von: Heiko Schwarzburger
4. Januar 2013

Immer der Nase nach

So multikulti wie der Kiez ist auch der Mief, der durch die Straßen wabert: Abgase der Nobelkarossen, Fettgeruch aus den Küchen, viel Kaffeeduft und etwas Teer von den Baustellen. Seit kurzem mischt das würzige Aroma natürlicher Kräuter kräftig mit.

Jens Jakob hat die Herbathek gegründet. Seit kurzem ist sie im Prenzlauer Berg ansässig. © Fred Winter

Wohltuend, wenn der Wind einmal durch die Straßen fegt und die sommerliche Dunstglocke für ein paar Atemzüge in den Himmel hebt. Dann sind die Nüstern frei, frei für eine ungewöhnliche Entdeckung: Aus einer schmalen Tür in der Kollwitzstraße strömt aromatische Würze. Sie steht offen, eine Einladung. Ein Sog entsteht, zieht den Passanten hinein. Denn nichts weckt die Erinnerung wie besondere Düfte, die man längst vergessen glaubte: Als die Minze zum Trocknen am Fenster hing. Als echte Kamille in die Kanne kam, bei Bauchweh und Dünnpfiff. Als Großmutter um sechs Uhr morgens mit dem kleinen Freddy an der Hand in den Wald trabte, um grüne Strinker aus der Erde zu puhlen, als wären es Trüffel. Ja, diese Tees von damals – kein Vergleich mit den geschmacksneutralen Staubbeuteln aus dem Supermarkt.

Eine Kräutermission

„Herbathek“ nennt Jens Jakob seinen Laden, den er im März eröffnet hat. Sich selbst bezeichnet der 44-jährige Biologe als „Kräutermissionar“ und als „Biofanatiker“. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Anja Gedike wagt er im Prenzlauer Berg einen Neustart, nachdem er die Herbathek als Ladengeschäft schon vor vier Jahren eröffnet hatte, damals am Botanischen Garten im Westteil der Stadt.

Schon vor Jahren hatte es im Prenzlauer Berg einen Kräuterladen gegeben, von Kühne, in der Nähe vom S-Bahnhof Prenzlauer Allee. Der ist längst weg. Und anders als die Kräuterkette setzt Jens Jakob bei der Auswahl seiner Lieferanten ausschließlich auf Bioproduzenten. „Wir legen großen Wert auf Bioqualität“, sagt er. „Die Leute sind dafür immer offener und suchen nach einer zuverlässigen Bezugsquelle.“

Einheimische Gewächse reichen aus

Genau 372 sortenreine Kräuter hat die „Herbathek“ auf Lager, regelmäßig kommen neue hinzu. Sie stammen aus Anbaugebieten in Italien, in Österreich, in Deutschland, Polen, Ungarn, der Türkei und Ägypten. Außerdem liefert Jens Jakob rund 50 vorkonfektionierte oder selbst gefertigte Kräutermischungen aus. Auch Gewürze hat die Herbathek auf Lager, ebenfalls rund 50 Sorten und Mischungen. Aus Übersee werden kaum Kräuter angeliefert, „denn ich bin der Überzeugung, dass einheimische Kräuter völlig ausreichen, um uns zu heilen“, wie der gelernte Biologe erklärt. „Kräuter aus Indien oder China muss ich mir nicht über zehntausend Kilometer schicken lassen. Dort kann ich auch nicht kontrollieren, wie sie angebaut werden. Unser Angebot hängt ein bisschen von der Nachfrage der Kunden ab, doch Kräuter aus China lehne ich wegen der häufigen Verunreinigungen und schwierigen Überprüfbarkeit ab.“

Das Sortiment erstreckt sich von A wie Aloe Vera Saft über Algenpräparate, ätherische Öle und ayurvedische Tees zu Ginseng, griechischem Bergtee (Eisenkraut), Grüntee und Schwarztee bis zu Imkereiprodukten, Kräuterextrakten, Teemischungen und nützlicher Literatur. Auch Probiotics, Mineralstoffe und Spurenelemente, Nahrungsergänzung, Naturkosmetik, natürliche Vitamine, pflanzliche Säfte, Pflegemittel, Propolis und Vitalpilze sind erhältlich. Vorbilder sind die italienischen „Erboristerias“: eine Kombination aus traditioneller Kräuterapotheke, Naturdrogerie und modernem Biosortiment.

Ein Überzeugungstäter

Jens Jakob ist Dozent für Heilkräuter und gesunde Ernährung. Er weiß: Nicht nur der Anbau der Kräuter verdient Beachtung, auch ihre Lagerung. „Wir sind der einzige Händler in Deutschland, der das Erntejahr auf die Verpackung schreibt“, meint Jens Jakob. Denn liegen die Kräuter länger als zwei Jahre, sammeln sich biochemische Abbauprodukte an, die unter Umständen giftig wirken. Zwar sind längere Lagerfristen erlaubt. Aber viele Händler wissen oft nicht, dass sich die getrockneten Heilpflanzen über die Zeit in ihrer chemischen Zusammensetzung verändern. „Harte Wurzeln oder harte Blätter kann man auch drei Jahre lang lagern“, gibt Jakob einen Rat. „Aber weiche Blüten und andere Bestandteile der Pflanzen leiden durch den Sauerstoff und die Lagerung. Sie sollte man nach zwei Jahren nicht mehr handeln und verwenden.“

Weit hergeholt ist der Vergleich mit einem „Kräutermissionar“ nicht. Jakob ist ein Überzeugungstäter, der sein Fach sehr genau versteht. Der studierte Biologe kam 1989 aus Düsseldorf nach Berlin, um an der Freien Universität alles über Pflanzen und Tiere zu studieren, was möglich war. Einige Jahre lebte er in Spanien, jobbte in einer Biofleischerei.

