von: Stefan Zweifel, Galerie Ziegler Zürich
11. Juni 2016

Hans Arp in Zürich

Angeekelt von den Schlächtereien des Weltkrieges 1914 gaben wir uns in Zürich den schönen Künsten hin. Während in der Ferne der Donner der Geschütze grollte, sangen, klebten und dichteten wir aus Leibeskräften. Wir suchten eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen, und eine neue Ordnung schaffen sollte.  (Hans Arp)        

© Galerie Ziegler

Dieser vitale Elan beflügelte Arp weit über Dada hinaus und war noch auf den ersten Blick zu spüren, als Renée und Maurice Ziegler 1962 sein Atelier in Solduno betraten. Zwischen all seinen alten und jüngsten Kreationen wählten sie eine Fülle von Werken aus, um sich den Wunsch und Traum zu erfüllen, in ihrer neu gegründeten Galerie Hans Arp auszustellen.
Nicht ohne Schmunzeln erwähnen sie, wie sie sich immer tiefer im kreativen Kosmos von Arps Atelier im ersten Stock verloren, bis sie von Marguerite Arp-Hagenbach am Fuß der Treppe wieder in die Realität zurückgeholt wurden: „Das und das kann das Haus nicht verlassen“, – und doch blieb die Fülle ungeschmälert:
„Nach der großen Basler Ausstellung des vergangenen Sommers“, schrieb die Kunst-Zeitschrift werk über die Ausstellung in der Galerie Ziegler im Herbst 1962, „ein wunder-volles, intim wirkendes (und daher um so berührenderes) Nachspiel. Verzicht auf perfekte Anordnung und Aufstellung. Absichtslos. Aber doch kam etwas zustande, das in seiner Lebendigkeit, seinem Wechsel der Gattungen und Perioden an die Situation in einem Atelier erinnert.“
Renée und Maurice Ziegler hatten Arp während des Aufbaus seiner Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel bei einem Mittagessen kennengelernt und nach 1962 weitere Gruppen- und Einzelausstellungen zu Arp veranstaltet, wobei heute als Nachbild der umfassenden Schau von 1986 nochmals die Arbeit Aquarell über Bleistift (um 1962) zu sehen ist. Die Skulptur ‚Sculpture architectonique‘, 1958, ist zu schwer, um in der Galerie aufgestellt zu werden, das Relief ‚Constellation Stutt I‘, 1956, kennt man vielleicht vom Titelbild der ersten Werkmonographie, die Carola Giedion-Welcker und Marguerite Hagenbach 1957 verfassten. Die konzentrierte Auswahl zeigt, wie viele Formgebungen Arp in die Kunst eingebracht hat.
1962 entdeckte die NZZ den Erfolg seiner „Nierenform“ sogar im Design der Möbelfabrikanten, unterstreicht aber tapfer, dass Arp diese Formgebung „im Jahre 1951 abgeschlossen“ hatte, damit man den Zeitgeist aus seinem Werk und ja nicht sein Werk aus dem Zeitgeist heraus erklärt. Schließlich habe uns Arp bereits wieder vor neue Rätselformen gestellt: „Etwa die grosse, wulstig ausgezipfelte Fläche, welche von einem Kern, einem Loch, einer Höhlung aus sich zähflüssig ergiesst. Bei Fleur-Animal ist dieser Kern ein Auge, ein Kiemenblatt. Den Holzschnitt Vogelmaske zerfetzt ein Guckloch; im Experiment Windfahne starren Öffnungen verschiedener Leere auf den Betrachter. Denn wenn Henry Moore unter der Hülle Bedeutsames wachsen lässt, schiesst bei Arp das Nichts heraus: Sankt Ziegensack schiesst aus dem Ei. Diese Formel ist in dem 1962 entstandenen marmornen Nabel sehr feierlich zu einer kreisrunden Scheibe mit zentraler Vertiefung gestaltet – will Arp hier dem mystischen Omphalos der Antike huldigen?“
Das fragen sich zur Zeit wohl auch viele Touristen, die mit dem Dada-Plan von Zürich Tourismus zum Cabaret Voltaire finden, wo dieser Omphalos seit 1966 daran erinnert, dass Zürich der Nabel der Avantgarde ist. Dada!

