von: Urs Heinz Aerni
2. Oktober 2018

„Heute bin ich mit meiner Musik beschäftigt“

Klarinette und Orgel, eine poetische Kombination, mit der Marco Santilli und Ivan Tibolla unterwegs sind. Wir stellten Fragen zur Musik und die Arbeit drum herum.

© CheRoba at the Festival der Stille, August 2017

Urs Heinz Aerni: „Orgelwind“ heißt es, wenn Sie als Klarinettist zusammen mit Ivan Tibolla an der Orgel spielen. Wie kam diese Konstellation zustande?

Marco Santilli: Seit vier Jahren ist Ivan Tibolla Pianist in meinem Jazz-Quartett „CheRoba“. Da er auch Orgel studiert hat, kam die Idee für ein Programm für Klarinette(n) und Orgel, eine eher unübliche Besetzung. Ivan und ich haben vieles gemeinsam: eine klassische Ausbildung, das Komponieren und das Improvisieren. Die Arbeit mit ihm hat für mich einen besonderen Wert: ob mit Orgel, Klavier oder Akkordeon, kann ich mit ihn praktisch bei (fast) jeder Situation auftreten.

Aerni: Sie spielen in der Kirche, wo ja logischerweise die Orgel vorhanden ist. Beeinflusst eigentlich die Architektur Ihr Spiel?

Santilli: Die Architektur der Kirche kann schon unser Spiel beeinflussen aber nicht gründlich. Je nach Nachhall kann es sein, dass wir gewisse Register der Orgel bevorzugen. Ich würde auch ein bisschen anders improvisieren: bei einer dankbaren Akustik kann ich die langen Töne der Klarinette noch länger in der Luft schweben lassen…

Aerni: Sie absolvierten ein Klarinettenstudium am Konservatorium Zürich und am Conservatoire de Lausanne und gerieten via Blasmusik und Klassik auch zum Jazz. Welche Musikrichtung beschäftigt Sie heute am meisten?

Santilli: In der Blasmusik sammelte ich meinen ersten musikalischen Erfahrungen, mit 12 begann ich bei der Dorfmusik Klarinette zu spielen. In unserer Gegend (Leventinatal) war es die einzige Chance, ein Instrument zu lernen. Mein Onkel dirigierte den lokalen Musikverein und darum war ich prädestiniert (lacht). Meine musikalische Ausbildung war aber in der Klassik, eine Zeit die mich sehr geprägt hat: obwohl ich im Moment keine Klassik spiele, bleibt sie für mich immer noch eine wichtige Inspirationsquelle. Mir interessieren die Komponisten, ihre Werke, ich war nie Fan von den Interpreten. Im Gegenteil zur Klassik wo man als Interpret auftritt, ist mein Bedürfnis zu kreieren, entweder auf Blatt (komponieren) oder aus dem Moment (improvisieren). Darum bin ich heute 100% mit meiner eigenen Musik beschäftigt. Es ist jazz im weitesten Sinn, nicht das amerikanische „mainstream“.  Schubladisierungen sind aber oft unpräzis. Sicher fließen in meine Musik verschiedene Einflüsse, man kommt nicht aus dem nichts. Sicher ist, dass ich und Ivan auf die Kompositionen viel Wert legen, während die Improvisation eine sehr wichtige Rolle spielt.

Aerni: Ein Kollege schrieb mal in einer anderen Zeitung, dass der Einfluss Tessins oder der „italianità“in Ihrer Musik nach wie vor wirke. Wie erleben Sie das?

Santilli: Er meinte, dass in meinen Themen der Wohlklang der italienischen Sprache zu spüren ist. Auch wenn ich Musik denke, denke ich italienisch. Meine Muttersprache hat viele Vokalen und es ist darum kein Zufall, dass ich zur Melodie neige. Dazu spiele ich noch ein Melodie-Instrument und die Themen entstehen oft auf der Klarinette. Für mich müssen die Themen immer ein spezielles Element enthalten, etwas unerwartet, egal ob harmonisch, rhythmisch oder melodisch. Eine bedeutungsvolle, nicht banale Melodie zu komponieren finde ich das schwierigste in der Musik. Was oft „simple“ klingt ist überhaupt nicht einfach.

Aerni: Ganz ehrlich, wenn ich Ihnen beiden zuhöre, fällt es mir schwer, still zu sitzen. Würde ein allfälliges Wippen mit dem Fuß oder das Wiegen des Oberkörpers Sie stören?

Santilli: Mir würde es überhaupt nicht stören, eine solche Reaktion vom Publikum ist wie ein Kompliment und es könnte sogar unser Spiel inspirieren. Hauptsache ist, dass es zum Rhythmus passt (lacht)!

 


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