von: Lukas Vogelsang, Magazin Ensuite Bern
17. November 2021
© Kulturmagazin Ensuite Cover einer Ausgabe
Von Lukas Vogelsang – «Kulturberichterstattung» nennt man es – obschon dieser Begriff bereits am Ende einer journalistischen und demokratischen Idee steht. Eine Berichterstattung, so wie sie hier sinngemäss verwendet wird, bedeutet, einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, was andere gemacht haben. Will heissen: Berichtet in den Medien, dass ich was getan habe, damit ich eine Existenz bekomme, gesehen werde. Da haben wir bereits ein Kernproblem in der Thematik Politik, Kultur und Medien.
Das allgemeine Verständnis von Medien scheint sich verheddert zu haben. Für wen werden Medien produziert? Schreiben JournalistInnen über Mörder, damit diese in der Gesellschaft eine Existenz erhalten? Die Politik und die Kultur- und Kunstszene argumentieren momentan so. Heute reden wir kaum noch über Kulturkritik oder generell über Kritik – und wenn, dann nur für das «eigene Portfolio». Das hat mit Journalismus nichts zu tun, nichts mit den Verlagen und nichts mit «KonsumentInnen» von Medien. Auch das neue geplante Mediengesetz finanziert fast alles, was «Berichterstattung» oder Vertrieb ist – nicht aber, was journalistische Auseinandersetzung wäre. Die JournalistInnen und KulturkritikerInnen sollen nicht mehr fachlich professionell beurteilen, sondern vermitteln. Klar, mit Ausnahmen, das ist immer so bei Gesetzen.
«Was tun wir Medien für euch?» – das ist nicht die Frage, liebe PolitikerInnen und KulturaktivistInnen, sondern: «Was tun wir für unsere LeserInnen?» Ihr «Kreativen» und Förderer und Förderinnen spielt eigentlich eine untergeordnete Rolle. Ihr wollt an unser Publikum mit euren Anliegen – das ist was ganz anderes.
Inhalte erschaffen die Redaktionen nach gutem Wissen und Gewissen für ein interessiertes Publikum, um Sachverhalte einerseits neutral darzustellen – also eben nicht einseitig nur von ProduzentInnen angeleuchtet – oder um sie andererseits mit einer eigenen Orientierung zu unterstützen, die ebenfalls nicht jener der HauptprotagonistInnen entsprechen sollte, sondern als Argumentzugabe in einer demokratischen Freiheit gedacht ist. Dieses Publikum und dessen Vertrauen bauen wir Verlage und Redaktionen zusammen in mühseliger Arbeit auf.
Selbstverständlich haben wir verstanden: Niemand hat Lust, die Kontrolle über die Kommunikation zu verlieren. Deswegen möchte man den Medien vorschreiben, worüber sie berichten sollen.
Doch es gibt auch eine andere Seite: Mir ist aufgefallen, wie wichtig es vor 20 Jahren war, die Adresskarteien aktuell zu halten. Heute kriegen wir Post zugestellt für MitarbeiterInnen, die schon seit sieben Jahren nicht mehr bei uns arbeiten oder verstorben sind. Niemand hat je nachgefragt. Für mich heisst das: Diese Institutionen und Agenturen haben die Kommunikation schon im Ansatz nicht im Griff. Das Schauspielhaus Zürich hat in den letzten Jahren zigmal die Medienverantwortlichen ausgewechselt – noch nie hat sich jemand von den «Neuen» bei uns vorgestellt oder mit uns den Kontakt gesucht, nicht mal per Telefon. Aber wir erhalten wöchentlich, bei anderen VeranstalterInnen sogar täglich E‑Mail-Zustellungen an Anonymus bei uns. Wir könnten eine Autogarage sein – das würden diese Institutionen und Agenturen nicht merken. Dabei machen es die digitalen Grossmächte vor: Daten sammeln, was das Zeug hält, damit man so viel wie möglich über die Kunden weiss, um sie direkt und konkret angepasst bewerben zu können.
