von: Urs Heinz Aerni
16. November 2021
© Pressebild Jurapark Aargau von Geri Hirt
Verschwitzt sind die beiden aber glücklich, die Wanderin mit ihrem Partner und fragt die zwei drahtig aber muskulös präpositionierten Fahrradfahrer, ob sie sich an den selben langen Holztisch setzen dürfen. Es ist ein sommerlich schwüler Nachmittag zwischen zwei gewittrigen Tagen. Der Ort? Er nennt sich „Stammlokal“ im Weindorf Villigen, geführt von Winzerinnen und Winzern aber davon später mehr.
Wir befinden uns zusammen mit dem Biker- und Wanderpaar im „Jurapark“, eine grüne Schatzkammer im Schweizer Kanton Aargau, in der Region der schmucken Städte wie Brugg, Laufenburg, Rheinfelden und Aarau, ein Grenzgebiet am Rhein zum Schwarzwald in Baden-Württemberg.
„So ein großes Naturschutzgebiet?“ würden vielleicht Sie als Lesende und Lesender mit Ortskenntnissen spontan fragen. Fast. Seit 2012 widmen sich die Kommunen, Dörfer und Städte in diesem Gebiet für mehr Regionalität und für eine naturkompatible Gesellschaft im Sinne einer Zukunft mit Lebensqualität. Das Ziel sei es, „bestehende Natur- und Kulturwerte aufzuwerten und zu erhalten sowie die regionale Wirtschaft zu stärken – für eine hohe Lebensqualität“ laut den Initiantinnen und Verantwortlichen. Es soll eine Vernetzung der Lebensräume und das Zusammenbringen von Menschen gefördert werden.
Vier Ziele, ein Erfolgsrezept
Zu den Velofahrern und Wanderern am Holztisch setzt sich der Winzer aus dem Ort, Peter, an den langen schönen Holztisch und stellt sich den Fragen der Besucher, zu den edlen Tropfen und dem Jurapark, zu dem mittlerweile 33 Gemeinden gehören auf einer Fläche von 300 Quadratkilometern mit rund 55.000 hier lebenden Menschen. Dieser „Regionaler Naturpark von nationaler Bedeutung“ schreibt sich seit 2012 folgende vier Grundsätze auf seine Fahnen:
Dieses Credo scheint ein Erfolgsrezept zu sein, denn weitere Pläne von 2022 – 2031 stehen an und das Projekt bekommt immer mehr Beachtung bei der Politik und in den Medien. Schon alleine der Umstand, dass an diesem Holztisch hier im „Stammlokal“ in Villigen Menschen mit unterschiedlichen Interessensgebieten sitzen, zeigt, dass für alle was geboten wird. Das bestätigen auch die zwei Fahrradsportler am Tisch.
Radlen und Wandern
An verschiedenen Orten im Park können Fahrräder und E-Bikes gemietet werden, zum Beispiel in Gansingen, Zeinigen, Bözen oder Gipf-Oberfrick. Für solche, die noch ungeübt sind, mit dem E-Drahtesel gäbe es die Schnupperroute ohne großes Gefälle aber mit Sehenswürdigkeiten, wie Kirschbäume, Rebberge und sogar Dinosaurier im oberen Fricktal.
Das Wanderpaar hört zwar den Velofans aufmerksam zu aber gestehen ein, dass sie den Jurapark doch lieber marschierend entdecken möchten. So sei zum Beispiel der „Cheisacherturm“, ein Jurahügel nahe der Dörfer Gansingen, Möhntal und Sulz bei Laufenburg. Immerhin mit 698 Metern die höchste Stelle in der Region mit einer prächtigen Aussicht auf die Jurahügeln, den Schwarzwald und gar zu den Alpen. Vor 100 Jahren sei hier ein Turm gestanden haben, heute ermöglicht ein Aussichtsturm eine herrliche Weitsicht.
Apropos Jura: damit ist ein Gebirgszug gemeint, der sich wie ein abnehmender Halbmond im Osten Frankreichs und im Westen der Schweiz über die Landschaft legt. Im Norden ungefähr beginnend bei Basel und sich dehnend an Städten wie Besançon und Bern vorbei bis nach Genf und Chambéry im Süden. Dieses Mittelgebirge hat ca. eine Fläche von 18.667 Quadratkilometern und die Landesgrenze erstreckt sich ca. bis 718 Kilometer. Ein wichtiger und markanter Teil liegt eben im Schweizer Kanton Aargau, wo sich unser Jurapark befindet.
