von: Jonathan Stauffer
10. September 2021

Das Ende der Analyse

Grundsätzliches: Gastbeiträge müssen und sollen nicht die Haltung der Redaktion entsprechen, sondern dazu einladen, in alle Richtiungen zu denken um vernünftige Schlüsse ziehen können, für eine Bereitschaft, lernen zu wollen. Gerne veröffentlichen wir hier Texte, die sondieren, suchen, hinterfragen und das Denken fördern und nicht solche, die behaupten, posaunen und allwissend daher kommen. Austausch, Dialog und Zuhören sind die Grundlage für das Weiterkommen und für unsere journalistische Ethik.

Dieser Gastbeitrag stammt von Jonathan Staufffer. Er leitet zusammen mit Claudia Zangger den Furum Verlag in Basel. Dabei stellt er auch neue Bücher aus dem Verlag vor.

Moulin de la Rouchotte - eine Art kleine Farm, die Claudia Zangger und Jonathan Stauffer in Frankreich besitzen und für kreative Auszeiten anbieten. pd © Moulin de la Rouchotte in Frankreich, geführt von Claudia Zangger und Jonathan Stauffer - pd

 

Gibt es noch etwas zu sagen zur Krise, die uns seit 18 Monaten vor sich hertreibt? Oder ist alles gesagt, die Analysen gemacht und die Positionen verfestigt? Scheinbar drehen wir uns weiter in einer Spirale, die immer abgründiger wird. Die Spaltung der Menschen in zwei Lager wird zu einer offenen Wunde, die nicht heilt, sondern verhärtet. Entweder – oder. Das gesellschaftliche Koordinatensystem ist in wenigen Monaten in sich zusammengefallen wie die Twintowers vor 20 Jahren.

Doch, es gibt noch vieles zu sagen, allerdings nicht mehr analytisch, da gibt es nur noch neue Detailerkenntnisse, sondern synthetisch. Ein Ansatz, der uns irgendwie abhanden gekommen ist. Wir lassen uns von den zentrifugalen Kräften des Entweder-oder immer weiter auseinander treiben. In Ihrem neuen Buch «Die Enthüllung» schildert und sucht Kerstin Chavent beherzt den Weg ins Zentrum. Der Weg führt natürlich zunächst durch das Reich der Analyse, um dann schliesslich das Entweder-oder in einem Sowohl-als-auch zu erlösen. Die «Enthüllung» meint hier die Apokalypse, die nicht im Grauen und der Katastrophe stehen bleibt, sondern die sich in den Prozess des Wandels, der Verwandlung begibt. Was sich durch die Enthüllung zeigt ist schrecklich, zugleich aber der Beginn eines Heilungsprozesses. Bleiben wir bei der Analyse stehen, so brillant und stichhaltig sie auch sein mag, entwickelt sie ein Eigenleben und verwehrt wie ein Türsteher den Menschen den Zutritt zum Schöpferischen.

Wir müssen die «Maßnahmen» zur Kenntnis nehmen, uns aber nicht länger dadurch von unserem wesentlichen Tun abhalten lassen. Dazu findet sich manches im neuen Buch von Kerstin Chavent, die die Verhältnisse in Deutschland und in Frankreich aus eigener Erfahrung kennt und berücksichtigt. Es ist an der Zeit, die Analyse abzuschließen und für eine Zukunft zu arbeiten, die der Menschlichkeit Raum gibt. Ein Raum, in dem jeder Mensch als individuelles verantwortungsvolles Wesen seinem Lebensstern folgen kann.
Sie können Kerstin Chavent näher kennenlernen, wenn Sie das Gespräch anhören, das Kai Stuht kürzlich mit ihr geführt hat. Sie finden es hier. Kai Stuht berichtet auf seinem Kanal unermüdlich und unbeugsam seit Frühjahr 2020 über die Entwicklungen und Ereignisse. Er zählt für uns zu den wichtigen Begleitern durch diese Zeit (kai-stuht.org)

Was braucht es noch? Genau: «Gedankenstreiche», treffender kann es nicht bezeichnet werden, wie es Stefan Brotbeck nennt und auch pflegt. Einmal in seinem Buch, das in vielen Texten eine überraschende Aktualität bekommen hat und erst jetzt so ganz eingeordnet werden kann, dann in seinen in Echtzeit entwickelten «Gedankenstreichen» die es nur einmalig gibt. Freihändig, ohne Netz aber auf dem hohen Seil führt er am Whiteboard per Video vor, was es heisst, ungesichert gedanklich beweglich und forschend zu sein.

