von: Urs Heinz Aerni
23. Juni 2021

Entsetzliche Stille

Eine Beobachtung von Elisabeth Häubi.

© Der passende Buchtipp.

Noch vor etwa 10 Jahren musste ich frühmorgens die Fenster schliessen, weil uns der Lärm des Vogelgesanges allzu früh weckte. Und ich musste beim Fensterputzen mit dem Schaber die Fliegenschisse abkratzen und aussen an den Fenstersimsen die schönen, kunstvollen Spinnennetze wegwischen. Wollte man in der Abenddämmerung und Nacht die Fenster offen halten, war das nur mit Fliegengitter und Mücken-Stop möglich. Oft krabbelte ein Heugümper oder sonst ein Insekt über die Bettdecke. Wollte man draussen essen, kamen Fliegen, Wespen und Bienen. Blickte man abends gegen Sonnenuntergang, war die Luft erfüllt wie ein lebendiger Ozean von tanzenden Mückenschwärmen, Faltern, lautem Grillengezirpe und Amselgesang. Und heute? Seit Tagen herrscht Sommerhitze und, abgesehen vom Baulärm, – tödliche Stille und Leere! Nur ganz selten ein einsames Vogelgezwitscher oder ein verirrtes Insekt. An den ungeputzten Fenstern: nur Saharastaub, aber keine Spur von Fliegendreck. Keine Spinne! Nachts kommt auch bei Beleuchtung und offenen Fenstern kein einziger Falter, Mücke oder Motte herein!

Was vordergründig angenehm scheint, ist im Grunde unheimlich und entsetzlich.

Und noch viel unheimlicher scheint mir, dass ich hier offenbar die Einzige bin, die realisiert, wie viel Lebendigkeit in unserer nächsten Umgebung schon verschwunden und tot ist – und sich darüber grämt.  Menschheit, wohin gehst du?

Elisabeth Häubi


 

Von der Autorin erschien das Buch: „Brave Mädchen fragen nicht – Eine Kindheit im Dritten Reich.