von: Urs Heinz Aerni
24. Januar 2015
© pd Andreas Meier
Ein Wein erhält eine Art Biografie. Wie kommt man auf diese Idee?
Ein Art Biografie – eine echte Biographie ist es ja nicht. Das Buch ist eine Graphie der Geschichte und des Mythos unseres wohl wichtigsten Weines.
Die Kultur des Kelterns fasziniert einerseits aber gerät sie unter dem Druck der Schnelllebigkeit auch unter Druck?
Ja, in diesem heute so lebhaften Kundenmarkt gerät die Berufskunst unter Druck. Modeströmungen schubsen auch uns immer wieder an, dabei standhaft zu bleiben und den eigenen Stil nicht zu verlieren, scheint nicht immer leicht. Die 120jährige Geschichte des Kloster Sion kennt Zeiten von größerer Nachfrage als es die Produktion ergab, aber auch das Gegenteil. Vielleicht hat er seine Geschichte gerade wegen den schwierigen Zeiten verdient?
Sie leiten einen Familienbetrieb mit einer beeindruckenden Tradition. Wann und wie wussten Sie, dass diese Laufbahn auch wirklich Ihr Ding ist?
Schon recht früh, vielleicht mit 14. Einerseits interessierten mich naturwissenschaftliche Fächer und ich hätte mich gerne in einem Agronomiestudium gesehen, anderseits war es das typische Bubeninteresse für Maschinen und Traktoren. Vielleicht sah ich damals im Boden weniger die Basis für ein „Terroir“ und den Wurzelraum der Rebe als einfach eine Traktorpiste.
Es ist ja schon lange her als Ihre Vorfahren von Lehensherren zu Besitzern wurden, wie sehen Sie heute die Zukunft von Familie und Betrieb?
Ich hoffe, dass ich die nächsten Jahre gesund und motiviert weiter an einer positiven Entwicklung des Betriebes arbeiten kann. Ich habe drei Töchter. Sie sind in ihrer Erstausbildung, nicht im Weinfach. Es ist wohl wichtiger, dass meine drei Töchter, ihre Lebenswege frei wählen. Freiheit mit Verantwortung. Im Weinbau haben wir zu manchem eine bäuerliche Sichtweise. Jede Generation erwirbt den Betrieb zum bäuerlichen Ertragswert und übergibt ihn ebenso tief an die nächste Generation. Eine weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Übergabe ist Wissen und Erfahrung, dies zu erwerben braucht Zeit.
Der Blick geht bis zu 550 Jahren zurück aber der Wein, dem das Buch gewidmet ist, taucht in der Chronik relativ spät auf, wieso messen Sie dem Pinot noir Kloster Sion so einen Wert bei?
Vor 120 Jahren wurde die Weiche zur Konzentrierung auf den Wein gelegt. Alleinversorger als bäuerliche Mischbetriebe waren damals in unserer Region üblich, auch wenn es schon Familien gab, die ganz auf den Weinbau setzten. Zunehmend begann sich die Bevölkerung zu spezialisieren. Es war aber doch ungewöhnlich, dass Adelbert Meier die Distanz zum Weinberg nicht vom Kauf abschreckte, immerhin ist er über eine Marschstunde vom Sternen entfernt.
Sie führen eine Rebschule und Sie erwähnen im Buch wie wichtig die Umsicht und der Fleiß sei. Wie groß ist die Nachfrage seitens Ausbildung und wie erkennen Sie, dass ein angehender Winzer das richtige Zeug für den Beruf hat?
Die Bezeichnung „Rebschule“ steht für eine Pflanzschule für Reben, ist also keine „Schule“. Doch engagiere ich mich als Lehrmeister überzeugt für eine gute Berufsbildung der Winzer und Weintechnologen. Eine Eignung für diesen Beruf sieht man den Menschen grundsätzlich nicht an und es bleibt auch immer eine momentane Einschätzung. Ein Urteil will ich mir nach vielen Jahren Erfahrungen immer weniger anmassen. Die Freude und Begeisterung ist ein individueller und wachsender Prozess. Wie in jedem Beruf braucht es – Wissen, Übung und Disziplin – dafür sieht man am Ende was man erschaffen hat.
Aktuell tut sich viel mit Weinen aus Österreich, Süddeutschland und in der deutschsprachigen Schweiz. Wo sehen Sie die Qualität des Aargauers Wein unter der immensen Konkurrenz?
