von: Urs Heinz Aerni
21. Dezember 2017
© Steph Acanayani Greall fotografiert von Urs Heinz Aerni
Urs Heinz Aerni: Als Therapeutin beschäftigen Sie sich unter anderem mit der Körperarbeit. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Körpers. Leben wir heute in einer zu kopflastigen Welt?
Steph Grella: Unsere Gesellschaft ist sehr schnell und es werden viele Anforderungen an uns gestellt. Das hat leider oft automatisch zur Folge, dass wir aus dem Körper heraus und in den Kopf gehen. Die meisten Berufe erfordern viel Arbeit am Computer, was noch mehr dazu beiträgt den Körper zu vernachlässigen und nur den Kopf zu gebrauchen. Es braucht ein gewisses Maß an Bewusstsein, eine Entscheidung dafür immer wieder anzuhalten und sich die Zeit zu nehmen sich zu spüren.
Aerni: Was eben oft schwer fällt…
Grella: Spüren können wir jedoch nur, wenn wir in Verbindung mit uns und unserem Körper sind und wenn wir uns die Zeit dafür nehmen. Von uns wird erwartet, dass wir immer funktionieren, egal ob privat oder im Beruf, und das geht oft zu Lasten unserer Verbindung zu uns selbst.
Aerni: Wie machen Sie es denn?
Grella: Ich versuche immer wieder, besonders auch an vollen Tagen mir kleine Momente der Ruhe zu gönnen, wo ich in meinen Körper hinein spüre und damit einfach bin. Allein das reicht schon, um wieder mehr bei mir anzukommen. Kleine Momente der Aufmerksamkeit auf mich sind besonders in stressigen Zeiten Gold wert. Das gebe ich auch oft KlientInnen als Hausaufgabe mit. Den Wecker alle zwei Stunden stellen und dann kurz innehalten und spüren. Das schult nicht nur Präsenz und Aufmerksamkeit, sondern ist auch wohltuend für Körper, Geist und Seele. Versuchen Sie doch einmal sich zu spüren und gleichzeitig zu denken.
Aerni: Das könnte…
Grella: Genau. Das funktioniert nicht. Das bedeutet, dass in jeder Sekunde, in der ich mich gut spüre und auf meine Empfindungen konzentriert bin, ich meinem Verstand eine kleine Auszeit gebe.
Aerni: Jede und jeder trägt irgendeine Bürde mit sich rum oder hat seine Narben. Wo setzen Sie als Therapeutin ganz am Anfang an, um diese „Altlasten“ in den Griff zu bekommen?
Grella: Das ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, wo der Klient steht und was er für Ressourcen mitbringt. Wenn Jemand schon viel Körperarbeit gemacht oder Selbsterfahrung gesammelt hat und gut im Körper verankert ist, dann kann ich mit diesem Menschen ganz anders arbeiten, als mit Jemanden, der sich überhaupt nicht spürt und kaum Kontakt zu sich selbst hat. Die Tiefe der Arbeit wird maßgeblich davon bestimmt, wie viel der Klient zulassen und halten kann. Ich gehe sehr achtsam mit Grenzen um und schaue in jeder Sitzung aufs Neue, was die Person gerade braucht. Wenn kein Boden da ist, macht es auch keinen Sinn etwas pflanzen zu wollen.
Aerni: Was dann?
Grella: Dann müssen wir erst an den Ressourcen, der Erde arbeiten, bevor wir inhaltlich in die Geschichte einsteigen können. Die größte Ressource die wir haben, sind jedoch wir selbst. Und genau darin sehe ich meine Aufgabe als Begleiterin: die Menschen, die zu mir kommen wieder mit sich selbst in Kontakt zu bringen. Dann steht ihnen ein nährender Boden zur Verfügung den sie anschließend selbst bepflanzen können. Letztlich geht es auch nicht darum die „Altlasten“ weg oder in den Griff zu bekommen, sondern darum, den Umgang mit schwierigen Themen zu lernen. Wir können unsere Geschichte nicht auslöschen, aber wir können lernen gut mit ihr zu leben und in achtsamer Begleitung auch Wunden und Ängste in Ressourcen verwandeln, die uns dann stärkend zur Seite stehen.
Aerni: Sie sind in Köln geboren, leben heute in Berlin. Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Großstadtlebens auf unseren Umgang mit uns selbst ein?
Grella: Ich empfinde das Leben in einer Großstadt durch den hohen Lärmpegel und die permanente Reizüberflutung manchmal als nahezu lebensfeindlich und es verlangt einem immer wieder viel ab, in der Mitte zu bleiben und sich nicht von dem schnellen Tempo im „Außen“ mitreißen zu lassen. Das Leben in einer Großstadt ist einfach eine Dauerbelastung für Körper, Geist und Seele, unabhängig davon ob ein Mensch das wahrnimmt oder nicht. Das begünstigt einfach auch, das man sich verschließt oder aus dem Körper herausgeht, um nicht ständig diese Sinnesüberflutung spüren zu müssen. Ich bin durch mein jahrelanges Training sehr feinfühlig und spüre jedesmal die Auswirkungen auf mein Nervensystem und meinen Muskeltonus, wenn ich beispielsweise mit dem Rad an einer lauten Baustelle vorbeifahre. Das ist Wahnsinn, was das mit dem Körper macht. Das nicht spüren wollen ist total nachvollziehbar, hat aber auch zur Konsequenz, dass man dadurch innerlich schneller wird und sich von sich selbst entfernt. Denn um spüren zu können, brauchen wir, wie schon gesagt, einen Augenblick der Ruhe.