Allerdings ist mit guter Medienarbeit noch keine gesteuerte Kommunikation möglich. Eine gute Redaktion lässt sich nicht steuern – und nur sehr schwer manipulieren. Das muss man wissen. Gute PR-Arbeit heisst, mit den Redaktionen eine gute Zusammenarbeit aufzubauen, sodass man als Anbieter von Informationen in der Redaktion selbst zum Thema wird. Das ist heikel, aber zeigt eben die Professionalität von Medienverantwortlichen, PR-AgentInnen oder WerberInnen. Es ist absolut möglich, eine solche Zusammenarbeit aufzubauen – ohne dabei Grenzen zu überschreiten.
Die beste kontrollierte Kommunikation in den Medien heisst: Anzeigen schalten. Natürlich gibt es auch Meldungen, die allgemein für die Öffentlichkeit wichtig sind und die Redaktionen aus journalistischen Gründen interessieren. Aber ist die Meldung, dass der Schuhmacher einen neuen Schuh produziert, gesellschaftlich wichtig? Und was unterscheidet diese Meldung von einem neuen Theaterstück? Und warum nur die Theaterstücke von den Stadttheatern – warum nicht von den freien, meist unterfinanzierten Bühnen? Andersrum: Wann wurde das letzte Mal ein Kulturmagazin von KulturveranstalterInnen beworben?
Umgekehrt muss man anerkennen, dass grosse, finanzstarke VeranstalterInnen und Institutionen eben auch ein grosses Publikum ansprechen. Das heisst, es ist anzunehmen, dass ein Artikel über eine grosse Sache mehr Interesse weckt als einer über die Kleinveranstaltung mit wenig Publikum. Das war’s doch, was mit «Der Markt entscheidet» gelten soll. Ebenso möchten JournalistInnen lieber gelesen werden, als nur irgendwo LückenfüllerIn zu sein. Auch das ist verständlich. Dazu kommt, dass Kulturmeldungen in den Medien Randerscheinungen sind – lustigerweise auf dem Niveau der Wirtschaftsnachrichten, die ebenso kaum jemand liest.
Bei der Medienpräsenz könnte man meinen, das Geld dirigiere auch hier: Was mit viel Steuergeld subventioniert wurde, «muss den SteuerzahlerInnen» gezeigt werden – so die Idee. Nur blöd, dass jene Institutionen, die am meisten Steuergeld erhalten, meist auch die teuersten Tickets anbieten – oder diese, weil sie subventioniert sind, günstiger anbieten können, als der Markt es richten könnte. Das sind die gleichen Institutionen, die so viel Geld erhalten, dass sie anständige Werbekampagnen finanzieren können – oder noch besser: sich teure eigene Programmzeitschriften leisten, welche ebenfalls mit Anzeigen den konventionellen Medienmarkt konkurrieren.
Jetzt sitzen wir tief im Chaos. Darum beginne ich nochmals, diesmal aus der Perspektive von uns: Es ist die Aufgabe von Kulturmedien, ein Publikum aufzubauen, das sich medial für Kultur interessiert und diese Nachrichten erhalten will. Dazu sammeln und veröffentlichen sie Geschichten, welche von gesellschaftlichem Interesse sind. Die Aufgabe der Agenturen, Institutionen, VeranstalterInnen ist es, dafür zu sorgen, dass sich diese Medien auch finanzieren können, da sie eben die Schnittstelle zur Öffentlichkeit bilden. Auf diesem Weg erhält fast jede Partei in diesem Zyklus einen Mehrwert und gewinnt.
