von: Heiko Schwarzburger
3. Januar 2013
Twana Rhodes ist am Mauerpark zu Hause. Die Amerikanerin gibt Solokonzerte und reist mit ihrer Band durch die ganze Republik. © Fred Winter
Wenn Twana Rhodes auf die Straße geht, fällt sie auf. Nicht wegen ihrer Hautfarbe, dunkles Braun ist keine Seltenheit im Kiez. Sie fällt auf, weil sie gerade geht, aufrecht. Ihre Blicke sind unverstellt, „an open invitation“. Nicht Jedermanns Sache, manche haben Angst vor so viel Offenheit und so wenig „small talk“. Unverstellt und gerade sind auch ihre Lieder. In der Philharmonie füllte sie mit ihrer Band den Kammermusiksaal, musikalisch und nach der Zahl der Besucher. Die Presse überschlug sich mit Lob. Letztes Jahr trat sie in der Passionskirche in Kreuzberg auf. „Dort war ich schon im Jahr zuvor“, erzählt sie. „Das ist ein sehr großer Saal. Ich habe dasselbe gemacht wie zu Hause: Ich habe mich ans Klavier gesetzt und geträumt. Nur dass ich dabei nicht allein war, sondern mit 500 Leuten. Das war super.“ Wenn sie singt, strahlt sie aus, was mittlerweile auf den Bühnen und in den Konzertsälen sehr knapp geworden ist: eine natürliche Würde.
Einem breiten Publikum bisher noch wenig bekannt, stand sie schon mit George Benson und Al Jarreau auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten. Im Studio arbeitete sie mit Richard Bona, Adam Holzman und Horace Parlan. Dabei setzte sich ihre die Stimmgewalt erst auf Umwegen durch. Jahrgang 1965 wurde sie geboren in Fort Sills in Oklahoma, auf einem Stützpunkt der US-Armee, als Tochter eines „GI Officers“. Twana war ein Fantasiename, den sie von ihrer Mutter erhielt. Twana – das findet sie später heraus – ist der Name eines indianischen Stammes in Nordamerika. Twana heißt eine der zwölf Sprachen Südafrikas. Twana Rhodes selbst war und ist ein afroamerikanisches Mädchen dunkelsten Wassers, mit Indianerblut in den Adern, von ihrer Urgroßmutter. Fünf Jahre nach ihrer Geburt wurde ihr Vater nach Highdelberg beordert, ins Hauptquartier der Amis in Westdeutschland, selbst für die verwöhnten GIs ein ungewöhnlich freizügiger Ort.
Drei Jahre später kam der Marschbefehl nach El Paso an die mexikanische Grenze, wo sie ihre Jugend verbrachte. 1982 entschied sie sich, in Virginia zu studieren, später zog sie nach San Diego und Anaheim in Kalifornien. „Tanz war mein Metier“, erzählt sie lächelnd. „Aber die Technik hatte ich eigentlich nicht drauf. Deshalb bin ich zur Voice gewechselt.“ Voice – das meint Stimme und Gesang, neben dem Tanz die zweite Kunst, den Körper zum Schwingen zu bringen. Es folgte ein Studium in Business Marketing, wiederum in El Paso, Texas. „Danach habe ich auf einem Kreuzfahrtschiff gejobbt, das durch die Karibik schipperte“, berichtet sie weiter. „Naja, das war eher ein großes Glück: Zwei Shows während einer siebentägigen Kreuzfahrt, dazu Kost, Logis und obendrein Bezahlung. Wir fuhren von Miami nach Haiti und Jamaica. Und schließlich brachten mich die Kreuzfahrten nach Europa.“ Twana lacht wieder, bis in die dunklen Augen: „Eigentlich war der Grund ein Mann, ein großer, interessanter Holländer. Er hat auch auf dem Schiff gearbeitet, mit ihm ging ich nach Amsterdam.“
