von: H. S. Eglund
25. April 2021
Fotos von Eichmann, die der Mossad heimlich an seinem Haus in San Fernando aufnahm. © Harel/Verlag Andre Deutsch
Am 23. Mai 1960 trat Israels Ministerpräsident David Ben-Burion vor die Knesset in Tel Aviv. Sein Statement ging um die Welt: Der oberste Beamte der Abteilung IV B4 des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts (RSHA) befindet sich in Gewahrsam in Israel und erwartet seinen Prozess.
IV B4 war das Referat für Judenangelegenheiten der Nazimordmaschine. Dort liefen die Fäden der sogenannten Endlösung zusammen. Leiter des Referats war Adolf Eichmann.
In einer Nacht- und Nebelaktion hatte der israelische Geheimdienst Mossad in Buenos Aires zugeschlagen. 15 Jahre lang waren die Agenten jedem Hinweis nachgegangen, Eichmann könnte am Leben sein und sich verstecken.
Denn eigentlich galt er als tot. Eichmann wurde seit Frühjahr 1945 vermisst, es gab keine offiziellen Hinweise auf seinen Verbleib. Sein Frau Vera Liebl – sie war Deutsche, er Österreicher – ließ ihn für tot erklären und brach nach Argentinien auf. Dort heiratete sie ein zweites Mal. Die Söhne Eichmanns nahm sie mit nach Buenos Aires, wo die Familie fortan lebte.
Ricardo Klement, der neue Gatte von Frau Eichmann, war den deutschen Behörden bekannt. Die Organisation Gehlen, unter den Altnazis in Südamerika bestens vernetzt, hatte schon 1958 die CIA informiert, dass Klement ein falscher Name war. Er deckte den meistgesuchten Nazimörder Adolf Eichmann, der im Nürnberger Prozess als Organisator der Deportationen von Millionen Juden in die Gaskammern von Treblinka und Auschwitz bekannt wurde.
Auf Wunsch der Bundesregierung unter Kanzler Adenauer gab die CIA ihr Wissen nicht an den Mossad weiter. Adenauer befürchtete, dass Eichmann im Falle seiner Verhaftung über Hans Globke aussagen könnte. Globke war Staatssekretär im Kanzleramt, sozusagen Adenauers rechte Hand. Unter den Nazis hatte der geschmeidige Jurist die Gesetze zur Entrechtung und Vernichtung der Juden formuliert.
1958 lebte Eichmann bereits acht Jahre in Argentinien, unter falschem Namen, unter dem Schutz Adenauers und des Auswärtigen Amtes, denn die deutsche Botschaft in Buenos Aires kannte sowohl den Mann als auch seine Vergangenheit. Die zweite (Schein)-Heirat von Vera Liebl lief über ihren Tisch, als sei Eichmann tatsächlich zum Kriegsende verschollen wie Martin Bormann, Hitlers rechte Hand, oder Josef Mengele, der Todesarzt von Auschwitz.
Bislang ist wenig untersucht, wie wichtig das Beamtentum für die brutale Effektivität der Nazimaschine war. Vom preußischen Soldatenkönig eingeführt, verband der Beamte die Arbeit für den Staat mit einer quasi militärischen Unterordnung unter seinen Dienstherren.
Der alte Fritz perfektionierte die Kaste des Staatsknechts weiter, auf diese Weise baute er eine effiziente Verwaltung auf – zu überschaubaren Kosten. Denn den Beamten stand nur eine besondere Altersversorgung zu, während sie im aktiven Dienst eher überschaubare Bezüge erhielten.
Im Deutschen Reich und Bismarcks Verwaltung seit 1871 wurden die Beamten zu den Pfeilern des preußischen Staates. Sie bildeten eine wachsende Schicht, die sich aufgrund ihre Bezüge und ihrer Versorgungsansprüche deutlich von den Angestellten der Industrie und den Arbeitern abhoben.
Nach der Revolution von 1919 und später in der Weimarer Republik zeigte sich deutlich die konservative Haltung der Beamten, die ihre Arbeit für den Staat über die Demokratie und den Parlamentarismus stellten.
Die Beamtenschaft in Deutschland (und nach dem sogenannten Anschluss 1938 auch in Österreich) stellte sich weitgehend hinter die NSDAP, etliche Staatsdiener wurden schon zu einem frühen Zeitpunkt Mitglied in Hitlers Partei und in der SS.
1933 hatte Hitler mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums alle Juden vom Staatsdienst ausgeschlossen, sofern sie nicht im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. Auch Sozialisten oder Kommunisten wurden entfernt. Alle Beamte mussten sich als Arier nachweisen, wollten sie ihren Job behalten – und auf den NS-Staat schwören.
