von: Simone Klein
13. Mai 2016
© Limbus Verlag
Wir schreiben den Tag der Sommersonnenwende im Jahr 2002. Sehnsucht, Sommeranfang und eine schwangere Frau in der S-Bahn, diese Mischung löst ein Wechselbad der Gefühle im Protagonisten Gustav Julius Kaufmann aus, als er sich wie gewöhnlich aus dem beschaulichen Oberland auf den Weg zur Arbeit Richtung Oerlikon macht. Sein Leben, das den Sohn einer Dentalhygienikerin und Enkel eines Herstellers von Regenmänteln eher einseitig geprägt hat, wirkt außerhalb des Büroalltags begrenzt. Keine Frauengeschichten, kein Hobby, keine Familie, Herr Kaufmann befasst sich ausschließlich mit Zahnseide, die dem weltfremden, fast schon autistisch anmutenden Mann, Struktur und innere Sicherheit verleiht, und ihm zudem den Kontakt zur Außenwelt erleichtert. Und die besteht für ihn, maßgeblich und ausschließlich, aus Ida Nordpol Zeppelin, deren Wettersendung er über einen Weltempfänger verfolgt.
An besagtem Morgen bleibt die S-Bahn kurz nach Durchfahrt durch den Käferbergtunnel plötzlich stehen und bringt die Eintönigkeit in Kaufmanns Kosmos gründlich durcheinander. Die Begebenheit zwingt ihn zu einer Reise zu der wunderbaren Radiostimme, auf der eine Kuriosität die andere ablöst.
„Maliaño stelle ich mir auf einem Hügel vor“ ist die Erzählung über einen Tagträumer, die Tagträumer in ihren Bann zieht. Ralf Schlatter hat sie präzise arrangiert und sein Talent, eigene Programme als Kabarettist zu gestalten, vollumfänglich in die Geschichte mit einfließen lassen. Binnenerzählungen sind sein Stilmittel und die Reise des Protagonisten während einer Reise kündigt er als Film an. Entsprechend schnell und abrupt erscheinen die szenischen Wechsel, die die skurril anmutenden Charaktere bisweilen sehr plötzlich in Erscheinung treten lassen. Sich mehrerer Wendepunkte bedienend bleibt Schlatter der Gattung der Erzählung treu. Zum Ende hin löst er die Wirrungen der Handlung auf und lüftet das Geheimnis, indem er metaphorisch ein Märchen der Gebrüder Grimm in das letzte Kapitel integriert und einen überraschenden Schluss präsentiert. Die gelungene Erzählung fordert und fördert die Phantasie des Lesers und die gedankliche Flucht aus dem Alltag. Simone Klein
Simone Klein lebt als Autorin in Baden-Baden und veröffentlichte schon mehrere Romane. Besuchen Sie ihre Website hier.