimipreis vergibt. (Schweizer Krimiarchiv Grenchen).


Ein Gastbeitrag von Paul Ott, einem Mitbegründer des Schweizer Krimiarchivs:

© Schweizer Krimiarchiv Grenchen

 

Schon als Jugendlicher habe ich mich für Kriminalromane interessiert. Mit 15 Jahren habe ich fast jeden Tag einen Krimi gelesen, vor allem die Reihe der rororo-Thriller hatte es mir Anfang der Siebzigerjahre angetan. Und bald einmal wollte auch ich solche Geschichten erzählen und habe 1987 meinen ersten Kriminalroman – damals noch ein schmales Buch – unter dem Pseudonym Paul Lascaux veröffentlicht. So entstand ein Wechselspiel zwischen Lektüre und Schreiben. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass ich aktuell zum dritten Mal in der Jury für den Glauser-Preis bin, der den besten deutschsprachigen Kriminalroman eines Jahres auszeichnet. Da gibt es etwa 300 Bücher zu beurteilen, und ich sage jeweils: «Wenn ich selber nur die Hälfte der Fehler, die ich bei andern erkenne, nicht mache, habe ich viel gelernt.»

So begann meine Sammelleidenschaft, die noch befördert wurde, als ich im Jahr 2003 gefragt wurde, ob ich für die Tagung der Internationalen Vereinigung der Krimiautor/innen in Daun in der Eifel einen kurzen Überblick über den Schweizer Krimi schreiben würde. Der Text fand Gefallen. Mein Freund Thomas Przybilka, der das «Bonner Krimiarchiv Sekundärliteratur» führt, bat mich um eine erweiterte Version von etwa 30 Seiten für das Lexikon der Kriminalliteratur, ein Loseblattwerk, das in den grösseren Bibliotheken steht. Natürlich sagte ich zu und fand mich die nächsten beiden Jahre in jeder freien Minute im Lesesaal der Landesbibliothek, wo ich mich zwischen arbeitsamen Jus-Studenten in frühe Werke der Kriminalliteratur vertiefte, die man nicht ausleihen konnte. Es wurden dann fast 200 Seiten daraus, die nach einer Publikation als Buch verlangten. 2005 entstand die erste Version von «Mord im Alpenglühen», zur einen Hälfte Text, zur andern Hälfte Bibliographie. Dieses Werk ist vollständig überarbeitet und wesentlich erweitert im letzten Jahr neu erschienen und zeigt die Entwicklung des Schweizer Kriminalromans von etwa 1800 bis heute auf.

Damals habe ich seriös mit dem Sammeln begonnen, immer auch mit dem Ziel, daraus ein Schweizer Krimiarchiv zu machen. Viele der im Buch erwähnten Werke findet man nicht einmal mehr auf dem Antiquariatsmarkt, viel Material und ganze Nachlässe wurden weggeworfen, sodass es höchste Zeit war, den noch vorhandenen Bestand zu sichern und die eine oder andere Entdeckung zu machen. Immerhin sechs dieser Krimis aus historischen Zeiten konnte ich zusammen mit meinem Kollegen Kurt Stadelmann neu herausgeben.

Bis das Krimiarchiv realisiert werden konnte, gab es allerdings eine jahrelange Odyssee mit vielen Besprechungen, die jeweils endeten mit: tolle Idee, aber wir haben zu wenig Platz. 2018 nahmen wir unter der Anregung von Urs Heinz Aerni einen neuen Anlauf. Wir trafen uns bei Rosmarie Bernasconi in der Buchhandlung «Einfach Lesen» in der Berner Matte. Mit dabei war auch Christof Gasser, der die Kontakte nach Grenchen knüpfte. Mike Brotschi leitete das Notwendige in die Wege, und die Stadtregierung unterstützte das Anliegen. Hier gab es nicht nur Begeisterung, sondern auch den Willen, das Projekt umzusetzen. Und alles gesammelte Material findet sich nun in der umgebauten ehemaligen Küche im Untergeschoss der Stadtbibliothek Grenchen.

 

Ein paar Worte zur Sammlung.
– Grundstock ist meine private Sammlung von ca. 1200 Büchern.

– Dazu kamen etwa 500 Bücher von Kurt Stadelmann sowie eine grosse Anzahl Bände des «Neuen Pitaval» aus der Sammlung von Armin Arnold, der das erste Krimilexikon bei Reclam verantwortet hat. Die Reihe beginnt 1857 und ist – wenn man vom materiellen Wert ausgeht – der teuerste Bestandteil der Sammlung.

– Die «wertvollsten» Bücher sind jedoch diejenigen, die es vielleicht nur noch in einem einzigen Exemplar gibt, zum Beispiel die von François Fosca unter dem Pseudonym Peter Coram in den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts geschriebenen Werke.

Die Sammlung wird in Zukunft laufend ergänzt und erweitert. Im Gespräch sind auch einzelne Nachlassregelungen. Corona hat das Ganze etwas verzögert. Sobald die Pandemie überstanden ist, gibt es wieder mehr Energie für diese Arbeiten und auch für Veranstaltungen und Anlässe rund um das Krimiarchiv. Nicht zuletzt möchten wir auch eine Anlaufstelle für die Forschung sein.

Paul Ott

Link: Schweizer Krimiarchiv Grenchen