von: Simone Klein
24. Oktober 2016

Postmoderner Beziehungsstress moderner Kreativer: Ulrike Kotzinas „Box“

Simone Klein las von Ulrike Kotzina das Buch mit dem Titel "Box" und teilt uns Ihre Eindrücke mit.

© Edition Laurin

Wenn man keine Probleme hat, macht man sich welche. Eigentlich müsste Nathan das Spiel „Utopia“ lediglich zu Ende bringen. Und Anna könnte sich als Reiseleiterin ein anderes Kundensegment aufbauen. Doch warum Verantwortung übernehmen, wenn man sie auf den anderen abwälzen kann? Nein, die Karriere der Anna Altrichter ist trotz ihres verheißungsvollen Dolmetscher-Abschlusses schlecht verlaufen. Nach mehreren verpatzten Job-Versuchen organisiert sie Reisen für Senioren, sozusagen als Notlösung. Und auch Nathan hat den vermeintlichen Traumjob eines Spieleentwicklers satt, so dass ihm der Kreativitätszwang auf die Gesundheit schlägt. Dennoch, wirklich schwerwiegende Hindernisse haben die beiden nicht zu überwinden und finanziell reicht es immerhin zur Finanzierung einer gemeinsamen Stadtwohnung. Und doch stellt sich Anna seit geraumer Zeit die Sinnfrage, denn Nathan funktioniert rein gar nicht mehr nach ihren Vorstellungen. Umgekehrt hat er ihren überoptimierten Lebensstil vollumfänglich über.

Um wieder Schwung in den abgedroschenen Beziehungsalltag zu bringen, bewirbt sich Anna ohne Nathans Wissen für die Reality-Show „Box“. Doch müssen es Paare sein, die an der Sendung teilnehmen. Während Nathan bereits an der Fertigstellung des Computerspiels zu zerbrechen droht, kennt Anna kein anderes Thema mehr als die Show. Wird „Utopia“ rechtzeitig auf dem Markt landen und Anna, möglichst mit Nathan, in der „Box“?

Mit einem den Leser von der ersten Seite an gewinnenden Erzählstil beschreibt die Autorin Ulrike Kotzina in ihrem Roman „Box“ eine Identitätskrise zweier Kreativer, die die Vierzig überschritten haben. Gleichwohl man beide trotz einiger Umwege als erfolgreich bezeichnen kann, entbehren sie Erfüllung, Glück und Zufriedenheit. Ein Gefühl der inneren Leere versucht jeder auf seine Art und Weise zu betäuben, der eine mit Genussmitteln, der andere durch einen Kick in der „Box“. Die Autorin knüpft mit ihrer Erzählform an eine Tradition der Popliteratur an, die kurz vor der Jahrtausendwende begann und andere Medien in die Romanform integriert. Sie kokettiert mit der Form des Drehbuchs, die sie auf die Überschriften begrenzt, während sie einen makellosen Romanstil aus Sicht zweier Protagonisten beibehält. Die Handlung hält sie trotz einiger dramatischer Zuspitzungen ruhig.

Kotzina beweist nicht nur ein großes erzählerisches Talent, sondern erspürt scharfsinnig die Trends der heutigen Ü40-Generation, nämlich jeden Atemzug optimieren zu müssen und den Sinn vor lauter Sinnfindung zu übersehen. Gekonnt und mit viel Fingerspitzengefühl packt sie zwei Antihelden in eine Romanhandlung, aus der sie eine überaus gelungene literarische Satire auf eine kreativ schaffende Nachwuchsgeneration des Selbstverwirklichungsmilieus entwirft. Offen bleibt, wie und wo ihre beiden Hauptfiguren landen. Vielleicht auf dem Jakobsweg?

Simone Klein

Bibliografie: Kotzina, Ulrike: Box. Innsbruck: Edition Laurin bei Innsbruck University Press, 2016. ISBN 978-3-902866-42-4

 

Simone Klein lebt als Autorin in Baden-Baden, besuchen Sie ihre Website.

Unser Redakteur Urs Heinz Aerni lernte die Autorin durch die Lektüre dieses Buches kennen…