von: Heiko Schwarzburger
28. Oktober 2013

Rote Karte für Rotes Rathaus

Beim Volksentscheid am 3. November geht es nicht um ein Feindbild: Vattenfall. Es geht um neue politische Spielregeln. (Teil 3 und Schluss)

Sitz des Berliner Senats: das Rote Rathaus am Alexanderplatz. © Andreas Steinhoff

Am 3. November stimmen die Berliner darüber ab, ob die Stadt das Stromnetz künftig wieder in eigener Regie betreibt, wie die Wasserbetriebe und die Müllabfuhr. Sie stimmen aber auch darüber ab, wer in dieser Stadt das Sagen hat. In einer beispiellosen Hetzkampagne versucht der Berliner Senat, das Ansinnen des Volkbegehrens zu torpedieren. Wem gehört diese Stadt eigentlich?

Die Arroganz von Frau Yzer

Die Koalition aus Sozialdemokraten und Unionschristen im Roten Rathaus hat sich des Volksentscheids auf eigene Weise angenommen. In bislang einmaliger Manier werden die Organisatoren des Volksentscheides verunglimpft. Wirtschaftssenatorin Yzer (CDU) fegte die Ergebnisse eines vorausgegangenen Votums lässig vom Tisch: 200.000 Stimmen für ein kommunales Stadtwerk seien nicht repräsentativ für eine Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern. Und die Übernahme des Stromnetzes wäre für Berlin zu riskant und zu teuer. Und die Gazetten dieser Stadt plappern diesen Unsinn gedankenlos nach. Oder geben ihm zumindest eine Bühne.

Wowereit schweigt, wie immer

Der Regierende Bürgermeister schweigt, weil er zu allem schweigt, was unangenehm ist. Der Volksentscheid zum Stadtwerk hat alle Anforderungen eines demokratischen Verfahrens erfüllt und ist Ausdruck der Willensbildung in dieser Stadt. So ist es eher Frau Yzer, die nicht repräsentativ ist. Oder doch? Offenbar sitzen CDU und SPD bei Vattenfall auf dem Schoß. Anders ist nicht zu bewerten, dass der Senat die vermeintlichen Risiken eines Stadtwerkes und der Übernahme des Stromnetzes hochspielt. Es sei zu teuer, lautet der Tenor, der nirgends mit Fakten untersetzt wird. Zu teuer, während beim neuen Flughafen in Schönefeld Milliarden Euro in den Sand gesetzt werden. Dagegen ist die Finanzierungsanalyse der Initiatoren des Volksentscheids realistisch und plausibel. Sie haben den Übernahmewert und die Risiken der Transaktion sehr genau dargestellt.

Politik und Konzerne im selben Boot

Das muss man verstehen. Das Politikverständnis, das König Wowereit und seine Hofschranze derzeit pflegen, stammt noch aus Kaisers Zeiten. Wir hier oben, ihr da unten.  Jeder Bürger darf einmal in vier oder fünf Jahren seine Stimme abgeben, in der Zwischenzeit zahlt er Steuern. Dieses Politikmodell geht auf frühere, absolutistische Modelle zurück, entstand als Mischung aus Reichskanzler Bismarck und dem Freiheitsstreben einer schnell wachsenden Industrie. Die Sozialdemokraten kamen in die Welt, weil die Lohnarbeiter und kleinen Angestellten eine Stimme brauchten, gegen die Übermacht der Bosse und Junker. Die SPD ist die Kehrseite derselben, großindustriellen Medaille, deshalb hängt sie auch heute noch an Großkraftwerken, an der Deutschen Bahn, an der Schwerindustrie und den großen Baukonzernen. Das Handwerk und die kreativen Schichten der Gesellschaft waren ihr immer fremd. Deshalb war sich Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nicht zu schade, Solargeneratoren zu verdammen. Alle Bürger, die Sonnenstrom nutzen, seien „Sozialschmarotzer“. Das lässt tief blicken. Denn das ist der Wortschatz der Nazis, wie wir seit den Analysen von Viktor Klemperer wissen. Er hat die Sprache des Josef Goebbels untersucht, sein Buch „LTI – Die Sprache des Dritten Reiches“ gilt als Standardwerk. Es stört das Obrigkeitsverständnis eines Herrn Steinbrück so sehr, dass er keine Entgleisung scheut. Wir dürfen froh sein, dass dieser Mann die Wahl so gründlich vergeigt hat.

Die Parteien vergeigen ihre Chancen

Genauso handelt die SPD im Falle des Volksentscheids zum Stromnetz. Wenn die großen, alten Industrien verschwinden, weil bewegliche, ökologische Geschäftsmodelle das Rennen machen, verschwindet auch die SPD. Für sie gibt es, historisch gesehen, keine Daseinsberechtigung mehr. Zumindest nicht, wenn sie so weiter macht wie bisher. Der im Roten Rathaus kleinere Koalitionspartner CDU kam – historisch gesehen – erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Spiel. Die Alliierten hatten die NSDAP auf den Müllhalde der Geschichte befördert.  Also brauchten die verbliebenen Eliten ein neues Herrschaftsinstrument. Die CDU ist im Kern so demokratisch wie die Unternehmen der Wirtschaftswunderzeit, sie ist die Partei der Bosse. Als solche gibt sie sich gern, und das funktioniert bei Leuten, die wenig darüber nachdenken, was in fünf Jahren sein wird.

Aufstand der mündigen Bürger

Beim Stromnetz geht es um die wichtigste Entscheidung, die eine Stadt treffen kann. Die Stadt als demokratische Kommune, als Tummelplatz freier Ideen und freier Bürger. Ich glaube daran, und davon lasse ich mich nicht abbringen. Eine demokratische Energieversorgung, die Jedermann mit sauberem und bezahlbarem Strom versorgt, erodiert das Machtgefüge der etablierten Parteien. Der Bürger versorgt sich selbst, weil er mündig ist. Wie lange lässt er sich noch von einer Clique selbstgefälliger Politiker regieren? An den zentralen Versorgungsstrukturen unserer Gesellschaft hängt das zentralisierte Staatsverständnis der politischen Kaste. Doch nun müssen Wowereit, Yzer und Co. entscheiden, wie lange sie sich an die alten Strukturen klammern. Denn die Rechnung bekommen sie spätestens bei der nächsten Wahl.

Webseite des Volksentscheids