Professionelle Kulturschaffende, welche von der öffentlichen Hand unterstützt werden, können in ihren Gesuchen die Anzeigewerbung miteinbeziehen. Werbung im Kultur- und Kunstbetrieb ist Kulturvermittlung, nichts anderes, und entsprechend ein elementarer Teil einer Kulturproduktion. Das war mal normal – heute will sich niemand mehr «verkaufen», sondern sich nur noch verkaufen lassen. Die wenigsten Kulturschaffenden haben ein entsprechendes Management, welches diese Abläufe koordinieren und die Beziehungen pflegen würde. Bei den Institutionen werden selten ausgebildete Marketing- oder Medienverantwortliche angestellt, was dazu führt, dass diese Jobs eine hohe Fluktuation aufweisen. Die Kulturförderung zahlt selten an die Fundraising-Stellen, die eine wahnsinnige Arbeit machen – und kaum bezahlt sind und bald mal den Dienst quittieren. Es ist alles Knochenarbeit – mit Gratis-E-Mails kommen wir nicht weiter, der Erfolg bleibt aus.
Paradoxerweise hat es früher weniger Kulturfördergeld, weniger Kulturschaffende gegeben, aber mehr Kulturpräsenz in den Medien. Heute behauptet man das Gegenteil: Es gibt viel mehr Kulturproduktionen und kaum noch entsprechende mediale Präsenz. Stimmt das?
Erstens: In der Schweiz zählen wir mindestens 100 professionelle Redaktionen oder Publikationskanäle für Kulturelles und Kunst, Fernsehen und Radio, Blogs nicht mitgerechnet (siehe Liste unten). Das ist umwerfend viel! Noch vor einem Monat ging ich selbst von nur 40 Erzeugnissen aus. Fragen wir allerdings das Publikum, so kennt dies kaum was davon. Die Abozahlen und das Interesse an diesen Inhalten sind jeweils gering, die Anzeigen hart umkämpft – die Finanzierung von eigentlich allen Produkten oder Redaktionsteilen ist schlecht.
Zweitens: Was kostet es denn, einen Artikel zu produzieren? Nehmen wir als Beispiel eine Theaterperformance in Zürich. Eine Journalistin aus Bern reist nach Zürich, studiert unterwegs Unterlagen und Geschichte des Stücks, recherchiert, schaut sich die Performance an, reist zurück und schreibt einen Artikel mit rund 5000 Zeichen. So könnte das bei uns im ensuite aussehen. 4 Stunden sind nur Logistik – also Auftrag, An- und Rückreise, 3 Stunden rechnen wir für die Schreibarbeit, bis alles steht. Es ist nicht immer gegeben, dass man auf der Reise selbst arbeiten kann. Jetzt kommen Korrektorat, Layout und «Papier» dazu und zum Schluss die Vertriebsarbeit. Dazu müssen wir noch etwas Büro, Infrastruktur, Versicherungen und dergleichen hinzuzählen – da wären auch noch die Löhne von jenen, die keine direkten «Einnahmen» produzieren, also von der Administration zum Beispiel. Beim Inhalt sind wir bei einem Tagesansatz für JournalistInnen. Die verlagstechnischen Kosten kommen dazu – somit landen wir bei ungefähr 2000 Franken Realkosten für einen einseitigen kulturkritischen Artikel – hoffen wir jetzt, dass wir das Bildmaterial kostenlos übernehmen dürfen und nicht noch selbst fotografieren müssen. Bildlizenzen liegen finanziell nicht drin.
Klar können wir das auch günstiger erstellen – nur: Diese Kalkulation muss nachhaltig, für eine permanente kulturjournalistische Produktion über Jahre funktionieren. Das bedingt, dass wir MitarbeiterInnen ausbilden, weiterbilden, die internen Entwicklungen und Fortschritte nicht vernachlässigen (Digitalisierung, Vertriebstechniken …). Wer nach diesen Zahlen noch immer der Meinung ist, dass Verlage an den Inhalten von Kunst- oder Kulturschaffenden Geld verdienen, sollte uns das beweisen.
