von: H. S. Eglund
22. Oktober 2022
© Werner Klemke
Harriet Beecher war eine Tochter aus gutem Hause, wie man seinerzeit sagte. Am 14. Juni 1812 als siebentes Kind der Familie eines Geistlichen in Connecticut geboren, übersiedelte sie mit 14 Jahren nach Boston.
Dort trat ihr Vater als Prediger auf, die Familie musste folgen. Ab 1832 leitete er ein Priesterseminar in Cincinnati, wo Harriet bis 1850 lebte.
Cincinnati, quirlige Stadt am Ohio River: Damals sammelten sich in der aufstrebenden Metropole die Gegner der Sklaverei. Der Ohio markierte die Grenze zwischen den Sklavenstaaten im Süden und dem freien Norden, viele aus Kentucky geflüchtete Schwarze ahielten sich in der Stadt auf.
Ihre Jugend und das frühe Erwachsenenalter verlebte Beecher in gesicherten Verhältnissen, der Vater hatte ein gutes Auskommen, machte Karriere in der Kirche. 1936 heiratete Harriet den Professor Calvon Stowe, einen Experten für biblische Literatur.
1850 begann sie, den Roman Uncle Tom‘s Cabin zu schreiben, Untertitel: Leben unter den Niedrigsten. Als das Buch 1852 erschien, wurde es sofort zum Welterfolg.
Hundert Jahre später erschien im Verlag Neues Leben in Berlin eine Jubiläumsausgabe. Ihr nachgestellt ist ein erhellender Essay von Wieland Herzfelde, Professor an der Humboldt-Universität und Bruder von John Heartfield. Illustriert wurde die Ausgabe vom bekannten Grafiker Werner Klemke, der unzählige Bücher mit seinem unverkennbaren Stil bereicherte.
Herzfelde hatte in der Weimarer Republik den Malik-Verlag gegründet und war mit Machtantritt der Nazis in die USA geflohen. In seinem Nachwort bringt er interessante Details über die Autorin und ihr berühmtes Buch. Er schreibt:
1839 nimmt Harriet Stowe eine frühere Sklavin aus Kentucky in ihren Dienst. Die junge Magd lebt bereits mehrere Monate in der Familie, als Professor Stowe die Nachricht erhält, ihr früherer Besitzer sei in der Stadt, um sie zu suchen und in die Sklaverei zurückzuschleppen.
Professor Stowe fasst den Entschluss, die farbige Dienerin in Sicherheit zu bringen, um sie vor den Nachstellungen zu schützen. Gemeinsam mit seinem Schwager, Henry Ward, der, wie er, Waffen trägt, fährt er die Verfolgte bei Nacht in einem geschlossenen Wagen auf abgelegenen Pfaden zwölf Meilen landeinwärts, um eine Zuflucht für sie zu suchen.
Ein Blick zurück, auf die Jahre vor dem Buch: Nach 1840 erlebten die Vereinigten Staaten einen mächtigen Aufschwung: Vor allem im Norden entwickelten sich Eisenbahnen und Industrie. Herzfelde analysiert:
Der Süden konnte seiner arbeitenden Klasse, den Negersklaven, keine Maschinen anvertrauen. Dazu waren sie viel zu ungeschult und aufsässig.
Die Farmer im Nordwesten beschäftigten Lohnarbeiter. Sie setzten viel mehr Maschinen ein und erreichten eine sehr hohe Produktivität. 1834 wurde die Dreschmaschine erfunden, 1846 die erste Sämaschine.
Wellen von Einwanderern aus England, Irland und Deutschland siedelten sich in erster Linie in den westlichen Gebieten an, in früherem Indianerland westlich der Appalachen.
Dagegen setzten die Pflanzer in den Südstaaten auf schwarze Sklaven, die aus Afrika geraubt und nach Amerika verschifft wurden wie Vieh. 1790 gab es in den Vereinigten Staaten rund 697.000 Sklaven, bis 1861 waren es vier Millionen. Faktisch waren sie die wichtigste Arbeitskraft des vorindustriellen Zeitalters.
