von: Urs Heinz Aerni
31. Januar 2020

Von Humor bis Sex und Politik

Auch die Welt der Animationsfilme widmet sich wie alle Kulturgattungen diesen Themen. Ein Interview mit der Leiterin des Festivals Fantoche in Baden (Schweiz, Aargau), Annette Schindler.

© Annette Schindler FANTOCHE Pressebild

Urs Heinz Aerni: Frau Schindler, Sie erhalten als Festivalleiterin sicher sehr viele Anfragen aus der Animationsfilm-Szene, oder?

 

Annette Schindler: Ja, das stimmt. Die Anfragen gehen aber nicht nur an mich, sondern an viele der Mitarbeiterinnen von Fantoche – zur Zeit sind es nur Frauen!. Heute fragte jemand nach Animations-Stummfilmen, die es nach der Erfindung des Vertonten Films in den zwanziger Jahren ja kaum mehr gab. GIF’s sind heutzutage oft ohne Ton, so dass wir nun die Idee entwickelt haben, statt einem Stummfilm mehrere GIF’s zusammenzufügen.

 

Aerni: Wir erinnern uns noch an die Animationsfilme von Walt Disney lange vor dem Zeitalter der Computeranimation und Digitalisierung. Wie würden Sie den Trend in Qualität von Technik und Inhalt beurteilen, angesichts der Tatsache, dass heute fast alle zuhause Animationen basteln können?

 

Schindler: Die Popularisierung ist ein Mechanismus, der viele unserer Gestaltungsmittel und Kulturtechniken erfasst: Im Ausklingenden 19. Jahrhundert konnte man nur im Fotostudio zu einem Foto kommen, heute kann jeder bei allen erdenklichen Gelegenheiten knipsen. Wenn Animationstechniken immer mehr Leuten zur Verfügung stehen, dann entstehen zunächst mal viel mehr Filme, und auch eine viel grössere Vielfalt an Filmen. Schulklassen machen Filme zu Lehrinhalten, Blogger und Youtuber lassen sich Dinge einfallen, die ihren Zuschauern gefallen könnten, usw. Innovationen im technischen und im inhaltlichen Bereich kommen aber nach wie vor eher von ausgebildeten und professionellen Filmemacherinnen und Filmemachern.

 

Aerni: In allen Kulturbereichen dominieren zeitweise spezifische Themen, gesellschaftliche Fragen oder auch Gefühlszustände Zeitabschnitte. Wie würden Sie den aktuellen Zeitgeist in der Animationsfilmbranche beschreiben?

 

Schindler: Der Animationsfilm hat hier halt den Nachteil, dass er aufwändig und langsam in der Herstellung ist, deshalb sind kurzfristige Trends hier nicht so verbreitet. Wenn man sich darauf einlässt, einen Animationsfilm wirklich gut zu machen, wird man sich überlegen, ein Thema zu wählen, dass seine Aktualität nicht in ein zwei Jahren verliert. Grundsätzlich werden aber ziemlich alle wichtigen Lebensthemen in Animationsfilmen reflektiert – von Humor über Sexualität bis zu politischen Fragen.

 

Aerni: Wie viel müssen Sie und Ihr Team Bescheid wissen über das technische Handwerk der Filmemachenden? Oder anders gefragt, was muss ein Filmbeitrag mitbringen, der bei Ihnen ankommt?

 

Schindler: Die Technik müssen in erster Linie die Macherinnen und Macher beherrschen. Wir müssen aber beurteilen können, ob das der Fall ist. Ein typischer, sehr ärgerlicher Fehler in einem Animationsfilm ist etwa, wenn die Figuren keine Bodenhaftung haben im Film und beim Gehen «rutschen». Für uns ist so etwas ein No-Go. Aber ein guter Film muss natürlich viel mehr können als technisch sauber gemacht zu sein: Er muss eine relevante Geschichte in kurzer Zeit erzählen können, er muss visuell innovativ sein, er muss ein gutes Sounddesign haben, um nur ein paar Faktoren zu benennen.

 

Aerni: In großen Kinofilmen und Blockbustern findet eine Annäherung, ja eine Fusion zwischen dem Realgedrehten und Animationstechnik statt. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Kommt die Zeit, in der der Unterschied zwischen Animation und Realfilmen aufgehoben werden könnte?

 

Schindler: Live Action Filme kommen nur noch selten ohne «visual Effects» aus, oder VFX, wie es im Fachjargon genannt wird. Die von Ihnen angesprochene Verschmelzung ist also schon sehr weit fortgeschritten. Der Live Action Film kommt aber – im Gegensatz zum Animationsfilm oder etwa zu den Computerspielen – nicht ohne Schauspieler*innen aus. Ich sehe heute keine Anzeichen dafür, dass sich das ändert.

 

 

 

INFOKASTEN

Annette Schindler hat 2012 die künstlerische Leitung und 2013 die Festivalleitung von Fantoche übernommen. Sie machte sich als Leiterin, Initiantin und Mitbegründerin mehrerer Institutionen und Festivals einen Namen: Zuletzt mit dem Haus für elektronische Künste Basel (2010), dem Shift-Festival für elektronische Künste Basel (2007-2010), mit Digital Art Collection/Store (seit 2005), [plug.in] Kunst und neue Medien Basel (2000-2010), und davor mit dem Swiss Institute New York(1997-2000) und dem Kunsthaus Glarus (1995-1997). Als Mitglied zahlreicher Juries, Gremien und Kommissionen lernte sie schweizerische und internationale KünstlerInnnen, FilmemacherInnen und GestalterInnen kennen. 2010 wurde Annette Schindler vom Bundesamt für Kultur mit dem Prix Meret Oppenheim für Kunstvermittlung ausgezeichnet. Sie ist regelmässig in anderen Animationsfilmfestivals als Jurymitglied tätig, so 2014 im Annecy Festival („Animation off Limits“), 2016 im 3rd Shenzen Independent Animation Biennial, 2017 im Festival Anima, The Brussels Animation Film Festival und 2018 im New Chitose Airport International Animation Festival 2018.