Wie also kriegt man eine faire Medienpolitik in den Griff? Mit dem Versuch des neuen Mediengesetzes auf jeden Fall nicht. Damit, die SDA/Keystone zu unterstützen, welche bereits zu einem grossen Teil den Verlagen gehört, dient man nur diesen wenigen Verlagen. Wir beispielsweise im Kulturbereich können uns kein SDA/Keystone-Abo leisten – zudem wären wir mit unserer Redaktion auch umgehend unglaubwürdiger und würden wahrscheinlich an Leserschaft verlieren. Die Einzigartigkeit macht bei «ensuite – Zeitschrift zu Kultur & Kunst» den Markt – zu publizieren, was von der SDA/Keystone geliefert würde, täte unserer Exklusivität nicht gut. Es ist unfair, bei Printmedien den Vertrieb zu subventionieren und bei rein digitalen Medien die Löhne der Redaktionen. Als Beispiel: Die indirekten Pressesubventionen, die wir beim ensuite erhalten, decken nicht mal die Druckkosten eines einzigen Magazins. Im Unterschied kann durch diese Presseförderung ein Zeitungsverlag die gesamten Administrationskosten decken.
Medienpolitik darf sich nicht nach den ProduzentInnen von Nachrichten orientieren, auch nicht nach der Politik oder den VeranstalterInnen, nicht nach den Redaktionen, sondern müsste den Output der Redaktionen bewerten, denn dieser ist für die Leserschaft. Und die Leserschaft ist das zentrale Problem der heutigen Medienkrise. Medien existieren wegen LeserInnen – das ist der Ausgangspunkt. Dazu wäre die redaktionelle Arbeit in der Recherche und der Einzigartigkeit zu bewerten. Es ist einfach, einer anderen Redaktion abzuschreiben, wie das oft geschieht. Beispiel «Die Zeit»: Wer diese Zeitung liest, weiss oft eine Woche vorher, was nächste Woche in der Schweiz zu lesen sein wird. Oder die Regionalblätter, welche nur aufgrund einer Medienmitteilung in einer anderen Zeitung feststellen, dass sie ein Thema verpasst haben … Die Vertriebsförderung für Print- oder aber auch für Online-Produkte ist nicht falsch. Bei den digitalen Medien ist allerdings die Vertriebsarbeit etwas schwierig zu beurteilen. Wenn man bedenkt, wie viel Print-Verlage in die Logistik investiert haben – so müsste bei der digitalen Förderhilfe diese prozentual angepasst werden. Kompliziert.
Was aber gar nicht geht: die «Berichterstattung» zu subventionieren. Genau das ist es, was jetzt das BAK und die Stiftungen vorhaben. Das ist genau die Form von Staatsförderung, die wir jahrelang als No-Go angeführt hatten und die aus demokratischer Sicht unmöglich sein müsste. Presseinhalte dürfen nicht subventioniert werden, Rahmenbedingungen schon. Und wem erklären wir jetzt das alles?
Hier folgt ein noch unvollständiger Überblick über die gefundenen 100 Kultur-Redaktionen/-Publikationen in der Schweiz, ohne Radio- und TV-Angebote. Achtung: Es ist klar, dass einige Medien die Inhalte in verschiedenen Mantelredaktionen unterbringen. Doch das ist das gleiche Arbeitsmodell wie das von der SDA/Keystone, und es wäre fatal, wenn man diese bevorzugen, andere deswegen kritisieren würde. Zudem ist in fast jeder Redaktion jemand für den Bereich Kultur zuständig. Oftmals sind dies allerdings Personen in thematischer Mehrfachbesetzung – ein Regionalblatt löst dies eben effizient. Und es darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass Kulturveranstaltungen gerade für den Tourismus sehr wichtig sind – deswegen in Lokalblättern darauf nicht verzichtet wird.
Faszinierend ist aber trotzdem, wie viele Spezialmedien wir in der Schweiz zählen dürfen! Gerne nehmen wir Ihre Inputs auch entgegen und vervollständigen diese Liste online. Senden Sie uns einfach ein E‑Mail an: redaktion@ensuite.ch