Der Kampf gegen die Sklaverei war so alt wie die Vereinigten Staaten selbst. Im 1939 in New York erschienenen Buch Negersklavenrevolten in den Vereinigten Staaten 1526-1866 von Herbert Aptheker geht hervor: Mehr als 200 Aufstände und Verschwörungen gegen die Sklaverei durchzogen die Jahrhunderte, nicht gezählt die Revolten auf Sklavenschiffen.
Der erste Aufstand im Gebiet des späteren Staates Südkarolina war erfolgreich. Unterstützt von Indianern besiegten hunderte Sklaven im Jahr 1526 ein Kontingent von 500 Spaniern und kehrten nach Haiti zurück, von wo man sie verschleppt hatte.
Gesetzlich anerkannt wurde die Sklaverei erst im Jahre 1660. Schon kurze Zeit später, 1688, erhoben deutsche Bürger der Siedlung Germantown im Staat Pennsylvania öffentlichen Protest gegen den Menschenhandel.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts nahm dieser Handel infolge des Anbaus von Reis, Indigo und Tabak größere Ausmaße an. Hundert Jahre vor dem Erscheinen von Onkel Toms Hütte machten Sklaven bereits 40 Prozent der Bevölkerung der Südstaaten aus.
Der Konflikt um die Sklaverei spitzte sich zu, weil sklavenfreie Staaten oft das Gesetz einführten, geflüchtete Sklaven an ihre Besitzer auszuliefern. Denn das Recht, die Sklaverei zu erlauben oder zu dulden, war das Recht der einzelnen Bundesstaaten.
Die neuen, ökonomisch sehr mächtigen Staaten im Westen, standen auf der Kippe. Gegner der Sklaverei machten mobil, forderten ein Bundesverbot. In England oder Frankreich war die Sklaverei längst abgeschafft worden. Harriet Beecher Stowe schrieb später:
Jede Nation, die großes Unrecht duldet, erzeugt in sich Elemente des Umsturzes.
Die ökonomischen Zusammenhänge waren ihr verschleiert, sie handelte aus christlich-ethischen Motiven. In einem Brief, den sie fünfundzwanzig Jahre später an einen ihrer Söhne schrieb, erzählte sie:
Ich erinnere mich noch sehr wohl des Winters, als Du ein Jahr alt warst und ich Onkel Toms Hütte schrieb. Mir brach fast das Herz vor Jammer über die Grausamkeit und das Unrecht, welche von unserem Volk an den Sklaven begangen wurden. … Manche Nacht, während Du an meiner Seite schliefst, vergoss ich heiße Tränen, wenn ich an die armen Sklavenmütter dachte, denen ihre Kleinen entrissen wurden.
Im Jahr des Erscheinens wurden in den Vereinigten Staaten rund 300.000 Exemplare verkauft, in England sogar 1,5 Millionen Exemplare. Ähnlich erfolgreich war das Buch in Frankreich und in deutschen Landen. Der Papst belegte es mit einem Bann, was dem Erfolg in katholischen Ländern jedoch keinen Abbruch tat.