 

Ein Weg zum Sowohl-als-auch

Kerstin Chavent
Die Enthüllung
Neue Normalität oder neues Bewusstsein?
Artikel-Nr.: 23269
ISBN: 978-3-85636-269-0
Seiten: 142
Jahr der Auflage: 2021
Auflage: 1. Auflage
Bindeart: Klappenbroschur
CHF 21.80 / EUR 17.90 *
 

Apokalypse heißt Offenbarung, und wenn sich etwas offenbart, wenn eine Hülle abfällt, dann ist dies nicht nur ein dunkler oder negativer, sondern auch ein Wahrheitsmoment. Es enthüllen sich neue Wege, und die Krise gebiert Entscheidungsmöglichkeiten: zwischen einem Immer-menschlicher-werden, immer ganzer, oder einem Vereinzelter-werden, technisierter und abhängiger. Es ist die Entscheidung zwischen normativer und schöpferischer Moral, zwischen Misstrauen und Kontrolle auf der einen Waagschale und Vertrauen in den Geist auf der anderen.
Dass wir alle in verschiedener Weise unter der Polarisierung der Gesellschaft leiden, ist deutlich. Wer oder was ist dafür verantwortlich? Wie lässt sich die Spaltung überwinden? Für Kerstin Chavent ist diese Frage nicht mehr so zu beantworten, dass man einseitige Schuldzuweisungen vornimmt. Und im Zuge dessen erst den Bürger sanktioniert und dann den Menschen abschafft.
Schaut man tiefer, dann enthüllt sich in der vermeintlich alternativlosen „neuen Normalität“ die Aufgabe jedes Einzelnen, sein Bewusstsein zu weiten.

Auch das Denken kann fröhlich sein

Stefan-Emanuel Brotbeck
Gedankenstreiche
Philosophische Miniaturen
Artikel-Nr.: 23232
ISBN: 978-3-85636-232-4
Seiten: 224
Jahr der Auflage: 2013
Auflage: 1. Auflage
Bindeart: Klappenbroschur
CHF 23.80 / EUR 19.80 *
 

Diese Gedankenstreiche entspringen einerseits einem fröhlichen Denken, das Übersehenem oder Untergegangenem im Alltag nachspürt, andererseits einem Denken, das auf Halbheiten und Verdrehungen allergisch reagiert und den Finger auf Fehler legt, die heute problemlos durchgehen. Ein großer Teil der Texte widmet sich den Prämissen und Konsequenzen der Gehirnforschung und der naturwissenschaftlichen Denkweise. Der Autor deckt schonungslos auf, wie hier im Umgang mit Begriffen geschludert wird.
Mit Wortgewalt wettert Stefan Brotbeck gegen Versuche, den Menschen in seinen Kopf einzusperren. Seine scharfe, oft heitere philosophische Prosa befreit den Menschen aus dem Geflecht von abstrakten Theorien, seltsamen Experimenten und abenteuerlichen Trugschlüssen und stellt ihn als denkendes, fühlendes und handelndes Wesen wieder her.

 

Uns ist es ein Anliegen, im Gespräch zu bleiben, so unterschiedlich die jeweilige Analyse sein mag, das Gespräch ist der Ort, wo sich Gegensätze in Neues verwandeln können. Goethe hat von Polarität und Steigerung gesprochen. Unsere Bücher sind Teil dieses Prozesses.

Herzlich

Jonathan Stauffer