von: Heiko Schwarzburger
24. Oktober 2013

Für sauberen Strom, eine lebenswerte Stadt

Beim Volksentscheid am 3. November geht es nicht um ein Feindbild: Vattenfall. Es geht um die Frage, welche Lebensqualität wir in unserer Stadt erwarten. (Teil 2)

Ausbau eines Solargenerators auf der Max-Schmeling-Halle im Prenzlauer Berg. © Berliner Energieagentur

Am 3. November stimmen die Berliner über ihre künftige Energieversorgung ab. Die Befürworter des Volksentscheid spitzen die Debatte zu: als Kampf gegen den Energieriesen Vattenfall. Doch letztlich geht es um die Frage, wie wir in Berlin und im Umland leben wollen. Denn die kriminelle Energie der bestehenden Strukturen ist beträchtlich.

Kohle, Wind oder Sonne?

Bisher basiert die Stromversorgung von Berlin auf der Verbrennung von Kohle und Erdgas. Auch betreibt Vattenfall Verbrennungsanlagen für Müll und ein Kraftwerk, das Altholz und Biomasse verbrennt. Das Unternehmen stützt sich in Berlin vor allem auf eine Reihe fossiler Großkraftwerke, die man leicht an ihren Schloten erkennen kann. Obwohl die Energiewende seit mehr als einem Jahrzehnt rollt, haben die Schweden bisher kaum in Sonnengeneratoren investiert. Sie hatten Geld, sie hatten das Netz, niemand hätte sie aufhalten können. Aber der Konzern hat die Entwicklung schlichtweg verschlafen.

Risiken werden abgewälzt

Nun sucht er seinen Ausweg in gigantischen Windparks vor den Küsten, die kein Mensch wirklich braucht. Auch die Stromtrassen, die dafür notwendig sind, will niemand. Außer Vattenfall, RWE und Eon, die dafür ihre mächtige Lobbymaschine anwerfen. Mit Erfolg: Die betriebswirtschaftlichen Verluste aus dem Offshore-Geschäft werden durch einen Sonderposten in der EEG-Umlage auf alle Stromkunden abgewälzt. Und für die neuen Stromtrassen garantiert der Bund eine Rendite von neun Prozent. Berlin hat so viele Dächer, die für Sonnenstrom geeignet sind. Davon wollen die Schweden nichts wissen. Was nicht ganz stimmt, denn ein anderer schwedischer Konzern investiert massiv in Sonnenstrom: Ikea prüft derzeit alle Dächer seiner Filialen, um sie mit Solargeneratoren auszustatten. Davon erwartet das Unternehmen sinkende Stromkosten und ein grünes Image. Ein grünes Image, das scheut Vattenfall wie der Teufel das Weihwasser. Warum eigentlich?

Den Spreewald opfern

Weil Vattenfall zu groß ist, und weil ihm die Anteilseigner im Nacken sitzen. Die Regierung ist Stockholm hält den größten Batzen, und vielleicht sollte jemand den schwedischen Botschafter einmal freundlich auf die kommenden Probleme hinweisen. Denn Vattenfall hält derart ungeschickt an seinen Kohlekraftwerken fest, dass nun sogar neue Tagebaue in der Lausitz aufgemacht werden sollen. Es ist geplant, bereits installierte Solarfelder und Windräder weg zu baggern, alte Kulturdenkmäler der Sorben einzuebnen und wertvolle Feuchthabitate zu zerstören. Seit Jahren nimmt die Versäuerung der Gewässer im Spreewald zu. Ursache sind die Abraumhalden und Tagebaue des früheren Braunkohlebergbaus. Da wurde das Unterste zuoberst gekehrt. Aggressive Mineralien, so genannte Pyrite, kommen mit Luft und Wasser in Berührung, mit dem Regen und dem Wasser, dass die alten Tagebaue fluten soll. Die Folge: Aus den Schwefelverbindungen der Pyrite entsteht Säure, die wiederum das Eisen im Waser mit Sauerstoff verbindet. In einigen Restlöchern in der Lausitz ist der pH-Wert so weit gefallen, dass Chemiker von „Säure“ sprechen. Das Eisenoxid fällt als Rost aus. Das Phänomen greift mittlerweile auf den Spreewald über, der Tourismus bricht ein.

Vattenfall und das Erbe der DDR

Vattenfall macht ungerührt weiter, wo die DDR aufgehört hat. Weiterhin sollen sich gigantische Bagger durch die Landschaft wühlen, werden Dörfer enteignet, Menschen vertrieben. Das ist kriminell, aber legal, und die Landesregierung in Potsdam gibt diesem Treiben ihren Segen. Man braucht nur Eins und Eins zusammen zählen: Wenn die Bagger tatsächlich rollen, wird sich in der Lausitz und darüber hinaus eine Protestbewegung erheben. Vielen Dank, Herr Botschafter, dann haben wir das Wendland vor der Haustür. Das ist kein Witz, denn der Tourismuswirtschaft im Spreewald steht die Rostbrühe sprichwörtlich bis zum Hals, und vielen Landwirten droht der Existenzverlust. Vattenfall steht für das alte System der Stromerzeugung, für Großkraftwerke, für zehrenden Bergbau und eine Lebensart, die drängende Probleme auf die Zukunft verschiebt. Damit muss Schluss sein. Und wenn das die Schweden nicht verstehen, werden sie abgewickelt, wie seinerzeit die DDR. Denn die Schäden aus dem Braunkohlebergbau waren in den Jahren vor der Wende ein wichtiges Thema, an dem sich viele Akteure der Umweltbewegung – ob christlich oder nicht – gerieben haben.

Forsmark bedroht Europa

Vattenfall macht aber nicht nur auf diese Weise von sich reden: Der Konzern betreibt in Deutschland und in Schweden einige Atommeiler, die regelmäßig in den Schlagzeilen landen. 2008 war es um ein Haar so weit, dass der Reaktor in Forsmark durchging. Ein kompletter Stromausfall ließ das Reaktorbecken kochen, erst in letzter Sekunde gelang es, ein Notstromaggregat anzuwerfen. Von Hand, wohlgemerkt, denn alle anderen Sicherungssysteme hatten versagt. Forsmark war 1986 dasjenige Kraftwerk in Westeuropa gewesen, das als erstes den Super-Gau in Tschernobyl registrierte. Nun ist Vattenfall auf gutem Wege, ein ähnliches Desaster zu wiederholen. Zahlreiche Reaktoren des Konzerns wurden von den Behörden zwangsweise stillgelegt. Doch hinter den Kulissen arbeitet der Konzern bereits an einer Renaissance der Atomenergie.  Eine Abstimmung über das Berliner Stromnetz ist also auch eine Abstimmung über Kohlekraftwerke und Atommeiler.

Webseite des Volksentscheids