Neben Max Ernst ist Hans Arp sicher der bedeutendste Künstler, der genuin „dadaistische“ Elemente in sein Werk aufgenommen und fortgesponnen hat. So wie Tristan Tzara Wort-Schnipsel aus Zeitungen ausschnitt und blind aus einem Hut zog, um auf den Wahnsinn der Zeit mit dem „Ohnesinn“ des Zufalls zu antworten, schnitt Arp mit der Scheere organische Formen aus Papier, die er in die Luft warf, um deren Zu-Fall in Klebebildern festzuhalten. Und wenn er seine Bilder zerknüllte, stellte er die Viel-Falt seiner „papier froissé“ der Einfalt seiner Epoche entgegen.
So gesehen ist es ein schöner Zufall, dass Arp im Jubeljahr, das Francis Picabia, Dada-Afrika und die Frauen von Dada ins Zürcher Zentrum stellt, doch noch zu einer kleinen Einzelausstellung kommt – und man nicht mit dem Tages-Anzeiger von 1962 fragen muss: „Lässt Zürich Arp oder lässt Arp Zürich links liegen?“
Sophie Taeuber-Arp, deren Banknote pünktlich zur Feier aus dem Verkehr gezogen wurde, spurte mit ihrem bildnerischen Werk ja eher den Zürcher Konkreten vor. Bei ihren Auftritten als Tänzerin aber zeichnete sie in der Galerie Dada im Sprüngli-Haus die Flugfische und Seepferdchen aus Hugo Balls Gedichten mit ihren Gesten als Lichtblitz der Muskelreflexe in die Luft. Dabei verfasste die poetischsten Gedichte der Gruppe – Arp selbst:

weh unser guter kaspar ist tot
wer trägt nun die brennende fahne im wolkenzopf verborgen täglich zum schwarzen schnippchen schlagen
wer dreht nun die kaffeemühle im urfass {…}
warum hast du uns verlassen. in welche gestalt ist nun deine schöne grosse seele gewandert. bist du ein stern geworden oder eine kette aus wasser an einem heissen wirbelwind oder ein euter aus schwarzem licht

Paul Celans Wendung von der „schwarzen Milch“ vorwegnehmend, wird das Gedicht etwa von Peter von Matt für das gültigste Dada-Gedicht gehalten. Es zeigt, wie Arp mit den Schmetterlingsflügeln der Fantasie gegen die donnergrollende Gewalt der Maschinen kämpfte. Während auf den Schlachtfeldern die Glieder der Menschen zu Collagen des Grauens zerschossen wurden, formten sich bei ihm in Wort und Bild die Elemente eines neuen Menschen zu Collagen des Glücks. Die Galerie wäre dann der Schmelztiegel dieser Neuschöpfung der Welt aus dem Zufall. Und wirklich, wenn man mit Renée und Maurice über Arp spricht, gewinnt man den Eindruck, als würden diese Formen gerade jetzt gesucht. Ja: Jetzt.  Stefan Zweifel

Die Galerie arbeitet seit über 55 Jahren weltweit mit Sammlern, Museen und Galerien zusammen und beteiligt sich an internationalen Messen. Renée und Maurice Ziegler eröffnen ihre Galerie 1959 in Zürich. Ihre ersten Ausstellungen widmen sie Künstlern wie Fernand Léger, Pablo Picasso, André Masson, André Beaudin, Meret Oppenheim und Alberto Giacometti, die sie in den 1950er Jahren in Paris kennen lernen.
Ab 1961 erweitern die Galeristen ihr Programm mit Schweizer Künstlern ihrer Generation, den Eisenplastikern Bernhard Luginbühl, Robert Müller, Oscar Wiggli, und Jean Tinguely. Dazu kommen die Künstler Daniel Spoerri, Dieter Roth, Mathias Spescha, Pierre Haubensak und Gianfredo Camesi. Auch den konkretenKünstlern Richard Paul Lohse, Max Bill und später Jakob Bill und Shizuko Yoshikawa wird ein wichtiger Platz eingeräumt.

Anlässlich ihrer ersten, mehrwöchigen Reise nach New York, 1963, besuchen Zieglers u.a. die Ateliers der damals noch jungen und in Europa unbekannten Künstler Al Held, Eva Hesse, Bob Huot, Alfred Jensen, Kenneth Noland, Bob Rayman, George Sugarman, Kimber Smith und Tony Smith, deren Werke sie später in ihrer Galerie dem Zürcher Publikum vorstellen.
Neben der Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern sind Renée und Maurice Ziegler der klassischen Moderne treu geblieben und widmen ihr heute wieder vermehrt ihre Aufmerksamkeit. pd

 

Galerie Ziegler SA  Rämistraße 34  CH-8001 Zürich
im schauspielhaus (foyer, lift, 3. stock)
Vernissage   Sonntag   12  Juni  11-17 Uhr
Ausstellungsdauer   bis  8  Juni  2016
Öffnungszeiten  Mittwoch bis Freitag 13-18 Uhr, Samstag 11-17 Uhr