von: Urs Heinz Aerni
20. März 2020

«Mit jeder Faser Sängerin»

Vera Wenkert ist Dramatische Sopranistin und Gesangslehrerin, die in Zürich nicht nur Gesang lehrt, Persönlichkeits-Training und Stimmheilung anbietet, sondern nun auch dazu ein Buch veröffentlichte

© Buchcover

Urs Heinz Aerni: Vera Wenkert, in Ihrem Buch kündigen Sie eine eigene pädagogische Methode für werdende Sängerinnen und Sänger an. Wie steht es eigentlich um den Nachwuchs?

Vera Wenkert: Viele junge Menschen studieren Gesang und träumen von einer Karriere als Opernsängerinnen oder -sänger. Die Anforderungen, um in diesem Beruf zu reüssieren, sind stetig gestiegen.

Aerni: Was wären denn die Voraussetzungen?

Wenkert: Die Grundvoraussetzungen sind: Neben einer soliden Gesangstechnik, einer hervorragenden Musikalität gehören Darstellungstalent und auch gute Nerven dazu. Es gibt unzählige weitere Kriterien, die mehr oder weniger erfüllt sein müssen. Meines Erachtens gäbe es ein grosses Potential an talentiertem Nachwuchs.

Aerni: Aber…?

Wenkert: Aber es ist so wesentlich, dass man früh mit den richtigen Fachpersonen und die für sich richtige Gesangslehrperson beginnt und dann wirklich nur den Fokus auf sein Ziel legt. Das ist ein heikler Weg, da man oft erst später merkt, ob der eingeschlagene Weg der richtige war. Die Ausbildung dramatischer Stimmen liegt meines Erachtens im Argen, da diesen Stimmen heute kaum noch die Zeit zur Reife eingeräumt wird. Eine Elektra von Richard Strauss z.B. mit Anfang oder Mitte dreissig zu singen, halte ich für sehr gefährlich.

Aerni: Warum?

Wenkert: Da verlieren manche die Stimme und werden auch seelisch verheizt, weil es einfach eine Überforderung ist. Das ist ein Tribut, den junge Sänger aber in unserer schnelllebigen Zeit manchmal zahlen müssen.

Aerni: Ihr Rat?

Wenkert: Eigenverantwortung.

Aerni: Sie selber schauen auf eine erfolgreiche Karriere zurück. Würden Sie diese Musikdisziplin für sich wieder wählen? Warum?

Wenkert: Ich bin sicher mit jeder Faser meines Seins Sängerin und Musikerin. Es erfüllt mich mit grosser Dankbarkeit, dass ich eine erfolgreiche Karriere als dramatische Sopranistin machen konnte. Ich habe ja nur die wunderschönsten Hauptrollen in diversen Opernhäusern und Konzertsälen gesungen. Dieses Leben und eine Karriere, wie ich sie hatte, lässt kaum Raum für anderes im Leben. Aber ich musste singen, es gab nichts, was mich aufhalten hätte können. Würde ich diesen inneren Ruf wieder so stark in mir empfinden, wäre die Antwort auf Ihre Frage: JA.

Aerni: Was sollten Interessierte mitbringen?

Wenkert: Talent, Disziplin, Passion und Freude.

Aerni: Im Buch leiten Sie dazu an, die volle „Verantwortung für Stimme“ zu entwickeln. Was meinen Sie damit?

Wenkert: Ich leite die Gesangsstudenten oder Sängerinnen am Anfang ihrer Bühnenlaufbahn dazu an, sich als Mensch und als Instrument kennenzulernen. Ich habe dazu ein eigenes Tool entwickelt: den SONARA-VERA-BALL, der als Unterstützung dient, um die am Gesang beteiligten Körperregionen und Muskeln auf einfache Weise in vielen Körperübungen zu erfahren. Zusätzlich lernen die Singenden auch, sich geistig  und seelisch mit seiner Künstlerseele auseinanderzusetzen. Ich vertrete in meiner Methode den Standpunkt, dass die Sängerin und der Sänger aus dem eigenen selbstbewussten kenntnisreichen Sein die Wegbegleiter wie Gesangslehrer u.a. mit Bewusstheit aussuchen sollen und sich nicht aus reiner Hoffnung und etwas naivem Vertrauen in auszubildende Hände geben. Da wird zum Teil sehr viel versprochen, und wenn ein Sänger nicht gelernt hat, selbstbestimmt zu entscheiden, kann das kostspielige Folgen haben.

Aerni: Sie traten an Opern in Trier, Kaiserslautern, Münster, Nürnberg und Zürich auf und an vielen Konzerten an sehr unterschiedlichen Orten. Ist Zürich eine Musikstadt?

Wenkert: Das renommierte Opernhaus und die Tonhalle prädestinieren Zürich in der Klassikwelt zur Musikstadt. Man darf auch nicht die vielen kleinen Bühnen und Aufführungsorte für Musik in Zürich vergessen, da lebt Kultur. Vergleicht man Zürich mit der Musikszene in Städten wie Berlin oder New York, dann ist die Stadt eine eher eine gediegene klassische Musikwelt und – so wie ich es wahrnehme – keine Szenestadt.

Aerni: Wie wichtig ist das Singen für Ihr Leben oder anders gefragt, was wäre das Leben ohne Gesang?

Wenkert: Das Singen und die Musik nähren und erweitern meine Seele und erfüllen mich jeden Tag mit Liebe und auch mit etwas Demut. Ich bin überglücklich, dass ich diese Gabe in den verschiedensten Formen ausleben darf. Genauso, wie es Richard Strauss in sein Lied „Habe Dank“ aus Zueignung gefasst hat.

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Info:

Vera Wenkert hat als dramatische Sopranistin mehr als 30 Hauptrollen in den grossen Opern und Konzertbühnen gesungen. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen als Stimmexpertin gibt sie im Unterricht und in Meisterkursen gerne weiter, im Atelier für Kunst und Philosophie, Albisriederstraße 164, Zürich.

Das Buch: Vera Wenkert: «Der Weg zum selbst-bestimmten Sänger* – Sonora Vera», 132 Seiten, ISBN 978-3-347-03217-0