Aus der Neuen Welt in die Alte Welt, das war nicht nur ein Sprung über den Großen Teich. Das war auch ein Sprung ins kalte Wasser. Denn in Amsterdam verdiente Twana mit Telemarketing ihre Brötchen, verkaufte Edelsteine übers Telefon. Karat statt Karriere, nach den Klunkern vertickte sie Laserdrucker. „Trotzdem habe ich mich immer als Musikerin gefühlt „, sagt sie rückblickend. „Meine Leidenschaft ist die Musik, ihr wollte ich folgen.“ Vier Jahre verbrachte sie in Amsterdam, erst dann rückte sie näher an Berlin heran. Wo man im Leben landet, weiß man erst hinterher. Die nächste Zwischenstation war Köln. „In Köln lebte ich zwei Jahre mit einem Schlagzeuger zusammen, auch ein Musiker wie ich“, erzählt sie. „1997 bekam ich ein Engagement am Friedrichstadtpalast in Berlin.“ Wow, Friedrichstadtpalast! Da lacht sie wieder, wie oft in diesem Gespräch: „In der Kleinen Revue war ich der Frosch. Ein steppender Frosch, der obendrein auch sang.“
Ein kleiner, schwarzer, steppender Frosch: Diese Rolle taugt kaum für eine große Laufbahn in der Kunst. Treu geblieben ist sie aber ihrer Leidenschaft: „Ich bin Musik, ich lebe sie. Mit ihrer Hilfe erzähle ich Geschichten, vor ein paar hundert Leuten.“ Über Musik kann man nicht schreiben, hat einmal ein weiser Mensch gesagt, sie verschließt sich dem spröden Wort. Also belassen wir es dabei. Auf Twanas Webseite gibt es zahlreiche Proben ihres Könnens und ihrer Vielfalt. Mittlerweile hat sie drei Alben veröffentlicht, allesamt ein Geheimtipp. In aller Bescheidenheit.
Über Amsterdam und Köln war Twana endlich in Berlin gelandet. Vom wilden Westen Amerikas in den wilden, widerspenstigen Osten: der richtige Ort für ein unbändiges Mischblut. Seitdem lebt sie im Prenzlauer Berg, zuerst zur Untermiete am Ende der Schwedter Straße überm Café Niesen, später in einer Dachgeschosswohnung in der Greifswalder, danach wieder im Kiez am Mauerpark. In Berlin kommt ihr Sohn David zur Welt, mittlerweile zehn Jahre alt. Manchmal sitzt sie im Mauerpark, um zu meditieren. Sie sucht die Stille nach dem Trubel, füllt sich mit Energie. Manchmal hört man das Klavier aus ihrer Wohnung. „Mittlerweile ist der Prenzlauer Berg für mich eine Heimat“, gesteht sie, sorgfältig die Worte suchend. „Er ist mir vertraut wie ein Dorf, sehr echt und sehr entspannt.“
Ein paar Sachen stören sie. Etwa die Parkzone mit den hässlichen Uhren. Nach der Wende wurden am ehemaligen Mauerstreifen japanische Kirschbäume gepflanzt. Sie sind verschwunden, wichen der neuen Bebauung. Dafür bekam Aldi um die Ecke eine eigene Zufahrt, trotz des Widerstands der Anwohner. Dass man nicht mehr auf dem Falkplatz grillen darf. Dass ihre Heimat immer kleiner wird, immer enger, zunehmend eingeschränkt. Hier ein Stückchen, dort ein Stück.
Dagegen setzt sie Weite, die Weite ihrer Musik. Sie tritt auf großen Jazz-Festivals auf, gibt Solokonzerte oder mit Band, reist quer durch Deutschland. Und kehrt immer wieder in den Prenzlauer Berg zurück. „Wenn ich mich nicht der Musik widme, bin ich vor allem Mutter“, sagt sie. „Wenn ich einen Auftritt habe, kann ich mich auf den hilfsbereiten Kreis der alleinerziehenden Mütter verlassen. Wenn ich kein Konzert habe, gehe ich gern mit David zelten oder mit ihm auf Reisen.“
Um ihre Kunst kompromisslos zu verwirklichen, um ihre Musik – sich selbst – zu leben, komponiert Twana ihre eigenen Songs, schreibt die Lyrics, kümmert sich um die Produktion der Alben, um das Marketing und die Organisation der Auftritte. „Meine Texte kommen aus dem Rhythmus, aus dem Groove. Darin finde ich die Worte und arbeite sie aus“, meint sie. „Früher hatte ich nebenan ein Tonstudio, das ist leider der Sanierung im Haus zum Opfer gefallen. Das will ich jetzt in meiner Wohnung aufbauen.“
Copyright © J · Alle Rechte vorbehalten · BERG.LINK
Magazine Theme v4 von Organic Themes · WordPress Hosting · RSS Feed · Anmelden