von: Urs Heinz Aerni
28. Juni 2021

«Metaphysischer Rausch»

Das wünscht sich der Schauspieler und Musiker Herwig Ursin, bei seinem Programm «Queneau's Stilübungen» für alle.

© Herwig Ursin als Instrumentensassa. Alle abgebildeten Instrumente kommen bei Queneau nur metaphorisch vor. Quelle: Herwig Ursin

 

Urs Heinz Aerni: Sie bringen zusammen mit Michael Wolf und mit der Musik von Philipp Läng einen Text des Autors Raymond Quenenau auf die Bühne, der 1976 in Paris verstarb und als Avantgardist galt. Wie kamen Sie auf ihn?

Herwig Ursin:  Ich sah damals im November 1989 – da war ich 22 jung – im Burgbachkeller in Zug, den meine Mutter leitete, eine Aufführung von Queneau’s Stilübungen, dargebracht von Joachim Frank und Hannes Zerbe aus Ostberlin. Die Aufführung dieses Textes blieb mir unvergessen, und hat in mir initialzündungsmässig den Wunsch eingebrannt, diesen Text auch mal auf die Bühne zu bringen.
Nach der Aufführung waren die Ostberliner dann noch auf einen Umtrunk bei uns zu Hause und sie sahen im TV, wie bei ihnen zu Hause die Mauer fiel. Ein historisch perfekter Mauerfall auf allen Bühnen! Das Buch war seit da immer in meiner Nähe…

Aerni: Das Buch «Stilübungen» spielt mit vielen Erzählformen eine Episode in einem Bus in Paris durch. Worin lag die Verlockung oder die Herausforderung für Ihre szenische Umsetzung?

Ursin:  Da Queneau in den „Stilübungen“ eben die verschiedensten Stile durchexerziert, kommt man einerseits als Schauspieler ebenfalls in die Freude, die verschiedensten schauspielerischen Register zu ziehen. Andererseits wird die Herausforderung sein, auch wegen der knappen Probenzeit, einen möglichst einfachen, unelaborierten Ablauf der Texte festzulegen und doch ein paar knackig-szenische Ideen umzusetzen, die über eine blosse Lesung hinausgehen.

Aerni: Was wäre also das Ziel?

Ursin: Mein Traum wäre, dass sich der Fächer der Möglichkeiten derart pompös ausbreitet, dass eine Art metaphysischer Rausch entstünde, der das vielleicht öde Alltagsleben mit einem Tischbombeneffekt ideeel in pure Freude verwandelt.

Aerni: Ihre schauspielerische Karriere führte vom Berner Konservatorium über diverse Bühnen u. a. in Zürich, Basel, Luzern, Hannover und Aarau. Wie würden Sie die beruflichen Voraussetzungen für Ihren Beruf in der Schweiz beschreiben?

Ursin:   Ich glaube, dass wir Theaterschaffenden es gut haben hier in der Schweiz. Für die Freie Szene gibt es genug Geld, man kann arbeiten. Ich persönlich habe ein gutes, vertrautes Arbeitsnetz und kann mich wirklich nicht beklagen.  Da ich auch gern musikalisch unterwegs bin, haben sich für mich dadurch im Theaterbereich auch neue Türen geöffnet. Darüber bin ich sehr froh. Eigentlich ein Traum.

Aerni: Sie machen auch Theatermusik und erhielten von der Stadt Bern Jazz-Stipendium. Wie darf man sich die Arbeit zur Musik fürs Theater vorstellen?

Ursin:  Ich spiele relativ gut Klavier und kann vor allem in Teamarbeit z.B. einen Song entwickeln; wie bei der Zürcher Kindertheatergruppe Kolypan. Im Vordergrund steht aber auch hier, wie beim Schauspielern, einfach die Spielfreude, auch mit einem Tasten-Instrument improvisatorisch während einer Probenphase etwas musikalisches zu erfinden und auch mit verschiedenen Musikstilen zu jonglieren. Bei unserem Queneau-Abend freue ich mich auf Philipp Längs Musikwelt mit seinen analogen, selbsterfundenen Instrumenten.

Aerni: Es scheint, Sie glauben an die Zukunft des Theaters live vor Publikum. Warum?

Ursin:  Wenn man am Wochenende gern in ein feines Restaurant zum Essen und Trinken geht, dann doch auch weil man neben der puren Nahrungsaufnahme – früher oder später stürbe man, wenn man nichts mehr trinken und essen täte – zusätzlich noch gesellschaftliche und kulturelle Bedürfnisse gestillt werden. Ich glaube fest daran, auch wenn das nicht für alle gilt, dass das live-Erleben eines Vorgangs auf einer Bühne auch ein wichtiges Bedürfnis stillt: Das Einnehmen geistiger Nahrung kann im Besten Fall neue Gedankengänge eröffnen. „Heute bestelle ich einen Dreigänger“

Aerni: In welcher mentalen Verfassung sollten sich die Besucherinnen und Besucher vor Ihrer Aufführung am besten befinden?

Ursin: Ich würde sagen kindliche Vorfreude und Neugier, lockere Gespanntheit und innere Konzentration sollten den Zuschauerkörper angenehm durchfluten, wie kurz bevor man in ein Haus tritt, wo man zu einem Fest geladen ist, aber nicht alle Gäste kennt. Für ein gelungenes Fest muss natürlich jeder Einzelne seinen bescheidenen Beitrag leisten, n’est-ce-pas?


 

Herwig Ursin wurde 1967 in Zug geboren, studierte 1990 bis 1994 an der Schauspielschule des Berner Konservatoriums. Seitdem ist er als freischaffender Schauspieler tätig, zunächst am Theater Neumarkt in Zürich, dann folgten Gastengagements am Schauspielhaus Zürich, Theater Basel, Luzerner Theater, Schauspiel Hannover. Von 2007 bis 2009 war er festes Mitglied am Theater Marie in Aarau. Neben Arbeiten als Schauspieler entwickelt Herwig Ursin auch eigene Theatermusiken. 2011 erhielt er von der Stadt Bern ein Jazz-Stipendium