von: Urs Heinz Aerni
12. August 2013

Geld wäre da – die Kultur erst recht

Die Bevölkerung des Schweizer Kantons Graubünden lehnte eine Kandidatur für Olympische Winterspiele ab obwohl viel öffentliches Geld hierfür locker gemacht worden wäre. Nun plant eines der größten Festivals für 2014 ein neues Projekt zu Karl dem Großen...
Szenenbild am Stausee Marmorera

Origen © Origen

Intendant und Gründer des Festivals Origen, Giovanni Netzer, fordert die Behörden heraus, mit einem Programm rund um den Karl des Großen. Es würden alle bisherigen künstlerischen und finanziellen Dimensionen sprengen. Bedingung für die Durchführung des Festivals sei eine erfolgreiche Finanzierung – nicht zuletzt seitens des Kantons Graubünden.

Am 9. November 2012 hat die Regierung des Kantons Graubünden Giovanni Netzer mit dem Bündner Kulturpreis ausgezeichnet. Der Intendant des größten Bündner Festivals und bislang jüngste Preisträger des Kantons hat in seiner Dankesrede auf den gefährdeten Fortbestand des Festivals hingewiesen, eine Debatte über die Förderung der professionellen Kultur gefordert – und einen Termin in den Raum gestellt. Am 10. August 2013, anlässlich der Derniere des «Noah» auf dem Staudamm von Marmorera, werde sich entscheiden, ob Origen fortbestehen könne – oder in den kommenden Jahren untergehe. Am Samstag hat nun Intendant Giovanni Netzer das Versprechen eingelöst und die Zukunftspläne des Festivals präsentiert.

Jubiläumsprogramm mit Karl dem Großen

Origen widmet seine zehnte Spielzeit 2014 dem mächtigsten Kaiser des Mittelalters. Karl der Große, dessen Todestag sich am 28. Januar zum 1200. Mal jährt, wird im Zentrum einer Reihe von Uraufführungen stehen. Das große Karlsjahr beginnt mit einer großen gregorianischen Complet, dem letzten Werk des unlängst verstorbenen Komponisten Gion Antoni Derungs. Die Complet zum Gedenken an den heiliggesprochenen Kaiser wird in den karolingischen Klöstern Graubündens und in der Karlsstadt Zürich zur Aufführung gelangen. Im März bespielt Origen die Seenlandschaft des Oberengadins und erzählt in einer einzigartigen Freilichtinszenierung von Karls legendärer Überquerung der Bündner Winterpässe. In Müstair gelangt ein Opern-Krimi über Karls rätselhafte Krönung am Weihnachtstag des Jahres 800 auf die Bühne, auf Burg Riom wird parallel eine Opera Buffa über Karls Bade-Besessenheit uraufgeführt. Die Commedia-Truppe des Festivals wird ganz Graubünden mit den berühmten Karlslegenden bespielen. Den Karlszyklus beschließen die Weihnachtskonzerte in den Hallen der Rhätischen Bahn in Landquart.