Adolf Eichmann (geboren 1906) war 1927 der Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs beigetreten. Der gelernte Elektrotechniker arbeitete zunächst als Sachbearbeiter für die Firmen Vacuum Oil und Elektrobau in Wien. Im April 1932 wurde er Mitglied der österreichischen NSDAP (Mitgliedsnummer 889.895) und der SS (Nummer 45.326).
Im Juli 1933 wurde die NSDAP in Österreich verboten. Deshalb floh Eichmann nach Bayern, zur Österreichischen Legion in Klosterlechfeld und später nach Dachau, zur paramilitärischen Ausbildung bei der SS. Hier meldete er sich im Oktober 1934 freiwillig zum Sicherheitsdienst (SD) der SS nach Berlin. Seine Karriere in der Machtzentrale der Nazis begann.
Eichmann war still, effizient und fantasiereich. So stieg der Musterbeamte steil auf. Als Anfang der 1940er Jahre am Wannsee die Vernichtung der europäischen Juden – die sogenannte Endlösung – beschlossen wurde, übernahm er den Job.
Nach heutiger Begrifflichkeit könnte man ihn als COO (Chief Operating Officer) des Judenmords bezeichnen, vom NS-Staat autorisiert und bezahlt, oder besser als CGC (Chief of Gas Chambers). Eichmann wirkte beinahe unsichtbar: Nach dem Krieg gab es nur sehr wenige Fotos von ihm und keine Fingerabdrücke.
Öffentlich aufgefallen war er durch die Aussagen von Dieter Wisliceny, die ein amerikanischer Ankläger für den Nürnberger Prozess aufnahm. Wisliceny saß damals im Knast in Bratislava, wo ihn die Slowaken vor Gericht stellten. Er wurde 1948 gehängt.
Wisliceny war Subalterner in Eichmanns Team in der Abteilung IV B4 des RSHA. Er bestätigte, dass Eichmann nie im Rampenlicht stand wie seine Bosse: Heydrich, Kaltenbrunner und Himmler.
Eichmann habe nie selbst einen Menschen getötet. Er war ein stiller, sehr sorgfältiger Beamter, der Akten schrieb und gewaltige logistische Aufgaben löste: die Erfassung, Sammlung und den Transport von Millionen Menschen aus ganz Europa in die Todeslager im Osten.
Er sortierte Akten, organisierte Deportationen und führte Befehle aus. Akribisch hielt Eichmann jeden Befehl seiner Vorgesetzten fest, um sich von Schuld rein zu halten. Doch Eichmann war nicht der graue, staubige Beamte, der nicht wusste, was er tat. Wisliceny zitierte ihn, als er Eichmann Ende Februar 1945 zum letzten Mal in Berlin begegnete: „Er sagte, er würde lachend ins Grab springen, weil fünf Millionen Menschen auf seinem Gewissen für ihn eine außergewöhnliche Befriedigung seien.“
Mit Wislicenys Aussage entstand auch die Legende, Eichmann habe aus Angst vor den Alliierten Selbstmord verübt und sei in den Wirren der letzten Kriegswochen verschollen.
Erhellend sind die Informationen von Isser Harel, dem Gründer und ersten Chef des Mossad. In seinem Buch The House in Garibaldi Street (erschienen 1975) hat er die Suche nach Eichmann akribisch nachgezeichnet.
Harel war David Ben-Gurion gegenüber für die Jagd auf die Altnazis verantwortlich: allesamt ehemalige deutsche Staatsbeamte wie Adolf Eichmann, Josef Mengele oder Franz Stangl, Kommandant des Todeslagers von Treblinka.
Rudolf Höß, der Lagerchef von Auschwitz, war den Russen bereits in die Hände gefallen. Er wurde 1947 in Krakau abgeurteilt und gehängt – in Auschwitz, dem Ort seiner unglaublichen Verbrechen. Der Galgen steht dort noch heute.
Die Israelis wussten, dass viele Nazis mit Hilfe katholischer oder protestantischer Orden nach Südamerika geflohen waren. Mit dem Segen des Papstes wurden ihnen beispielsweise Rot-Kreuz-Pässe ausgestellt, um sie nach Argentinien oder Brasilien zu schleusen.
Eichmann war Katholik. Nachdem er 1945 für kurze Zeit unter falschem Namen von den Amerikanern interniert worden war, gelang ihm die Flucht. Er tauchte bei Bauern unter, bis er 1950 über die sogenannte Rattenlinie von Rom nach Genua und per Schiff nach Argentinien fliehen konnte.
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