von: Urs Heinz Aerni
30. September 2020

„Nichts ist schwieriger als eine gute Komödie“

Rolf Lyssy gehört zu den erfolgreichsten Filmemacher der Schweiz, das Zürcher Filmfestival ehrt sein Lebenserk. Lyssy gibt Auskunft über seine Arbeit und seine Sicht über die Zukunft der Kinos.

© Sprachsalz - Der Filmemacher Rolf Lyssy im Gespräch mit Berglink-Redakteur Urs Heinz Aerni am Literaturfestival in Hall i. Tirol

Urs Heinz Aerni: Rolf Lyssy, das Zurich Filmfestival ehrt Ihr Gesamtwerk. Sie kennen in Ihrer langen Film-Karriere wohl alle Gefühlsebenen. Bleiben wir beim Positiven, an welche zwei Höhepunkte erinnern Sie sich heute immer wieder gerne zurück?

Rolf Lyssy: An die Vorführung 1975, am Filmfestival in Cannes, als mein Film „Konfrontation – Das Attentat von Davos“, im Rahmen der “Semaine de la Critique“ lief. Das war die erste internationale Präsentation, meines zweiten Spielfilms nach „Eugen heisst wohlgeboren“ von 1968. Der Film, den ich auch selber produziert hatte, fand grossen Anklang beim Publikum und der Presse.

Aerni: Mit dem Effekt…

Lyssy: Dass Ich ihn in der Folge nach Deutschland, England und Frankreich verkaufen konnte. Eine schöne Überraschung war auch der grosse Applaus der Filmjournalisten nach der Pressevorführung von „Die Schweizermacher“. Für den Verleih und natürlich auch für mich, ein wichtiges Zeichen, dass der Film positive Besprechungen in der Presse haben würde. Und in der Folge 1978/79, über eine Million Zuschauer, allein in der Schweiz, die dem Film jeweils nach den Vorstellungen begeistert applaudierten, in die Kinos strömten.

Aerni: Der neue Film „Eden für jeden“ ist eine Komödie mit viel Wahrem und gut Vertrautem aus unserer Gesellschaft. Auch „Die letzte Pointe“ griff das Thema des freiwilligen und bewussten Sterbens auf, auch im Ton des Humors, der Ironie. Wie würden Sie die Kraft von Humor oder gar Satire beschreiben?

Lyssy: Ich denke, dass Humor und Satire, und die damit verbundene Ironie, speziell im Film, im Theater und in der Literatur, eine unglaublich nachhaltige Wirkung erzielen kann. Das gelingt allerdings nur, wenn die Qualität der künstlerischen Gestaltung stimmt und das Publikum entsprechend reagiert. Ein Film, oder ein Theaterstück, die als Komödie verstanden werden sollen und das Publikum weder schmunzelt, geschweige denn lacht, ist keine Komödie. Nichts ist schwieriger, als eine gute Komödie zu schreiben und mit filmischen Mitteln, oder auf der Bühne, umzusetzen.

Aerni: Ihre Arbeiten, ob für Dok- oder Spielfilme, ziehen sich über Jahrzehnte. Die Technik wandelte sich rasant und in völlig neue Dimensionen. Wie haben Sie die Entwicklung als Filmer erlebt?

Lyssy: Ich gehöre zur Generation, die mit Radio, Theater und Kino aufgewachsen ist und habe das Filmhandwerk in den 50er und 60er Jahren auf dem Stand der damaligen Technik erlernt. Das heisst, man hatte es mit schweren Geräten, wie Scheinwerfer, unförmige, grosse Kameras und mechanischen Schneidetischen zu tun. Steht heute alles in den Museen. In der Folge kam die magnetische und analoge elektronische Technik ins Spiel, die nahtlos ins digitale Zeitalter überging. Was zur Folge hatte, dass man sich vor dem Drehen genauestens im Klaren sein musste, wie man eine Szene, auch aus finanziellen Gründen, denn jeder Meter 35mm Film kostete, gestalten wollte. Heute reicht schon ein Smartphone, um bewegte Bilder zu produzieren. Jedermann, jung und alt hat die Möglichkeit, einen Film zu realisieren.

Aerni: Ungut?

Lyssy: Es ist verlockend, ohne lang zu überlegen, drauflos zu drehen. Was dann bei der Montage zu grossen Problemen führen kann.

Aerni: Vor Jahren diskutierten wir auf einem Podium in La Punt – Sie erinnern sich? – unter anderem über die Frage, ob es den typischen Schweizer Film gebe. Also im Sinne wie die Dänische oder Japanische Filmart. Sie verneinten dies, damals 2012. Sind Sie heute noch derselben Meinung? Wenn ja, warum gibt es nicht den typischen Schweizer Film, wenigstens in der deutschsprachigen Schweiz?

Lyssy: Wenn ich mich richtig entsinne, so war es in jener Talkrunde Kollege Paul Riniker, der das verneinte.

Aerni: Ah sorry, ja genau.

