von: Urs Heinz Aerni
8. Oktober 2015
© Andreas Meier
Urs Heinz Aerni: Aus verschiedenen Gründen waren alle Atomkraftwerke nicht am Netz. Wo sehen Sie die Handlungsansätze für unseren Energieverbrauch?
Andreas Meier: Begrifflich werden Strom und Energie leider immer wieder vermischt. Die Revisionen und die zusätzlichen Abschaltungen sind im Sommer eher verkraftbar als in den Wintermonaten wenn die Schweiz 8000 MW Strom benötigt. Eine Momentbetrachtung in diesem Sommer ergab einen Verbrauch über die gesamte Schweiz von 2700 MW, davon wurden 1100 MW importiert, im Wesentlichen aus AKWs und thermischen Kraftwerken.
Aerni: Bleiben wir bei der Elektrizität…
Meier: Mit der Energiewende sollen gemäß Bundessrat keine weiteren Großkraftwerke mehr gebaut werden, die entstehende Lücke soll mit Energiesparen und nachwachsender Energie gefüllt werden. Dem Bürger wird eine sehr unrealistische Illusion vorgerechnet. Mit technologischen Innovationen und einer ressourcenschonenden Lebensweise soll es demnach in Zukunft möglich sein, mit 2000 Watt Primärenergiebedarf und einer Tonne CO2 pro Person und Jahr zu leben – dies ohne Kompromisse bei der Lebensqualität oder beim Wohlstand. Aktuell liegen die jährlichen Schweizer Durchschnittswerte inklusive importierten Konsumgütern bei 8300 Watt und rund 12,5 Tonnen CO2 pro Person, Tendenz weiter leicht steigend. Es braucht kein hellseherisches Talent um vorauszusagen, dass wir eher neue, moderne Großkraftwerke der nächsten Generation erstellen, als dass wir die gesteckten Energieziele erreichen.
Aerni: Kommen wir zu einem anderen Thema, das uns alle beschäftigt. Im Nahen Osten und in Afrika spielen sich menschliche Tragödien ab, was auch durch die Flüchtlingswelle zeigt. Welche Rolle spielt das C im Parteikürzel CVP für Sie zu diesen Problemen?
Meier: Die Bilder der Flüchtlingsströme, berühren mich, sind beklemmend. Das C steht für die Werte einer christlich sozialisierten Gesellschaft. In der Flüchtlingsfrage ist daher eine Großherzigkeit eine Schweizer Tradition und ist in der Bundesverfassung manifestiert. Beispiele in der Geschichte finden wir in der Aufnahme der Bourbaki-Armee, bei den polnischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, Ungarnaufstand, Prager Frühling, Boatpeople, Balkankriese und weitere mehr.
Aerni: Das waren große Herausforderungen aber wo klemmt es denn heute?
Meier: Eine Soforthilfe durch befristete Aufnahme ist nicht mit Asyl zu verwechseln. Nach der Genfer Konvention erhält Asyl nur, wer politisch verfolgt und bedroht wird. Große Migrationsströme aus Kriegsgebieten oder Armut fallen rechtlich in eine vorläufige Aufnahme als Hilfeleistung.
Aerni: Was gehört alles zu dieser “Soforthilfe”?
Meier: Allem voran ist Flexibilität auf allen Stufen und in allen Bereichen gefragt; vom Miltär über den Zivilschutz bis hin zu Rettungsorganisationen. Ein mittelfristiges und langfristiges Ziel ist jedoch zuerst eine Verhinderung der Traumatisierung der betroffenen Menschen und dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren und leben können. Eigene Erfahrungen im Umgang Menschen mit Status “F” (“Vorläufig aufgenommenen Ausländer” Anm. d. Red.) zeigten mir in der Vergangenheit leider eine schwierige und ungenügende Integration und folglich keine glückliche Existenz in diesem Land.
Aerni: Also wo sehen Sie vor allem den Handlungsbedarf langfristig?
Meier: Aufklärung in den Herkunftsländern, Bekämpfung der Schlepperermafia, geordnete Rückführung und Hilfe zum Neuaufbau einer Existenz, z.B. durch Vermittlung von Kleinkrediten sollten unsere Strategie bestimmen.