Aerni: Sie engagierten sich früher für den Natur- und Umweltschutz. Heute helfen Sie Menschen, sich wieder zu finden. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Grella: Im Grunde kann ich sagen, dass das Universum mir immer wieder zu verstehen gegeben hat, dass der Weg des Umweltschutzes nicht meiner ist.
Aerni: Welche Signale machten das deutlich?
Grella: Es hat mich damit regelrecht immer wieder gegen die Wand laufen lassen, bis ich es irgendwann verstanden habe. Als ich dann nach meiner Ausbildung zur Systemischen- und Familienaufstellerin angefangen habe mit Menschen zu arbeiten, fing energetisch alles an zu fließen. Da war einfach klar, dass ich mit Menschen arbeiten musste! Und irgendwann war dann das Gefühl da, dass ich in meiner Arbeit angekommen bin und meine Berufung gefunden habe. Dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit. Ich habe durch meine Arbeit eine tiefe Liebe für Menschen entdeckt und mein größtes Glück ist tatsächlich, wenn ich sehe wie sich Klienten, die ein paar Monate mit mir gearbeitet haben, verändern, mehr in Kontakt mit sich selbst sind und liebevoller mit sich umgehen. Das berührt mich immer wieder aufs Neue und ist sehr erfüllend.
Aerni: Kennengelernt haben wir uns in Zürich, stellen Sie fest, was für Ihr Gegenüber aus Ihren Angeboten nützlich sein könnte?
Grella: Ich habe ein sehr feines Gespür für Menschen und bemerke schnell wo jemand steht, in welches Muster er verwickelt ist und womit er Unterstützung gebrauchen könnte. Wie ich mit jemandem arbeite entwickelt sich jedoch in einem gemeinsamen „Dialog“. Ich biete oder rege nur etwas an, aber die Person entscheidet immer und zu jeder Zeit selbst, ob sie Lust hat etwas auszuprobieren oder nicht. Niemand muss bei mir etwas machen. Wir müssen im Alltag genug aushalten und erfüllen. Es ist mir sehr wichtig in meiner Arbeit einen großen und offenen Raum zu halten, in dem sich das entwickeln und zeigen kann, was von Innen her kommt, und das geschieht nur in einem Raum jenseits von „müssen“. Deswegen lade ich in einer Sitzung immer nur zu etwas ein und der Rest entwickelt sich dann aus einem Zusammenspiel zwischen mir als liebevoller Begleiterin und der Klientin oder dem Klienten.
Aerni: Die Liste Ihrer Ausbildungs- und Weiterbildungstationen ist beachtlich. Welche Ziele peilen Sie für sich selber noch an?
Grella: Ich bin in der Arbeit mit Somatic Experiencing (SE) sehr zu Hause angekommen. Die Arbeit mit Trauma ist immer mehr zu meinem Schwerpunkt geworden und fühlt sich für mich sehr organisch und stimmig an. Vor allem bin ich sehr im Einklang mit der Wertschätzung und Anerkennung, die im SE nicht nur angewendet sondern auch gelebt wird. Daher werde ich diesen Weg weiter gehen und was danach noch kommt, wird sich zeigen wenn es soweit ist.
Aerni: Sind Sie sich immer sicher, dass es genau dieser Weg sein soll?
Grella: Ich vertraue da sehr auf meine Intuition. Aber klar ist, dass es immer weiter gehen wird. Meine Leidenschaft für den Körper und Heilung auf allen Ebenen ist viel zu groß, als dass ich mir vorstellen könnte irgendwann damit aufzuhören mich weiterzubilden.
Aerni: Könnten Sie mir ein paar Symptome oder Gefühlsmomente beschreiben, die signalisieren, dass ein Termin in Ihrer Praxis angesagt wäre?
Grella: (muss lächeln…) Ich würde das etwas umformulieren. Ich würde es jedem Menschen, der sich mehr Kontakt mit sich selbst wünscht, empfehlen eine Sitzung bei mir auszuprobieren.
Aerni: Sie sehen also keine Symptome, die was anzeigen könnten?
Grella: Ich finde Symptome etwas schwierig, weil sie oft nur eine Begleiterscheinung sind, von dem was alles in einem Menschen los ist und es mir darum geht an den Kern der Ursache zu kommen, anstatt den Fokus auf die Symptome zu legen. Daher würde ich eher sagen, dass ich jeden Menschen der, unabhängig von den Symptomen, bereit ist den Schritt in die Veränderung zu wagen, gerne darin unterstütze zu sich selbst und den Weg raus aus den gewohnten Mustern zu finden, die meistens Ursache für die Symptome sind.
Aerni: Hätten Sie Tipps, wie ich mich auf unseren ersten Termin vorbereiten könnte?
Grella: Sie könnten sich Gedanken machen – oder besser: nachspüren -, was sie gerne verändern würden. Ansonsten kommen Sie einfach so, wie sie sind. Dann schauen wir gemeinsam, aus dem Moment heraus.
Weitere Informationen über die Arbeit von Steph Acanayani Greall finden sich auf ihrer Website.