von: Barbara Hampel
8. Oktober 2021
© Barbara Hampel
BERGE 1 must
Die Tiefe ist hier
mit der Höhe verbunden,
es zieht uns hinauf auf die Berge,
wo plötzlich der Grund über uns ist.
Das Gestein aus der Erde kam
auf den Gipfeln
lange zur Ruhe. Der Boden unter den Füssen
ist wieder und
wieder bearbeitet.
Wir stehen
flüchtig
auf den Strassen. In den Bergen
glauben wir,
keine Flüchtlinge zu sein.
—
Die Schulter der Sonne ist frei
im Gebirge, vereist,
ungebrochen trägt sie
das Gewicht der Helle.
Es kommt kein Wort von
der Erde, die nicht bewachsen ist,
bloss steht der Berg und krümmt
das Schweigen im Raum.
—
Die Flächen versteinern
den Himmel,
das Aufragende ist
das Tragende
jeglicher Unsichtbarkeit.
—
Die Höhe sitzt, sitzt die Weite aus,
den Wellenschlag im Felsmeer.
Wo die Erde den Himmel berührt,
führt mich ein Schritt weiter.
Am Ende der Höhe ist
der Anfang der Tiefe.
—
Das Dorf hat sich
aus dem Stein
ein Leben gebrochen, am Hang
fällt es ins Tal und ebnet
den Wind ein,
der im Gewitter
der Felsen
hängengeblieben war.
—
Der Berg, der aufhört,
der auf die Spitze, den Gipfel verzichtet,
er richtet auf seiner Tafel den Sumpf ein,
hoch ist das Wasser gestiegen, nah an
die Oberfläche, die dünnhäutig viel
empfindlicher wird für den Austausch,
empfänglicher sind in dem Hochmoor
die Gräser, durchlässig ist der Boden,
in dem der Glanz steht,
das spiegelnde Zittern des Lichts,
das durchscheint im Grün und im Braun,
das sich rötet im Rost des Wassers,
erzatmend verstehen die Pflanzen
die Stille des Dauerns, langsam lösen sich
die Mineralien unter und über der Fläche,
die leicht versinkt, und die Gewächse
schweben in diesem Raum,
der von der Zeit spricht.
—
Lärchen halten die Leichtigkeit.
Die grünen Zärtlichkeiten
der hohen Wälder verwurzeln
die Schwere
und sprechen von
derselben Materie,
die Licht ist.
—
Quellen und Unerschöpfliches
sich vorstellen, das
im Ursprung beschlossen ist.
Wie Steine, vom Wasser
geschliffen, nichts
auf den Begriff bringen.
—
Wo der hohe Waldfluss von den Geräuschen
der Stille geformt wird, hat der Wind noch
das Sagen. Seine Ansprache berührt schon
die Gräser. Die Wärme der Wiese ist eine
würzige Wärme, Erde zugleich und Himmel.
Barbara Hampel, geboren 1951 in Mecklenburg/D, arbeitete nach ihrem Berliner Studium der Kulturwissenschaft und Ästhetik im therapeutischen und museumspädagogischen Bereich sowie als Kulturleiterin für Altersheime. 1976 Geburt von Sohn Michael. Seit 1983 lebt sie in Thalwil bei Zürich. Nach dem Lizentiat an der Universität Zürich und einer theologischen Zusatzausbildung folgten Lehrtätigkeiten für Kinder und Erwachsene.
Publikationen (Lyrik, Prosa und publizistische Texte) in Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien. Im Verlag Edition Howeg Zürich erschienen 1986 „Laubgesicht“ und 2006 „Die Zukunft stimmt in allen Brüchen – Texte im Kontakt zu Plastiken von Josephsohn“. Im Verlag edition coeli & terrae Freiburg/D erschienen 2008 „Zum Äussersten gehen. Alte Bilder – neue Worte zu Franziskus von Assisi“ und „Mein Himmel, kein Himmel– Texte im Gehen durch das Holocaust-Mahnmal Berlin“.