von: Urs Heinz Aerni
11. Oktober 2018
© Knapp Verlag - Brigitte Schär
Urs Heinz Aerni: Sie sind bekannt für Ihre Kinder- und Jugendbücher, Ihre Auftritte mit Musik sind mittlerweile legendär. Ihr Buch „Unwetter“ verspricht im Untertitel „unheilvolle Geschichten“. Ein Kontrastprogramm zur lieben Kinderwelt?
Brigitte Schär: Ich schrieb von Beginn weg, vor mittlerweile 30 Jahren, sowohl für Erwachsene wie für Kinder. Nach meinem allerersten Kinderbuch „Das Schubladenkind, folgte ein Erzählband „Auf dem hohen Seil“ für Erwachsene. Für Kinder zu schreiben ist für mich kein Kontrastprogramm.
Aerni: Inwiefern?
Schär: Ich schreibe nicht anders für Kinder, aber die Themen sind anders. Ich beziehe meine Themen aus der ganzen Timeline des Lebens. Manchmal, wenn ich Kinderbuchmanuskripte an Verlage sandte, bekam ich zu hören, dass die Geschichten nicht für Kinder sind. Geeignete Verlage für anspruchsvolle Kinderliteratur, die die Kindheit nicht verniedlichen, haben sie dann sehr wohl veröffentlicht. Ich gehe sowohl in meinen Geschichten für Kinder, wie in denen für Erwachsene, in die Tiefe. Ich schaue genauer hin. Ich finde Bilder – oder sie finden mich – für seelische Zustände.
Aerni: Wie darf ich das verstehen?
Schär: Ich liebe nebst psychologisch fundiertem Surrealismus aber auch das Skurrile und Überraschende. Im Schreiben für Erwachsene kommt zudem mein Hang zum Grotesken und schwarzen Humor zum Zug.
Aerni: Franz Hohler meint im Vorwort Ihres Buches „Unwetter“, dass Sie das „Normale zusammenbrechen“ ließen. Woher kommt die Lust von uns allen, das Abgründige spüren zu wollen?
Schär: Sehr viele Leserinnen und Fernsehschauer sind zur Zeit und schon länger richtigehend krimisüchtig. Das ständige, zum Teil extrem brutale Morden schreckt niemanden ab. Man fiebert und rätselt bei der Jagd nach den Mördern und Mörderinnen durch die zahlreichen Ermittlerteams mit.
Aerni: Sie haben also eher eine kritische Haltung gegen dieses Genre…?
Schär: Krimis berühren nicht tief. Das Genre Krimi – mit wohl zig Untergenres – basiert auf narrativen Elementen, die die Leserschaft schon kennt und erwartet. Meine Unwetter-Geschichten sind dagegen wirklich unheilvoll. Das Publikum für solche Geschichten ist schon etwas eingeschränkter. Nicht alle ertragen diese unheimliche Unvorhersehbarkeit und dieses Gruseln.
Aerni: Ihr literarisches Œuvre präsentiert sich nicht nur beeindruckend in der Menge, sondern im Umgang mit der Sprache und wie Sie erzählend Figuren und Szenen einkreisen, und es vermögen den Puls von uns allen zu nehmen. Wie entdeckten Sie die Sprache als Ihr Handwerk?
Schär: Sprache war mir immer sehr wichtig. Ich habe es in den Jugendjahren geliebt, Texte und auch Theaterstücke laut zu lesen, um die Kraft der Sprache und ihren Rhythmus noch intensiver zu spüren. Deutsch war immer mein absolutes Lieblingsfach. Ich habe dann Germanistik studiert. Auch Kinderliteratur. Ich nahm mir vor, selber mal ein Kinderbuch zu schreiben. Nach dem Studium habe ich das getan, und ich konnte veröffentlichen. Seither Buch um Buch. Für Kinder und Erwachsene. Daneben habe ich als professionelle Sängerin im experimentellen Jazz konzertiert. Mit der Zeit habe ich immer ausschließlicher die Musik in meine literarischen Auftritte integriert.