Im Westen kaum Laufkundschaft

Die Freundschaft und enge Zusammenarbeit mit einer Naturheilpraktikerin und Ärztin und die langjährige Beschäftigung mit dem Thema mündete 2005 in konkrete Aktion: Jens Jakob gründete in Schöneberg einen Internethandel für Heilpflanzen, um wertvolle Naturheilmittel aus Italien zu importieren. „Dort werden auch sehr hochwertige Naturheilmittel hergestellt, andere als bei uns. Zum Beispiel Propolis, das Wundermittel der Bienen, oder Spurenelemente und Flüssigextrakte der Heilpflanzen. Da steckt Deutschland noch in den Kinderschuhen. So etwas gab es bis dahin bei uns kaum.“ Zu dieser Zeit organisierte der Biologe bereits Kurse über die heilende Wirkung bestimmter Pflanzen. Nun brachte er einen Online-Shop an den Start, der jedoch nie wirklich aus den Startlöchern kam. Denn das Internet selbst war noch nicht aus der Hüfte gekommen. „Drei Jahre später stand ich vor der Entscheidung, aufzuhören, oder das Geschäft zu verändern.“ Der Vertrieb der Biokräuter, Tees und der italienischen Produkte auf den zahlreichen Biowochenmärkten in Berlin lief nur schleppend. Meist waren den Leuten die Kräuter zu teuer. Und die italienischen Produkte kannte niemand. „Das war frustrierend, denn es reichte kaum zum Leben.“

Jens Jakobs Stärke ist seine Kontaktfreudigkeit, das merkt man sofort. Über die Ladentheke hinweg parliert er über die Geheimnisse von exotisch klingenden Blättern, streut eine Prise auf den Tisch, der Duft schwappt eine neue Bilderlawine ins Hirn. „Ich wollte aus dem Einsiedlerdasein raus, denn ich habe aus dem engen Büro in Schöneberg heraus alles gemacht, auch den Versand für den Internetshop“, berichtet er. „Also eröffnete ich 2008 mein erstes Ladengeschäft, unmittelbar am Botanischen Garten in Lichterfelde-West. Das Manko: In dieser Ecke gibt es kaum Laufkundschaft.“

Mehr recht als schlecht hielt er den Laden offen. Das Gros des Geschäftes lief dann später ohnehin über den Webshop, der zunehmend Interessenten anzog. Richtiger Schwung kam in die Sache, als Anja Gedike einstieg. „Das war vor einem Jahr“, erinnert sich Jens Jakob. „Im Winter waren wir hier um die Ecke mit den Eltern essen. Anja sah die freie Gewerbefläche, sie bestand darauf, die Räume anzuschauen. Denn den alten Katakomben in Lichterfelde-West waren wir wegen der ständig zunehmenden Internethandels längst entwachsen.“ Seit März hat das Paar den neuen Laden im Prenzlauer Berg. Auf 172 Quadratmeter Fläche befinden sich der einladende Verkaufsraum, das Kräuterlager und die Technik für den Internethandel. Ein Dutzend Mitarbeiter kümmern sich um die Kunden vorn im Laden und in der Cyberwelt, mischen die Kräuter und verpacken die Produkte für den Versand.

Viel mehr Spaß

Viele Leute kommen in den Laden, weil es so gut riecht. Unmöglich, diesem Sog zu widerstehen: Neugierige, die schnell einen Tee kaufen. Häufig Touristen, die zufällig vorbei schlendern, zunehmend Frauen aus dem Kiez, die spezielle Kräuter kennen und gezielt danach suchen, vor allem diese auch in Bioqualität. „Zu uns kommen sehr viele Therapeuten und Heilpraktiker, die kritisch nachfragen, woher die Ware stammt“, sagt Anja Gedike. „Das ist ein anderes Bewusstsein, das macht viel mehr Spaß als in Lichterfelde. Die Leute hier denken ähnlich wie wir.“

Der Renner sind Kräutertees nach Andreas Moritz, um Leber, Nieren und Gallenblase zu reinigen (siehe Kasten). Auch finden immer neue Kräuter ihren Weg in die Regale und zu den Kunden. Jens Jakob studiert die Kräuterlexika im Internet, sichtet die Indikationen, überprüft neue Hinweise mit Medizinern und Heilpraktikern. „Leider komme ich nur noch selten dazu, selbst ins Umland zu fahren, um Pflanzen zu sammeln und zu trocknen“, klagt er. „Nebenbei biete ich in Schöneberg noch Kräuterwanderungen und Kurse über gesunde Ernährung an, das wollen wir auch im Prenzlauer Berg machen.“ Deshalb geht auch abends das Licht in der Herbathek nicht aus: Vorerst finden einmal oder zweimal im Monat Veranstaltungen statt, über aktuelle oder saisonale Themen. „Dazu nutzen wir unseren Verkaufsraum“, sagt Anja Gelicke. „Wir laden interessante Gäste ein und zeigen, dass man die Gesundheit auf vielfältige Weise mit Heilkräutern und Naturheilmitteln unterstützen kann.“

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