von: Urs Heinz Aerni
20. November 2017
© Urs Heinz Aerni - Amina Abdulkadir
Urs Heinz Aerni: Sie leben ja relativ neu wieder in Zürich und wir treffen uns hier in Albisrieden. Lebt es sich als Künstlerin und Autorin in Zürich gut oder ist’s einerlei, ob Sie im Aargau oder in Basel wohnten?
Amina Abdulkadir: Wohnen heißt als Künstlerin ja in erster Linie, von überall her wieder zurückzukommen. Zürich hat dafür die beste Lage, auch wenn Basel für Deutschland noch praktischer ist. In Aarau und Baden genoss ich es dafür umso mehr, nicht als Künstlerin, sondern als ehemalige Mitschülerin, als Freundin oder gar nicht erkannt zu werden.
Aerni: Einmal stehen Sie im Schiffsbau während eines Poetry Slams auf der Bühne, dann wieder im Theater Ticino anlässlich einer Kabarett-Sendung für Radio SRF und dann wieder im Literaturhaus. Wie würden Sie Ihren künstlerischen Ansatz beschreiben?
Abdulkadir: Kunst ist meiner Meinung nach nicht die Repetition eines Musters, sondern die Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten. Und diese Suche ist umso spannender, je unterschiedlicher die Formate sind. Meine Kunst ist mein ganz eigenes Chamäleon und ich erfreue mich an all den Färbungen, die sie beherrscht. Manchmal passiert es, dass sie etwas nicht kann, denn bei allem Herantasten und Ausprobieren: Ich bleibe dieselbe. Und ich kann nun mal nur das, was ich kann.
Aerni: Sie engagieren sich auch zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Gibt es momentan einen Trend oder eine Tendenz über die Sie sich so richtig aufregen könnten?
Abdulkadir: Das Schubladisieren. Nicht nur das Schubladisieren von Menschen, Meinungen und Themen, sondern auch das von Kunst. Viele wünschen sich eine Bedienungsanleitung inklusive Rückgaberecht. Dabei ist es doch ungemein faszinierend, wenn ein Kunstwerk es schafft, uns zu überraschen oder zu irritieren. Deshalb hinterfrage ich gerne, wühle auf, versuche, einen neuen Blickwinkel zu präsentieren. Und es ist ein Geschenk, dass so viele sich davon berühren lassen.
Aerni: Auch Zürich verändert sich massiv und schnell. Blickt man vom HB Richtung Aargau, so ist nicht quasi eine neue Stadt entstanden, sie tut’s noch immer. Wie nehmen Sie den Wandel der Stadt wahr? Eher Sorgenfalten oder doch eher Begeisterung?
Abdulkadir: Ich find’s aufregend wie diese Stadt vibriert, glitzert und schreit. Deshalb freue ich mich über den Wandel, der viel Potenzial in sich trägt. Und dennoch ist auch er ein Spiegel unserer Gesellschaft: Wir wollen alles überall und jederzeit. Und weil wir offenbar alle dasselbe wollen, müssen lokale Projekte wie das Perla-Mode oder die Beratungsstelle für Asylsuchende weichen. Das ist bedauerlich, denn auch ein herrlich kantiges Cabaret Voltaire reicht nicht.
Aerni: Sie schreiben nicht nur, sie wirkten schon als gestaltende Künstlerin. Wie wichtig ist Ihnen das Wort und ab wann brauchen wir das Bild?
Abdulkadir: Das Wort hat für mich eine besondere Bedeutung, weil Menschen es ohne Hilfsmittel kreieren können. Und gerade beim gesprochenen Wort ist eine beeindruckende Treffsicherheit möglich. Beim Bild hingegen hat der Betrachtende viel mehr Mitbestimmung im Sinne von Interpretationsspielraum. Beides hat seinen Reiz, beides hat seine Limitationen. Und sie lassen sich nicht voneinander trennen: Worte erschaffen Bilder in Kopf und Bilder wiederum werden zu Worten.
Aerni: Was wünschen Sie unseren Leserinnen und Lesern?
Abdulkadir: Mut. Um das zu tun, was jetzt gerade in ihrem Kopf aufgeflackert ist.
Amina Abdulkadir wurde1985 geboren, in Somalia. Als vierjähriges Mädchen kam sie mit ihrer Familie in die Schweiz. Schule war – laut eigenen Worten – nicht so ganz ihr Ding, da gab es noch weit interessantere Themen, die ihrer Entdeckung harrten. Lehr- und Aktivzeiten verbrachte sie in der akademischen Welt und als Ergotherapeutin um eigentlich da zu landen, wo sie hingehört: in der Kunst mit Worten und Gestaltung. Irgendwo kann man lesen, dass sie Ordnung mag, was aber mitnichten mit einem Ordnungsprinzip für Schubladen verwechselt werden darf. „Alles, nichts und beides“ heißt ihr aktuelles Buch, das in der Edition Baes erschienen ist.