Aerni: Wenn man das Surreale durch das Zuklappen Ihres Buches verlässt und sich dann hier umsieht, ist man einerseits erleichtert und gleichzeitig will man wieder in Ihr Buch flüchten. Ab wann wissen Sie, dass die Geschichte gelungen ist?
Schär: Wenn ich den Anfang einer Geschichte, die Figur habe, entwickelt sich die Geschichte aus sich heraus. Ich folge der Figur neugierig, lasse mich von den Irrungen und Wirrungen überraschen und lasse die Figur letzten Endes ins Verderben laufen oder bin gnädig.
Aerni: Das Schreiben erzeugt einen Sog…
Schär: Wenn ich eine Geschichte zu schreiben beginne und sie mich elektrisiert, dann kann ich sie nicht mehr loslassen, und ich weiss , dass sich die Arbeit an ihr lohnt. Ich liebe kurze Geschichten. Sie sind überschaubar, so dass es möglich ist, sie wieder und wieder zu überarbeiten. Unstimmiges bringe ich so zum Stimmen. Ich arbeite so lange, bis von meinem Gefühl her jedes Wort sitzt und kein zu viel ist. Natürlich feile ich auch noch am Verlauf einer Geschichte.
Aerni: Sie sind oft auch auf Lesereisen, aber wohnen schon sehr lange hier in Zürich, unweit des Stadions Letzigrund. Was hält Sie an Zürich?
Schär: Ich habe jetzt 20 Jahre lang mit Blick aufs Stadion gewohnt und auf der anderen Seite mit Blick auf den Uetliberg. Eine wunderbar lebendige und aussichtsreiche Lage. Leider wird das Haus, in dem ich wohne nächstes abgebrochen und ich bin konkret am umziehen. Ich bleibe aber in der Gegend. Ich bin in Meilen am Zürichsee aufgewachsen, seit in 12 bin in Zürich zur Schule gegangen. Anschliessend habe ich in Zürich studiert. Ich habe seit meinem 21. Lebensjahr in Zürich gewohnt. Natürlich unterbrochen von diversen Auslandaufenthalten. Ich liebe Zürich. Ich kenne Zürich gut. Zürich ist eine schöne und angenehme Stadt, mit einem Flughafen ganz in der Nähe. Mit einem schönen See und Bergen, die einfach zu erreiche sind. Ich brauche Beständigkeit, aber mit viel Abwechslung. Die habe ich durch meine Auftrittsreisen, auch in anderen Kontinenten.
Aerni: Wenn ich ein Bild mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch malen würde, wie müsste es aussehen?
Schär: Ich fotografiere viel. Wenn ich unterwegs bin habe ich immer nebst dem Handy auch eine kompakte Digitalkamera dabei. Ab und zu fotografiere ich auch Menschen, die lesen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Bus, Schiff, Zug, Tram, in den Parks, oder sonst irgendwo. Eines dieser Fotos fällt mir gerade ein. Es war auf einer Reise, in einer U-Bahnstation. Da stand eine jüngere Frau an eine Säule gelehnt und las. Das sah in dieser Umgebung und in diesem Licht sehr schön aus. Sehr malerisch und geheimnisvoll. Wenn denn aus diesem Foto ein Gemälde entstehen sollte, dann könnte sie mein Buch „Unwetter“ lesen. Das würde sehr gut passen.
Das Buch:
INFO:
Die in Meilen aufgewachsene Brigitte Schär ist die Tochter eines Schweizer Vaters und einer deutschen Mutter und lebt in Zürich. Nach Ausbildung und Studium in den Bereichen Germanistik, Europäische Volksliteratur sowie Gesangs- und Sprechausbildung wirkt sie als freie Musikerin und Autorin. Die Süddeutsche Zeitung schreibt über Ihre Auftritte: „Die Veranstaltungen dieser multitalentierten Autorin sind ein Ereignis“. In diesem Herbst erscheint „Hanna und Leo – Von einem anderen Stern“ mit Illustrationen von Iris Wolfermann. Ein Buch für Kinder ab 10 Jahren im Baeschlin Verlag. www.brigitte-schaer.ch