von: Urs Heinz Aerni
3. November 2015
© Imke Müller-Hellmann
Engerhafe, ein Flecken in Ostfriesland, 1944: Das Konzentrationslager der Nationalsozialisten liegt mitten im Dorf, ein abgelegenes Außenlager des KZ Neuengamme. Errichtet für 62 Tage zum Bau des Fiesenwalls. 2000 Gefangene, ausgesetzt der Kälte, dem Hunger und dem Prügeln der Wächter. 68 Polen, 47 Niederländer, 21 Letten, 17 Franzosen, 9 Russen, 8 Litauer, 5 Deutsche, 4 Esten, 3 Belgier, 2 Italiener, 1 Slowene, 1 Spanier, 1 Tscheche und 1 Däne sterben.
Engerhafe heute: Ein Stein auf dem Friedhof erinnert an die 188 Ermordeten. „Wer ist hier begraben?“, fragt Imke Müller-Hellmann ihre Großmutter, die 1944 27 Jahre alt war und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Lager lebte. Die Großmutter schwieg. „Sie konnte sich den Namen nicht zuwenden“, sagt Müller-Hellmann, „aber ich kann es.“ 11 Familien der Opfer macht sie ausfindig. Sie reist zu ihnen nach Frankreich, Polen, in die Niederlande, nach Dänemark, Spanien, Lettland und Slowenien. Dort hört sie von Widerstandsgruppen und Partisanen, vom Spanischen Bürgerkrieg und vom Warschauer Aufstand, vom Schweigen in den Familien und dem Leid der Hinterbliebenen. Sie schreibt die Geschichten auf und macht die Menschen hinter den Namen wieder sichtbar.
Kommentar: Die Autorin tut etwas ganz Wichtiges, sie zeigt Schicksale auf, die oft im riesigen Schatten der Katastrophe vergessen gehen oder nicht bemerkt wurden. Und es gelingt ihr dies auf eine feine und genaue Form mit ihrer Sprache. Lesen! Urs Heinz Aerni