von: Urs Heinz Aerni
21. Dezember 2014
© Weissbooks
Urs Heinz Aerni: Eigentlich ist der Victoria-Report ein Aufruf, sich mit der globalen Lebensmittelindustrie auseinanderzusetzen. Wie sind sie darauf gekommen, einen Polit-Roman mit diesem Ansatz zu wählen: War es zuerst die Motivation am Erzählen oder die Beobachtung aktueller Ereignisse?
C. B. Stoll: Der lateinische Spruch prodesse et delectare, also nützen und erfreuen, kommt am besten hin, auch wenn er in der zeitgenössischen Literatur nicht mehr zur Anwendung kommt. Aber was soll’s. Ich führe den aufklärerischen Aspekt in der Unterhaltungsliteratur einfach wieder ein.
Aerni: Beim Lesen Ihres Romans dominieren zwei Gefühle: Die Lust an der Lektüre, also am Lesen, aber auch eine aufkeimende Wut gegenüber den Machenschaften der Lebensmittelmultis. Welche Regung wäre aus Ihrer Sicht die gewünschte?
Stoll: Der Leser knalle mein Buch gegen die Wand, wenn seine Wut auf die Industrie zu groß wird. Er hole es reuevoll wieder aus der Ecke, wenn die Lust am Weiterlesen wieder aufflammt. Es ist das Wechselbad der Gefühle, das den Victoria-Report so lesenswert machen sollte.
Aerni: Das tut er, nicht nur durch einen stringenten Plot, er überrascht auch mit außergewöhnlichen Figuren und deren Charakteren. Wie gelingt es Ihnen, die verschiedenen Akteure so plastisch durch die Geschichte zu führen und zu halten?
Stoll: Danke. Ein Schriftsteller denkt sich wie ein Schauspieler in eine Rolle hinein. Wobei ein Schauspieler sich jeweils nur in einen Charakter hineindenken muss, der Autor aber gleichzeitig in deren viele. Das macht mir höllisch Spaß, auch weil es mich aus dem Alltag reißt.
Aerni: Mit Ihrem Roman setzen Sie sich gesellschaftskritisch auseinander und reihen sich damit in Namen wie John Le Carré oder Frank Schätzing ein. Glauben Sie an die Macht des Gedruckten?
Stoll: Das geschriebene Wort ist wie ein Schwert, es kann töten. Dann ist es wieder wie eine Liebhaberin und liebkost. An Worten kann man sich stoßen oder sich aufrichten. Worte sind alles, wenn sie gesprochen oder geschrieben sind und rein gar nichts, wenn sie verschwiegen werden.
Aerni: Wie muss man sich Ihre Schreibstube vorstellen?
Stoll: Meine Schreibstube ist nicht kleiner und nicht größer, als die Welten, in denen meine Figuren agieren. Sitzt zum Beispiel meine Figur Mara Podolski in Tansania im Knast, sitze ich neben ihr auf der Pritsche. Lästert der Chefredaktor Stove in Hamburg über einen Berliner Lobbyisten, rege auch ich mich fürchterlich über den Kerl auf. Und wenn die schöne Saadet Aydin von ihrem Vorgesetzten Seifert vergewaltigt wird, fühle ich mich selbst… Na ja, man kann’s sich vorstellen. Wer nicht, der lese mein Buch.
Aerni: Sie leben heute in Zürich aber kennen Berlin. Sie haben dort längere Zeit gelebt. Ist die Wende ein Gewinn für die Stadt?
Stoll: Na, Sie stellen vielleicht Fragen. Natürlich ist die Wende ein großer Gewinn für alle, obwohl es auch die Verlierer gibt. Meine Protagonistin Mara Podolski wurde 1980 in der ehemaligen DDR geboren und kennt somit beide Seiten der Medaille. Einfach hatte sie es in der Zone nicht. Sie ist aber eine Frau, die aus dem Spannungsfeld Ost-West heute Kapital zu schlagen weiß.
Aerni: Was verpasst man aus Ihrer Sicht nicht, wenn man Berlin-Prenzlauer Berg nie gesehen hat?
Stoll: Da stand an einer Hausmauer geschrieben: Kauft nicht bei Schwaben! Das hat mir dann doch den Atem verschlagen. Einen neuen Roman wäre die Anspielung allerdings wert.
Aerni: Haben Sie Sehnsucht nach der Deutschen Hauptstadt?
Stoll: … Schon, ja.
Aerni: Und, wie fühlt sich diese an?
Stoll: Berlin gibt mir ein Gefühl der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeit, ein Gefühl, das in der durch und durch organisierten Schweiz längst verloren gegangen ist.
Das Buch:
Victoria-Report: Ein Mara-Podolski-Roman, (Weissbooks GmbH) ISBN: 978-3-86337-020-6