Aerni: Große Ziele?
Meier: Ganz klar, nicht jedem Flüchtling wird dieses Ideal gelingen, nicht jeder Kredit wird zurückbezahlt, insgesamt sind die Chancen aber höher als die Risiken, wenn wir noch über Generationen eine “Diaspora” durch Sozialhilfe stützen müssten, wie es Frankreich mit seinen Banlieus erlebt.
Aerni: Klingt das nicht etwas administrativ technisch?
Meier: Ich gebe Ihnen Recht, Schicksal trifft uns alle aber Lösungen sind nun mal nur mal auf technischem und politischem Weg möglich. Es gibt viel Leid auf dieser Welt und solches habe ich selber schon ansehen müssen – beispielsweise in Karthum mit fliehenden Müttern mit Kleinkindern aus dem Krieg des Süd-Sudan, in einem Aidsspital in Zambia, bei Menschen ohne Perspektive im Flüchtlingslager Zouerat in Mauretanien. Auch unter uns und hier in der Schweiz erleben wir individuelle Schicksalsschläge…
Aerni: Ja, aber genau die CVP hat doch angesichts der von Ihnen beschriebenen Umständen eine besondere Verantwortung…
Meier: Richtig, ich nehme mich dieser Verantwortung an, es gibt noch viel zu tun.
Aerni: Wir wechseln in die Wirtschaft. Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen: Starker Franken, freie Märkte und Regulierung durch die Behörden. Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Meier: Unser Land ist seit dem 15. Januar (Aufhebung der Stützung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro durch die Nationalbank) noch teurer geworden, der Stau am Zoll legt uns den Wettbewerbsnachteil für die Schweiz vor Augen und ist Anlass zur Sorge! Die Quantitative Lockerung für neue Staatsanleihen in der EU, auch QE, quantitative easing (Ausweitung der Geldbasis durch Zentralbanken als Mittel gegen Rezession oder Deflation. Anm. d. Red.), ist seit letztem Januar atemberaubend. Die 1140 Mia Euro neue Staatanleihen im Rahmen vom QE vom Januar ist das größte geldpolitische Experiment der Geschichte. Die Anleger flüchten mit dem Geld in Länder mit hoher Bonität…
Aerni: unter anderem in die Schweiz…
Meier: Richtig. Der Franken ist keine Casinowährung, er ist stabil – stabil steigend seit vielen Jahrzehnten.
Aerni: Was zu unserem Problem wird.
Meier: Wie schon in der Vergangenheit geschehen, entsteht dadurch eine Verteuerung unserer Produkte, was die Industrie und das Gewerbe fordert. Es heißt, die Wirtschaft hätte genug Zeit gehabt sich auf diesen Kurssprung vorzubereiten. ‘Innovation’ sei gefragt. Tatsächlich sind wir sehr innovativ aber in der praktischen Umsetzung verlieren wir leider Vorsprung oft an andere Länder.
Aerni: Gegenmittel?
Meier: Ein gutes Beispiel in die richtige Richtung zeigen Bund und Kanton mit dem Park “Innovaare”. An sich keine eigentliche Staatsaufgabe, braucht es für solche Anschubprojekte aber den nötigen Mut. Wir dürfen es staatspolitisch wagen, innovativ starke Unternehmen anzubinden und zu fördern.
Aerni: Der Staat als Antriebsmotor?
Meier: Da, wo es nötig wird, ja. Die Privatwirtschaft wie die Behörden möchten nachhaltige und wirtschaftlich stabile Verhältnisse, das geht nur durch Kooperation statt durch ledigliche Koexistenz. Die Chancen stehen damit gut, eine neue Schlüsselindustrie zu generieren, von der letztlich auch viele weitere Unternehmen profitieren. Gut bezahlte Arbeitsstellen haben ein Haushaltsbudget in dem auch eine gute Flasche Wein noch gut drin liegt.
Aerni: Über was würden Sie gerne noch reden?
Meier: Das Wort “Freihandelsabkommen” stünde noch … ist weites Feld.
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