Festivalausgabe mit starken Partnern

Zur Präsentation des Karlsjahres anlässlich der Abschlussveranstaltung von vergangenem Samstag hatte Intendant Netzer die Partner für die Festivalausgabe 2014 geladen, die mit kurzen Statements ihr Engagement für Origen bekundeten. Walter Anderau, Präsident der Klosterstiftung Müstair, bekräftigte sein Interesse an einer künstlerisch hochstehenden und dem Anspruch des UNESCO-Labels genügenden Kooperation mit Origen. Claudia Troncana, Gemeindepräsidentin und Großrätin, freute sich über die Wahl Silvaplanas als Standortgemeinde und betonte ihren Willen, die Finanzierung des Festivals auch auf kantonaler Ebene weiterzutreiben. Für Ariane Ehrat, CEO der Tourismusdestination Engadin St. Moritz, verleihen Origens Aufführungen dem Engadiner Spätwinter hochwertige touristische Impulse. Beat Sommer, Rektor des Lyceum Alpinum Zuoz, betonte die Bedeutung des Karlsprojektes für die Bildung des gymnasialen Nachwuchses. Valentin Johannes Gloor, Rektor der Kalaidos Musikhochschule, präsentierte neue Perspektiven für eine Kooperation mit Origen auf Hochschulniveau. Andreas Züllig, Gastgeber im Hotel Schweizerhof auf der Lenzerheide und Mitglied des Verbandsvorstandes von Hotelleriesuisse verwies auf die touristische Bedeutung einer starken kulturellen Präsenz in der Region Mittelbünden und im Kanton Graubünden. Clown Dimitri, Gründer der Scuola Teatro Dimitri, erzählte von seiner Freundschaft mit Giovanni Netzer und bedankte sich für die Chance, die seinen Absolventen alljährlich geboten werde. Yvonne Dünser, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der Rhätischen Bahn, betonte die Einzigartigkeit der Partnerschaft zwischen dem Kulturprojekt Origen und der Rhätischen Bahn. Vincent Augustin, Churer Großrat aus Mon und ehemaliger Präsident der Lia Rumantscha, forderte den Kanton Graubünden auf, sich verstärkt für das professionelle Kulturschaffen einzusetzen und verwies auf die vorhandenen Geldmittel, die man für die abgelehnte Olympia-Kandidatur bereitgestellt habe: «Der Kanton Graubünden hat Geld.»

Leistungsvereinbarung mit dem Kanton Graubünden

Das Jubiläumsjahr 2014 wird voraussichtlich 3 Millionen Franken kosten. Giovanni Netzer ist zuversichtlich, dass die Finanzierung gelingen wird. «Bereits weit vorangeschritten ist die Mittelbeschaffung in den beteiligten Regionen Mittelbünden und Engadin. Wir rechnen mit regionalen Beiträgen in Höhe von einer halben Million. Beim Amt für Kultur des Kantons Graubünden werden wir in den kommenden Wochen ein Gesuch um eine Leistungsvereinbarung in Höhe von ebenfalls einer halben Million Franken einreichen. Wir sind zuversichtlich, dass der Kanton Graubünden im Rahmen seiner subsidiären Vergabepraxis unserem Ersuchen entsprechen wird – und damit den Weg ebnet für ein Projekt, das neue künstlerische Wege beschreitet, internationale Ausstrahlung hat, eine nachhaltige Wertschöpfung auslöst, Arbeitsplätze schafft, einen sanften, aber substantiellen Tourismus fördert und die vielzitierte kulturelle Vielfalt des Kantons markant in Szene setzt.»

 

KOMMENTAR

Während in der Stadt Zürich Spitzenfußballklubs von den Steuerzahlern ein neues Stadion verlangen aber sich nicht daran beteiligen möchten und das bestehende selten mit Fans zu füllen vermögen, genießt das Festival Origen eine breite über den Kanton Graubünden reichende Unterstützung und Wahrnehmung, was auch die Zuschauerzahlen bestätigen. Das Festival dehnt nun sein Programm inhaltlich wie auch in der Dimension aus, unter anderem durch Aufführungen an diversen Orten, verteilt in ganz Graubünden. Betriebsdirektor Philipp Bühler und Intendant Giovanni Netzer haben in den vergangenen zehn Jahren bewiesen, dass sie durch die Ausdauer und Qualität nicht nur Profis sind, sondern auch gewillt sind, die Erfolgsgeschichte auf den ganzen Kanton zu verteilen. Einem Kanton mit fantastischer Natur, großen Sympathien im In- und Ausland und nun ohne Olympisches Getöse liegen neue Chancen auf dem Tablet, für eine Profilierung, für die andere Kantone oder Bundesländer nicht nur glänzende Augen bekämen, sondern dafür Geld locker machten.

 

Urs Heinz Aerni, Korrespondent BERG.LINK Berlin