Lyssy: Ich sprach immer von der Notwenigkeit, dass ein Spielfilm, der eine fiktive Geschichte erzählt, seine nationale Herkunft nicht verleugnen sollte. Denn daran misst sich seine Glaubwürdigkeit. Daher rührt der Begriff „Europudding-Film“ für Filme, die aus einem fragwürdigen Mix, meistens aus kommerziellen Gründen, wie Sprachwahl, oder Bekanntheit der Schauspieler bestehen. Mir persönlich gehen solche Filme auf den Wecker. In dem Sinn besteht, was Sprache und Mentalität betrifft, nur schon zwischen einem Film aus der Deutschschweiz und der Romandie, ein markanter Unterschied, geschweige, wenn er aus einem anderen Land kommt.

Aerni: Ihr Buch „Swiss Paradise“ basiert auf ein gescheitertes Filmprojekt und der Erkrankung durch eine Depression, und wurde zum Bestseller. Wo sehen Sie die unterschiedliche Stärken und Schwächen zwischen geschriebenen Sätzen und der filmischen Sprache?

Lyssy: Geschriebene Sprache wird gelesen und in erster Linie kognitiv wahrgenommen und verstanden. Oder eben nicht! Das Betrachten eines Films dagegen stimuliert den Seh- und Hörsinn und die Gefühle gleichzeitig. Umfasst also den ganzen Menschen in seinem Empfinden. Das ist auch der Grund, warum sich die Interessen der Filmemacherinnen und Filmemachern, mit den Interessen des kommerziell orientierten Produzenten diametral widersprechen. Und zu manchmal auch handgreiflichen Auseinandersetzungen führen können.

Aerni: Da wären wohl Details dazu noch interessant. Aber Themawechsel. Haben Sie Pläne? Zu welchen Themen bräuchte es noch gute Spielfilme?

Lyssy:  Mein Drehbuchautor Dominik Bernet schreibt seit einigen Wochen vielversprechend an einem Treatment. Und da ich ein ungeduldiger Mensch bin, kann ich den Drehbeginn unseres nächsten Kinofilms kaum erwarten. Obwohl natürlich noch völlig offen ist, wann das sein wird!

Aerni: Verraten Sie uns noch keine Details?

Lyssy: Im Grunde genommen ist es egal welche Geschichte zu welchem Thema erzählt wird. Entscheiden für die Qualität des Films ist, wie die Geschichte filmisch umgesetzt wurde.

Aerni: Nicht nur Corona machte den Kinobetreibern zu schaffen, auch Angebote wie Netflix und Co und das veränderte Konsumverhalten. Wie soll oder wird es weitergehen, mit den Kinos?

Lyssy:  Kinos werden entgegen allen Unkenrufen, immer exisitieren. Als das Fernsehen über die Menschheit hereinbrach, prophezeiten die Neunmalklugen den Tod des Kinofilms. Es gab in der Tat einen starken Einbruch, aber die Kinobranche passte sich an und überlebte, dank veränderten Strukturen, verbesserter Film- und Vorführtechnik, kleineren Sälen etc. Auch die heutige Digitaltechnik und das Streamen zwingt die Kinobranche zu neuen technischen Investitionen. Trotz den unzähligen Angeboten von Fernsehen und Streamingdiensten, wird das Kino als Ort, wo man zusammen mit Freunden und Fremden, die Faszination von Geschichten in bewegten Bildern und Tönen, auf einer grossen Leinwand erlebt, auch in naher und ferner Zukunft nicht verschwinden.

Aerni: Was muss man einem Filmschaffenden unbedingt wünschen?

Lyssy: Das Sein oder Ihr inneres Feuer, Filme die bewegen und berühren und zum Nachdenken anregen, auf die Leinwand oder den Bildschirm zu bringen, nicht erlöscht.


 

Rolf Lyssy wurde 1936 in eine jüdische Familie geboren. Nach der Lehre als Fotograf wirkte er 1966 beim Dokumentarfilm „Ursula oder Das unwerte Leben“ von Walter Marti und Reni Mertens als Kameramann und  Cuttter mit. Sein Film „Konfrontation“ über das Attentat des jüdischen Studenten David Frankfurter auf den Nazi Wilhelm Gustloff in Davos löste 1975 internationale Reaktionen aus. Die Dialektkomödien wie „Die Schweizermacher (1978), „Kassettenliebe“ (1981), „Teddy Bär“ (1983) und „Leo Sonnyboy“ (1989) feierten grosse Erfolge. Später kamen Dokumentarfilme dazu, über Drogensucht, die Todesstrafe aber auch Porträts. 2017 hatte der Spielfilm „Die letzte Pointe“ über selbstbestimmtes Sterben Premiere und 2020 kommt die Komödie „Eden für jeden“ in die Kinos. Der autobiografische Bericht „Swiss Paradise“ ist im Zürcher Rüffer & Rub Verlag erschienen und zusammen mit dem Journalisten Urs Heinz Aerni erschien 2007 „Wunschkolumnen“ im Verlag EL Bern. Die bei Praesens Film erschienene DVD-Box enthält Filme zwischen 1978 bis 2011.

Trailer „Eden für jeden“

Trailer „Die letzte Pointe“

Link: Artikel in der Zeitung NOVITATS über den Besuch von Rolf Lyssy an der Veranstaltung „Berg & Buch“ Hotel Schweizerhof Lenzerheide.