von: Simone Klein
7. Juni 2017

Giorgio Avanti „parodiert“

Simone Klein las "Bourgeoisie" von Giorgio Avanti.

© Bucher Verlag

„Bourgeoisie“ bezeichnet ein wohlhabendes Bürgertum und steht gerade nicht für die Klasse, der Jakob entstammt. Trotzdem befindet sich Jakob in einem Umfeld, in dem sogenannte „Bourgeoiserien“ stattfinden, und zwar zuhauf. Diese „Bourgeoiserien“ sind ein Programm, das Episoden im Leben mehrerer Menschen abbildet, die im 20. und 21. Jahrhundert in der Schweiz leben. Und diese Menschen verkörpert die Figur des Jakob. Wer ist Jakob? Der Leser erlebt ihn bereits in sehr jungen Jahren. Traumatische Erlebnisse prägen ihn in früher Kindheit unter ärmlichen Bedingungen im Kinderheim Luegisland, wo er die Endgültigkeit des Todes doppelt erfährt. Auch die Erfahrung der eigenen Taufe darf er zweimal machen, ebenso die der Verlobung. Jakob erscheint als Suchender, der seine Antworten auf Reisen sucht. Ob er dabei ankommt, bleibt offen. Und da die Zahl „Zwei“ in der Anekdotensammlung eine besondere Rolle zu spielen scheint, agiert eine zweite, ebenso vom Schicksal gebeutelte Figur, die den „Bourgeoiserien“ hilflos ausgeliefert wird: Karl.

Nein, es ist keine Biografie, die der Autor Giorgio Avanti seinen Lesern präsentiert, und Jakob ist kein Protagonist. Die Figur leidet, ebenso wie die des Karl, stellvertretend unter der Borniertheit im eigenen Umfeld. Jakob und Karl zeigen in wechselnden Rollen männliche Verlierer-Perspektiven innerhalb gesellschaftlicher Normen, die auffallend traditionell geprägt sind. In den Episoden geht es um geldgierige Frauen und Brautmütter, Untreue und Vorurteile, insbesondere auch im konfessionellen Bereich. Und natürlich ums Reisen.

Obwohl ein Teil der Botschaften der gut dreißig Kurzgeschichten auch in anderen Industriegesellschaften stattfinden könnte, dominieren der Lokalkolorit Schweiz und eine in diesem Fall ungewöhnlich eng anmutende schweizerische Perspektive auf den Alltag im In- und Ausland die vier Kapitel. Der durch die Figuren verkörperte Wunsch, Grenzen zu überwinden und doch immer wieder an ihnen zu scheitern, zieht sich wie ein roter Faden durch die Episoden. Das Gesamtwerk parodiert einen Ausschnitt der bestehenden Schweizer Gesellschaft. Der Leserkreis findet sich vermutlich außerhalb dieses Ausschnitts. Wer eidgenössische Lokal-Satire liebt, dürfte auf seine Kosten kommen.

Simone Klein lebt als Autorin in Baden-Baden. 

 

Das Buch: Bourgeoiserien – Kurzgeschichten, Autor: Giorgio AvantiGebunden , ISBN: 978-3990183953, Verlag: Bucher GmbH & Co.KG