Weine aus dem Wasserschloss
Während der Winzer Peter ein Glas vom „Steinbruch Pinot Noir“ offeriert, richtet sich das Gespräch auf die reiche Weinkultur im Jurapark. Zum Beispiel hier in Villigen versammeln sich verschiedene Winzer unter dem Namen Besserstein, benannt nach der Burgruine, die an schönster Aussichtslage steht über dem sogenannten Wasserschloss, dem Mündungsgebiet von Limmat und Reuss in die Aare. Gemeinsam wird hier der Wein gesammelt, gekeltert, abgefüllt und an Lebensmittelgeschäften oder an Privatkunden ausgeliefert. Peter Schödler, der erwähnte Winzer meint: „Unsere größte Freude ist es, edle Produkte zu erzeugen und dabei etwas zur Landschaft und zur Kultur der Region beizutragen.“ Im Jurapark sorgen noch viele weitere Weingüter, Weingenossenschaften sowie Landwirtschaftsbetriebe für hohe Qualität, entstanden durch nachhaltige Produktion. Hiesige Produkte, die zu 80 Prozent aus dem Gebiet des Juraparks stammen, erhalten ein Zertifikat. Nicht nur die naturschonende Produktion ist das Ziel, sondern auch eine Verkürzung der Vertriebswege zwischen Entstehung und Konsum.
Naturperlen die blühen und zwitschern
Zurück zum schönen Holztisch im „Stammlokal“ in Villigen am Geissberg. Nun kann der anwesende Journalist und Feldornithologe sich nicht mehr zurückhalten und empfiehlt den Anwesenden das Entdecken von Flora und Fauna. Die Tatsache, dass hier auf dem Geissberg auch Gämsen leben, überrascht immer wieder, da sie ja eher in hochalpinen Regionen vermutet werden. Zudem wachsen im Jurapark 23 verschieden Arten von Wildrosen und es sei eine Freude, hier als Vogelbeobachter durch die Wälder und über die Felder zu ziehen. Nicht weit weg von der gemütlichen Runde ist der selten gewordene Gartenrotschwanz zu hören und in den Rebhängen gar die Zaunammer zu sehen. Auch Feldlerchen und Schwarzkehlchen finden hier noch Brutplätze und beim Wandern durch die Auenlandschaft von Aarau nach Biberstein bestehen Chancen auf die Sichtung von Bibern und dem herrlich gelben Pirol.
Der Aargauer Jurapark ist ein Juwel für die Erhaltung der Biodiversität, die Pflege einer traditionsreichen Kultur und als Region für Erholungssuchende. Sogar „Landschaftsmedizin“ für Schmerzpatienten wurde hier angeboten, wie ein Fernsehbericht dokumentierte.
Die Tischrunde in Villigen löst sich auf, da das Wanderpaar noch weiter möchte nach Brugg um dort den Zug nach Zürich zu erwischen, die Radler noch ein paar Kilometer Richtung Zurzach vor sich haben, der Winzer sich noch um andere Gäste im Lokal kümmern möchte und der vogelbeobachtender Journalist seinen Artikel zu Ende schreiben darf.
Urs Heinz Aerni
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Tipps für die ganze Familie
Bio-Freibad Biberstein
Es ist das erste öffentliche Naturbad der Schweiz, wurde im Jahr 2000 eröffnet. Das Besondere am Bad: das Wasser wird nicht mit Chlor gereinigt, sondern über einen natürlichen Kreislauf.
www.biberstein.ch/freizeit/biobadi.html/113
Stammlokal Besserstein
Jeden ersten und dritten Samstag im Monat laden Winzerinnen und Winzer zur Einkehr ein, drinnen oder draußen auf der Terrasse mit Sonnenschirmen im Weindorf Villigen. Nebst edlen hiesigen Tropfen wird auch allerlei Getränke und Feines vom Grill angeboten. Hier saßen auch die im Beitrag erwähnten Protagonisten.
www.besserstein-wein.ch/stammlokal
Selber pflücken
Reife, süße und gesunde Kirschen an den Hochstammbäumen sind nicht nur ein Genuss für den Gaumen, sie erfordern viel Handarbeit. Groß und Klein können die lokalen Produzenten beim Ernten helfen und damit einen Beitrag zur Erhaltung der hier lebenden Tiere leisten, wie der Vogel Gartenrotschwanz oder die Fledermaus Großer Hufeisennase.
www.jurapark-aargau.ch/pflueck-helfer.html
Kunst am Weg
Beim Wandern durch das Schenkenbergtal zum Naturfreundehaus Gisliflue mit Blick auf das Aaretal wähnt man sich in einer Open Air-Galerie, denn es geht vorbei an Skulpturen, die von Künstlerinnen und Künstler in die Landschaft eingebettet wurden.
Vogel- und Naturjuwel Klingnauer Stausee
Das BirdLife-Naturzentrum vor Ort bietet eine moderne Ausstellung mit themenspezifischen Führungen und engagiert sich vor Ort um Naturschutz. Ein schmuckes Café lädt zur Wanderpause ein mit Ausblick auf einen kleinen Park und Weiher voller Leben.
www.naturzentrum-klingnauerstausee.ch
Bergwerksmuseum Herznach
Das einst größte Eisenbergwerk der Schweiz mit seinem Wahrzeichen, dem Silo präsentiert eine reiche Palette an Fossilien und dokumentiert die Geschichte des Bergbaus und die Wunder aus der Geologie.
Dieser Artikel erschien zuerstn in der Reisebeilage des Magazins Schweizer Familie.
Filmtipp für alle Wanderfreunde: „Chumm mit“ – Der Schweizer Wanderfilm.