von: Martin Kunz
15. Juli 2017
© Urs Heinz Aerni
Wie beglückend, wenn ich etwas finde, das ich nicht gesucht habe. Zum Beispiel beim Improvisieren am Klavier. Was sich allerdings beim Spielen zuerst aufdrängt, sind typische Muster aus meinem eigenen musikalischen Erfahrungsraum. Das kann Spass machen. Das Wiedererscheinen des schon Bekannten erfreut uns. Man kann dann gleichsam mitpfeifen. Unsere Seele mag das, diese erholsamen Klischee-Kondensationen. Aber wir sind dann nur in einer Echokammer, in einem Spiegelraum, in dem das Gesetz der Gleichheit von Einfalls- und Ausfallswinkel herrscht. Nur eine beschränkt neue Sicht entsteht. Dabei wären wir so gerne paradigmensprengend kreativ, nur schon, weil uns dauernd suggeriert wird, wir müssten es sein. Als wäre es so einfach, über die nötige Assoziationslust und Denkverflüssigung zu verfügen. Verfügen? Finden von Neuem ist zunächst gerade kein Verfügen. Ich muss zulassen, dass etwas Grenzüberschreitendes und –unterwanderndes einströmen kann. Werner Heisenberg, dieser grosse philosophierende Physiker, sah das Geheimnis der Kreativität so: Im Dunkel des Seelischen gibt es einen Möglichkeitsraum, einen unendlichen Informationsvorrat, der unter bestimmten Bedingungen Impulse zu Tage treten lässt, wenn auch nur als Wahrscheinlichkeiten. Was muss man tun, damit das eintritt? fragt Werner Heisenberg. Indem man versucht, so wenig wie möglich zu ändern.
Das ist nicht so einfach, wie es tönt. Wir wollen oft zu viel, halten uns nicht an die Klugheit, dass NichtTun manchmal gerade das richtige Tun ist. Kreativität kann darin bestehen, auf gesucht kreatives Handeln zu verzichten. Wenn wir improvisieren, ist die Differenz von Entwerfen und Handeln aufgehoben. Wer improvisiert, lebt in der Echtzeit. Das heisst, er ist in der Unmittelbarkeit. Das Erfinden, Verarbeiten und Realisieren geschieht simultan.
Wie ist das möglich? Was sind das für Bedingungen, unter denen diese Wahrscheinlichkeiten aus dem Möglichkeitsraum erscheinen? wie Heisenberg fragen würde. Was ermöglicht es, dass ich zum spontanen Ausführungsorgan vorreflexiver Absichten werden kann?
Weil es Geist gibt. Maschinen mögen in gewisser Hinsicht lernfähig, vielleicht sogar kreativ sein. Improvisieren können sie nicht. Oder habe ich mich jetzt verrannt? Wir staunen doch immer wieder, wozu Maschinen in der Lage sind, wir sind verblüfft. Im Grunde lassen wir uns aber bluffen. Denn Menschen sind es ja, die die Maschinen bauen, und zwar so, dass diese können, was sie können. Maschinen sind Imitationen. Ihre Ontologie ist deshalb ein Als ob – Sein. Maschinen sind geistlos. Aber sie können so tun, als hätten sie Geist. Als verständen sie, was sie tun. Mag sein, dass wir etwas über uns lernen können angesichts der von uns gemachten Maschinen. Aber wir funktionieren nicht wie Maschinen, sondern wir bauen sie in Analogie zum schmalen Bereich berechenbarer Funktionen des „Geistes“. Aber insofern Geist berechenbar ist, ist er gerade nicht Geist. Was meine ich mit Geist bzw. mit „Geist“?
„Geist“ ist der Inbegriff kognitiver Informationsverarbeitung. Geist ohne Anführungszeichen wäre ein Wehen von woandersher. Aber schon „Geist“ ermöglicht neues Anordnen und Anreichern von Elementen innerhalb unseres kognitiven Systems. Dieses lässt sich immer raffinierter auslagern: Die Maschine übertrifft unser internes System an Schnelligkeit, Speicherkapazität und Kombinationsmöglichkeiten. Es gibt zum Beispiel eine Maschine, die den besten Spieler des Brettspiels Go schlägt. Unglaublich! Da gibt es ein künstliches Wesen, das Erfahrungen sammelt und einen verdichteten und zugleich offenen kognitiven Spielraum entwickelt, vor dessen Komplexitätsgrad
der Mensch einfach versagt. Eine solche Maschine verfüge über Intuition, habe ich kürzlich gelesen. Stimmt das? Nur wenn wir Intuition als Kognition verstehen. Wir müssen den Begriff Intuition aber abgrenzen gegen Erkenntnisleistungen, die auf Erfahrungslernen beruhen. Dieses kann zu detektivischer Klugheit führen – bei Menschen oder Maschinen. Intuition aber ist aussersinnliche Wahrnehmung. Sie beruht nicht auf gesammeltem Vorwissen.
Wenn ich improvisiere, ist zunächst dieses gesammelte Vorwissen am Werk, also „Geist“. Ich schöpfe so frei wie möglich aus dem Repertoire zuhandener Wahrscheinlichkeiten. Revolutionäre Kreativität ist selten. Sie wäre Können unter Mitwirkung von Geist ohne Anführungszeichen. Aber wir trauen diesem Begriff und damit der Inspiration nicht mehr so recht. Weil wir nicht mehr wissen, woher dieses Einwehen kommt. Wir spüren allerdings, wenn ein Ergebnis uninspiriert ist. Ich wage deshalb zu sagen: Die höchste Form von Kreativität ereignet sich, wenn uns der Geist oder das Pneuma erfasst: ein Wirbel, ein Luftzug, ein Druck.
Pneuma, Geist, Intuition, Inspiration … alles Illusionen? Vielleicht. Aber notwendige. Illusionen sind das spielend Hingeworfene, manchmal auch das Sich Vergreifende, das mit Täuschungen Spielende. Improvisationen eben.
Martin Kunz
Martin Kunz ist Philosoph, Künstler und Autor. Besuchen Sie hier seine Website…