von: Urs Heinz Aerni
16. Juni 2021
© Delia Dahinden - Pressebild
Urs Heinz Aerni: Sie bringen einen literarischen Klassiker wie Heinrich Böll mit Puppen und Musik auf die Bühne, eine Kurzgeschichte über das Nichtstun respektive eine Kritik am System der Bürokratie. Eigentlich ein perfektes Timing so nach oder noch in der Pandemiekrise, oder wie haben Sie als Künstlerin die Bürokratie während dieser Zeit erlebt?
Delia Dahinden: Es ging uns allen ähnlich: uns wurde wieder einmal klar, dass das Leben nur bedingt plan- und versicherbar ist. Absagen, Verschiebedaten suchen und dann nochmals neu verschieben … und sehr viele Formulare… Ich war selten so viel am Computer wie in dieser Zeit, habe mich durch Websites gelesen, nach Informationen gesucht, telefoniert und mich mit unendlich vielen Formularen herumgeschlagen. Für uns alle war es eine aufwühlende Zeit und ich bewunderte die Leute in den Anlaufstellen, sie waren ruhig und immer sehr hilfsbereit, obwohl sie innert so kurzer Zeit Lösungen und Vorgehensweisen generieren mussten, ohne auf Erfahrungswerte aufbauen zu können.
Aerni: Ihre vielen Programme in Kombination mit Lesung, Musik und Puppenspiel boten für viele Menschen Abende, die man nicht so schnell vergisst. Vielleicht eine seltsame Frage: Wenn zwei Menschen mit je einer Puppe auf der Bühne stehen, fühlt sich man dann zu viert oder doch nur zu zweien?
Dahinden: Das kommt auf die Situation an, denn wir agieren in verschiedenen Funktionen: entweder sind wir nur Figurenspieler*innen, sind als Person unwichtig und verschwinden hinter den Puppen oder wir gehen in Interaktion mit den Figuren und werden selber zu Mitspieler*innen in der Szene. Ich mag es, damit zu spielen und liebe diese magischen Momente, wenn sich das Personal auf der Bühne plötzlich verdoppelt.
Aerni: Welche Potenziale ruhen in den Puppen, die in Menschen nicht haben?
Dahinden: Puppen können viel besser sterben, denn wenn sie nicht animiert werden, sind sie wirklich nur noch tote Materie und müssen nicht nur so tun als ob. Ausserdem berühren Puppen die Zuschauer*innen auf anderen Ebenen und können tiefe Emotionen auslösen.
Aerni: Wie erleben Sie das Interesse im Zeitalter der Digitalisierung und special effects am guten alten Figurenspiel?
Dahinden: Theater kann mit dem Film und den special effects niemals konkurrenzieren, das ist auch nicht notwendig, denn das Theater ist einmalig, ist live, jede Vorstellung ist einzigartig und nie genau so wiederholbar. Die Zuschauerinnen und Zuschauer gestalten durch ihre Präsenz das Geschehen mit und sind Teil das Ganzen. Und dies ist die grosse Kraft des Theaters und das kann durch keinen special effect ersetzen werden. Theater findet im hier und jetzt statt.
Aerni: Ihr Stück zusammen mit Anna Karger, Lukas Roth und Balts Nill handelt nach Böll um die Welt der Büros. Wo habe ich Sie mit der Anfrage für das Interview erwischt, im Büro, in der Puppenwerkstatt oder…?
Dahinden: im Büro zu Hause. Momentan ist viel zu tun: wir können endlich wieder spielen und werden nächsten Mittwoch auf Gastspieltour nach Deutschland reisen: da die Situation aber immer noch speziell ist, müssen viele Abklärungen gemacht werden, die Bestimmungen und Auflagen wechseln dauernd. Testtermine, Einreiseformulare, Arbeitsbewilligungen …all das muss organisiert und erledigt werden.
Delia Dahinden wurde 1959 in Zürich geboren. Nach Besuch und Abschluss der Schauspielausbildung an der Mimenschule Ilg in Zürich ist sie seit 1982 unterwegs als freischaffende Schauspielerin und Regisseurin. Neben der Tätigkeit auf der Bühne Studium der Deutschen und Spanischen Literatur an der Universität Zürich. Sie war Ensemblemitglied des Ringtheaters Zürich und gründete 1991 das Theater RosaLena, mit dem sie eigene Stücke entwickelte. In den letzten Jahren hat sie vermehrt Engagements als Regisseurin bei verschiedensten professionellen Formationen: Gantert-Roth-Dahinden, Duo MeierMoser & der Huber, Julia Schiwowa, Zapzarap, Rosinas u.a.m. 2012 begann sie Figuren zu bauen und bildete sich weiter in Figuren-, Materialtheater und Puppenbau. 2015 baute sie Puppen für „Mein Name ist Eugen“ und die Gründung von DAKAR Produktion (mit Anna Karger und Lukas Roth). Seit 1990 unterrichtet sie in Baden Flamencotanz und arbeitet an verschiedenen Schauspielschulen als Dozentin für körperorientiertes Theater und als Theaterpädagogin. www.deliadahinden.ch