Die intelligenteste Würdigung des Romans stammt von Winston Churchill, britischer Premierminister während der Kriegsjahre 1940 bis 1945. In seinem Werk A History of the English Speaking Peoples schreibt er im vierten Band The Great Democracies:
Harriet Beecher Stowes Werk war propagandistisch, sie nutzte jede Waffe. In den Seiten des Romans werden die theoretischen und religiösen Argumente hin und her gewälzt, aber in ihrer Methode überragte sie alle anderen Gegner des Bösen. Sie präsentierte ihren Lesern eine Abfolge der einfachen und verstörenden Begebenheiten, die unlösbar mit der Sklaverei verbunden waren:
Die Zerstörung der schwarzen Familien, die gewaltsame Trennung von Eheleuten, den Verkauf des Babys, von der Brust seiner Mutter weg, die unmenschliche Versteigerung der Sklaven nach dem Tod eines wohlgesonnenen Eigentümers, Verbrechen und Folter, der perfide Menschenhandel und das Grauen entlegener Plantagen, die Auspeitschungen, zu denen junge weiße Damen ihre Dienerinnen schickten, für kleinste Vergehen, und die beinahe weißen Sklavinnen, die als Lustobjekte verkauft wurden. All das wurde den Leserinnen und Lesern schonungslos und ungeschönt vor Augen geführt, mit ihrem schlichten und zugleich fesselnden Stil.
Churchill, selbst über seine Mutter ein halber Amerikaner, hat sich als exzellenter Kenner der Geschichte der Vereinigten Staaten erwiesen, sowohl der wirtschaftlichen als auch der kulturellen Zusammenhänge:
Bis zum Ende des Jahres 1852 waren hunderttausende Exemplare des Buches in den USA verkauft. Im September, so wird berichtet, wurden jeden Tag zehntausend Exemplare durch einen einzigen englischen Buchhändler abgesetzt. Bis Ende 1852 wurden mehr als eine Million Exemplare in England verkauft. Nur die Bibel und das offizielle Gebetsbuch wurden in der Geschichte Englands häufiger verkauft.
Churchill war kein Buchhändler, ihn interessierte die politische Wirkung des Romans. Sein Urteil überrascht kaum:
Uncle Tom‘s Cabin rollte um die Welt und wurde in jedem Land mit Leidenschaft und Erregung gelesen. Es war der Vorbote des nahenden Sturms.
Denn an der Sklaverei entzündete sich die Frage, ob die einzelnen Bundesstaaten das Recht haben, die unmenschliche Praxis gesetzlich zu sanktionieren. Der Verfassungsstreit schwelte viele Jahre, erhitzte Gegner wie Befürworter gleichermaßen.
Vor allem die reichen, aristokratischen Pflanzer im Süden sahen ihre Privilegien bedroht. Zudem war ihre Vormacht in Washington gefährdet, weil sich das wirtschaftliche Schwergewicht nach Norden verlagert hatte.
George Washington, General im Unabhängigkeitskrieg und erster Präsident der USA, war der größte Sklaveneigner in Virginia gewesen. Mittlerweile beanspruchten die Industriemagnaten und die Banker von New York, Philadelphia und Chicago ihren Anteil am politischen Geschehen, unterstützt von Auswanderern aus England, Irland, Skandinavien und deutschen Kleinstaaten.
1861 wurde der Republikaner Abraham Lincoln zum Präsidenten gewählt. In Kentucky geboren, hatte er sich als Anwalt und politischer Redner in Illinois einen Namen gemacht.
Als die Südstaaten ihren Austritt aus der Union erklärten, führte Lincoln den Norden in den Sezessionskrieg. Bis dahin war Lincoln kein erklärter Gegner der Sklaverei. Ihm ging es in erster Linie um den Zusammenhalt der Union als politische, wirtschaftliche und juristische Einheit. Freilich wurde ihm schnell bewusst, dass die Sklaverei zum harten Prüfstein wurde – für das amerikanische Modell der Demokratie.
Denn letztlich standen die feudalen Autokraten des Südens den potenten Kapitalisten des Nordens und den freien Farmern des Westens gegenüber. Als Harriet Beecher Stowe ihn mitten im Krieg besuchte, war seine Begrüßung sicherlich nicht nur scherzhaft gemeint:
Sie sind die kleine Frau, deren Buch einen so großen Krieg hervorgerufen hat?
Im Blog von H.S. Eglund lesen Sie den vollständigen Artikel.
Dort finden Sie auch weitere Illustrationen von Werner Klemke.
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