Die laute Wahrnehmung der genannten EU-Nachbarn ist auch ein Spiegel der Fördergelder für das Exportmarketing in sog. Drittländer, zu denen die Schweiz aus EU-Sicht ja gehört. Hier wie da ist die Qualität verteilt auf einer Qualitätspyramide, dabei ist die unterste Stufe bei uns ökonomisch unmöglich zu besetzen. Unsere Weine im Aargau zeigen vor allem die sorgfältige Arbeit der Winzer und eine eher überdurchschnittliche Kompetenz in der Weinbereitung. Vielleicht hinkt die Önologie in der Schweiz allgemein noch etwas nach, hier müssen wir zulegen. Wir sind mehr Winzer und weniger „winemaker“.
Welche Vorurteile gegenüber dem Aargauer Wein gehört sich endgültig ausgeräumt?
Ich höre heute kaum mehr Vorurteile. Menschen mit einem Vorurteil sind im Urteil eingeschränkt. Vielleicht habe ich mit solchen Leuten weniger Kontakt. Der Kanton Aargau hat allgemein ein Imageproblem, unsere fruchtbare und schöne Landschaft ist halt von der Autobahn aus nicht sichtbar.
Es wird ja immer wieder gewitzelt über die wuchtige Wortwahl, die Winzer und Weinhändler edle Tropfen zu beschreiben versuchen. Nun, wir versuchen es trotzdem; können Sie ein paar Eigenschaften nennen, die der Pinot noir Kloster Sion aufweist?
Eine gut ausgebildete Weinsprache muss erlernt werden. Der Laie kann ein Geschwafel von einer präzisen Weinumschreibung manchmal nicht auf Anhieb erkennen. Aber wie wollen wir unsere Sinneseindrücke anders vermitteln als über die Sprache?
Der Kloster Sion Réserve besitzt ein dichtes Burgunderrot, in der Jugend eher ein Granatrot. Der Geruch erinnert an Früchte, speziell Himbeer und Erdbeer. Ebenso deutlich hat er Gerüche vom Ausbau in Allier-Eiche, also Vanille, Toast, und etwas Tabak. Der Geschmack ist, typisch Kloster Sion, warm, kräftig mit einer gut tragenden Säure und spürbarer Gaumenfülle dank seinem höheren Gehalt an Kalium. Ich finde, man spürt letzteren speziell in den Backen und auch an der Saftigkeit. Der Abgang ist aromatisch anhaltend, auch noch nach einigen Sekunden ist sein Aroma im Rückgeruch präsent.
Bestellt man hier im Prenzlauer Berg in einem Lokal Wein, so ist das Angebot recht reichlich, die Süddeutschen sind nicht unbeliebt aber Schweizer Weine sind rar. Was läuft hier schief?
Natürlich sind unsere Weine etwas teurer, das dürfte jedoch meist nicht ein Problem sein. Es gäbe am Prenzlauer Berg einen Markt, da bin ich mir sicher. Es fehlt uns zur Zeit leider der Kontakt zum Fachhandel.
Wie würden Sie einem Weinliebhabenden in Berlin den Wein aus dem Schweizer Kanton Aargau beschreiben, damit es neugierig macht?
Der Kanton Aargau, so auch das untere Aaretal, ist eine Tafeljura-Landschaft. Die Weine werden allgemein geprägt vom Kalkboden. Mikroklima und Boden sind für den Pinot ideal, sehr vergleichbar auch mit dem Burgund. Ein Kloster Sion Réserve hat daher eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Échezeaux, Ich behaupte aber ganz unbescheiden, dass unsere Weine darüber hinaus mehr Präzision besitzen – es sind Uhrenmacher-Weine.
Sie sind Winzer südlich des Rheins, was assoziieren Sie mit Berlin an der Spree?
Meier: Berlin ist eine Weltstadt und ich ein Landei. Da ist jede Assoziation etwas gesucht. Aber ich erinnere mich, dass ich vor ein paar Jahren den Festwein für die Schweizer Botschaft liefern durfte, den Kloster Sion Réserve und den Wannenberg Chardonnay. Die höchsten politischen Würdenträger waren eingeladen und ich habe schöne Komplimente für den Wein erhalten.
Beschreiben Sie uns ein Gemälde, das einen Mensch zeigt, mit Ihrem Weinbuch in den Händen. Wie sollte das aussehen?
Ein Leser ist beim Lesen alleine, obwohl der Wein ja eigentlich in Gesellschaft am meisten Spass macht. Ich geselle ihm ein Glas Kloster Sion Réserve hinzu und setze ihn in einen bequemen Sessel. Das pure Gegenteil von „Le Penseur“ von Auguste Rodin ist der Leser in meinem Bild warm und bequem angezogen und lehnt dabei nach hinten, die Arme breit auf den Armlehnen aufgestützt. Bei einem Glas Kloster Sion Réserve und seinem Buch gibt es nichts mehr zu „grübeln“.